Mit ohne – Eine wahre Geschichte aus der Zeit, als der Kunstdünger in Westernkotten noch in den Kinderschuhen steckte.
Aus dem Nachlaß von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten
[Erstabdruck: Probst, Wilhelm, Mit ohne – Eine wahre Geschichte aus der Zeit, als der Kunstdünger in Westernkotten noch in den Kinderschuhen steckte, in. Vertell mui watt Ausgabe 73 (1999)]
In den Jahren, als der Kunstdünger aufkam, trauten selbst viele Bauern dieser Neuerung nicht recht. Dünger, ja, den sollte der Boden haben, aber Stallmist und Jauche mußten es sein. Diesen Dünger hatte der Bauer selber.
Man hatte auch den Fehler begangen, den neuen Dünger mit der Kunst zu verbinden. Kunstdünger nannte man ihn ja. Von der Kunst hielt der Bauer nicht viel. Dazu kam noch, daß dieser Dünger aussah wie trockene Ackererde. Und so hatte man schnell den passenden Namen für ihn gefunden. Der Bauer nannte in Schuite, was so viel wie heißt wie Dreck, und bewertete ihn nach diesem Namen. Er wollte doch kein Geld ausgeben für eine Sache, die ihm neu war und an deren Nutzen er nicht recht glaubte. Da handelte er nach dem Bauernsprichwort: Wat de Biur nit kennt, dat fritt hoi nit.
Damals hatten der Lehrer von Westernkotten und der Lehrer von Bökenförde im Hüpnerfeld je ein Stück Land liegen, das zu ihrer Lehrerstelle gehörte und das sie selbst bewirtschafteten. Bei ihren gegenseitigen wöchentlichen Besuchen teilten sie nicht nur die Sorgen über ihre Schulen und ihre Familien, sondern besprachen auch ihre landwirtschaftlichen Angelegenheiten. Eines Tages erzählte der Bökenförder Lehrer, daß er Kunstdünger gekauft habe, der auf sein Roggenstück im Hüpnerfeld gesät werden solle. Man müsse doch den Bauern vor Augen führen, daß sich die Ausgabe für diese fortschrittliche Sache lohne. Er fragte den Westernkötter Lehrer, ob er es nicht auch damit versuchen wolle. Dieser aber meinte, er wolle lieber noch ein Jahr damit warten und erst mal sehen, was die Ernte bringe und wie das Korn danach scheffele.
Die Roggenfelder der beiden Lehrer lagen nebeneinander. Beide Felder waren von gleicher Größe und Güte und zu gleicher Zeit beackert und besät. Da würde man also leicht vergleichen können. – Und das konnte man denn auch. Es ist aber anders gewesen als du, lieber Leser, es dir denkst.
Einige Tage später kam der Lehrer von Westernkotten auf einem Spaziergange zu seinem Roggenfelde. Der Roggen konnte nicht besser stehen und versprach eine gute Ernte. Vor dem Felde hielt ein Wagen, und durch den spannenhohen Roggen schritt ein Bauersmann mit dem Saatscheffel und streute Kunstdünger darauf. „Ei, was sät ihr denn da auf den Roggen,“ fragte der Lehrer. Der Sämann antwortete: „Unser Lehrer hat von dem neuen Kunstdünger gekauft. Davon soll das Korn gut wachsen. Man wird ja sehen, ob’s gut tut.“ Der Ackersmann war erst seit Martini Knecht bei dem Bauern, der für den Bökenförder Lehrer ackerte. Er war oben von der Haar und hatte sich in den Feldplänen geirrt. Das dürfte eigentlich bei einem Knecht, auf den man sich verläßt, nicht vorkommen, ist aber geschehen. So hatte also das Westernkötter Roggenstück den Kunstdünger bekommen, den das Bökenförder haben sollte.
Das war nun eine dumme Sache – oder eine ganz feine – wie man’s nimmt. Was war da zu machen? Der Lehrer von Westernkotten steckte sich erst mal eine gute Zigarre an und gab auch dem Sämann, der irrtümlich seinen Acker gedüngt hatte, eine mit, worüber dieser sich mit Recht wunderte. Bei einer guten Zigarre können einem die besten Gedanken kommen, und so dachte der Lehrer, der schon von Beruf aus bibelfest war: Laßt beides wachsen bis zur Ernte.
Und beide Roggenfelder wuchsen mit Gottes Segen der Reife entgegen. Als aber nach Wochen die beiden Lehrer wieder dort vorbeikamen, trauten sie ihren Augen nicht. Der Westernkötter Roggen stand fast noch mal so hoch wie der Bökenförder und setzte schon zur Blüte an. Der eine sagte: „Da habe ich nun das viele Geld für den teuren Kunstdünger ausgegeben! Es ist doch alles Betrug!“ – „Ja, ja, es ist viel Betrug in der Welt,“ meinte der andere und steckte sich schmunzelnd eine Zigarre an, gab seinem Kollegen aber auch eine mit und tröstete ihn: „Steck dir erst mal ein an, mit dem Qualm verqualmt auch dein Ärger.“
Als jeder wieder auf dem Heimwege war, machte der eine ein verdrießliches Gesicht und dachte: „Laß den Kerl mal wiederkommen, der dir den Kunstdünger aufgeschwätzt hat, der bekommt’s zu hören.“ Auch der andere hatte eine Sorgenfalte vor der Stirn. Wie konnte er die Sache wieder gerade biegen, damit die nachbarliche Freundschaft nicht in die Brüche ging? –
Kam Zeit, kam Rat. Als beide ihr Korn gedroschen und gewogen hatten, kam eines Tages der Westernkötter Lehrer mit einer guten Flasche Wein zum Nachbarn nach Bökenförde. Auf dessen Frage, was das bedeuten solle und ob er vielleicht in der Lotterie gewonnen habe, gab dieser zur Antwort, in der Lotterie spiele er nicht, das sei eine unsichere Geldanlage, aber Kunstdünger kaufe er von jetzt an jedes Jahr, der werfe eine gute Rente ab. Er müsse aber den vom vergangenen Jahr noch bezahlen und das Aussäen dazu. Und darauf beichtete er, wie das alles seinen Zugang gehabt hatte…
Und dann schieden die beiden in alter Freundschaft voneinander, zumal draußen gerade ein Wagen aus Westernkotten hielt, der ein paar Scheffel Roggen als Schadensersatz für die entgangene Rekordernte brachte…