Radfahrvereine in Bad Westernkotten
Von Wolfgang Marcus
[aus: Aus Kuotten düt un dat 1994, Nr. 66 und 67]
I. Der Radfahrer- und Sportverein „All Heil Westernkotten“ von 1906
Bisher war über diesen Verein recht wenig bekannt, auf lediglich acht Zeilen ist einiges im Heimatbuch von 1987 zusammengetragen (vgl. S. 399/400). Jetzt machte mich der Erwitter Stadtarchivar Hans Peter Busch auf eine Akte aufmerksam [Bestand C 1 vorl. Nr. 213-06], die nähere Aufschlüsse ermöglicht [der Bestand umfasst 18 Einzelstücke].
Danach wurde der Verein am 22.4.1906 um 5 Uhr im Saale des Gastwirtes Wilhelm Kessing gegründet. Damit war dieser Verein der erste Sportverein Westernkottens, denn der noch heute existierende SuS wurde erst 1920 gegründet.
Aus einer Aufstellung vom 11.3.1909 gehen die Namen der Mitglieder hervor:
Josef Schäfermeier, Maschinenbesitzer
Anton Schäfermeier, Schreinermeister
Wilhelm Kessing, Kaufmann
Josef Schroer, Fabrikarbeiter
Engelbert Mergemeier, Heizer
Franz Dicke, Fabrikarbeiter
Wilhelm Markoni, „
Josef Cramer,
Josef Hense,
Wilhelm Risse,
Franz Köhne,
Heinrich Mergemeier,
Ludwig Mintert,
Wilhelm Kemper,
Wilhelm Becker,
Theodor Dicke,
Franz Kramer,
Ludwig Schroer,
Engelbert Schroer,
Heinrich Heidhoff,
Heinrich Lange,
Franz Rustige,
Josef Mähling (Overh.),
Ludwig Thiemann, Mühlenbesitzer.
Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass der größte Teil der Mitglieder Arbeiter waren. Wie weiter unten noch näher begründet wird, hatten diese zumindest teilweise eine deutliche Nähe zur Sozialdemokratie (SPD). Eine offene Mitgliedschaft in der SPD war aber um die Jahrhundertwende noch immer mit erheblichen Nachteilen verbunden. So haben sich viele sozialdemokratisch gesinnte Arbeiter in vielen Städten und Orten zu nach außen hin „unauffälligen“ Arbeiter-, Gesang- oder Radfahrvereinen zusammengeschlossen, wie es auch in Westernkotten der Fall gewesen sein wird.
Aus den hier ausgewerteten Aktenstücken, die im wesentlichen Anträge auf behördliche Genehmigungen für Feste und sonstige Veranstaltungen beinhalten, gehen sozialdemokratische Inhalte natürlich nicht hervor. Hier eine Aufstellung der in den Akten angezeigten Vereinsaktivitäten von „All Heil“:
1. Die erste Veranstaltung, von der die Rede ist, ist „am Sonntag, den 3. Februar 1907, ein Winterkränzchen, bestehend in Theater und Ball, verbunden mit Kaisers Geburtstagsfeier“‚, die im Saale Kessing durchgeführt werden soll.
2. Am 2. Weihnachtstag 1907 wurden um 4 Uhr und um 20 Uhr Theaterstücke aufgeführt, und zwar 3 Lustspiele: „Der Hausknecht als Wunderdoktor“, „Der letzte Brief eines eutnantburschen“ und „Alter schützt vor Thorheit nicht“.
3. Am 16.2.1908 feierte der Verein „den Geburtstag Sr: Majestät, des Kaisers und Königs durch Konzert, Festrede und öffentlichen Ball“ in den Lokalitäten des Vereinswirts und Schriftführers Wilhelm Kessing.
4. Am 2. und 3. Weihnachtstag 1908 wurde das Theaterstück „Thomas Morus“, ein Trauerspiel in vier Aufzügen, aufgeführt.
5. Am Sonntag, dem 17.1.1909, kam der Verein „zur Feier des Geburtstages seiner Majestät“ zu einem Ball bei Kessing zusammen.
6. Am Sonntag, dem 2. Mai 1999, machte der Verein einen Ausflug nach Störmede zum Stiftungsfeste.“Zu diesem Zwecke beabsichtigt derselbe, einen Zug durchs Dorf zu machen und zwar mit Musik. Mittags 1 Uhr. Ebenfalls des Abends gegen 11 Uhr wieder einen Einzug ins Dorf mit Musik.“
7. Am 19.9.1909 soll „eine Kontroll- und Dauerfahrt von hier über Erwitte bis Soest und retour“ stattfinden. 8. Am Neujahrstag 1910 wurden abends um 20 Uhr 2 Theaterstücke bei Kessing aufgeführt, und zwar „Fernando der Schrecken Asturiens“ und „Flotte Burschen“, ein Lustspiel in drei Aufzügen.
9. Am 23.1.1910 feierte man wieder Kaisers Geburtstag, „nachmittags 5-7 Uhr Konzert, 7 Uhr Festrede, von dann an Ball.“
Die letzte Veranstaltung, die in den Akten bezeugt ist, findet sich erst 12 Jahre später:
10. Unterm Datum vom 25.1.1922 heißt es: „Der Radfahrerverein All Heil Westernkotten beabsichtigt, am Sonntag, dem.5. Februar, beim Gastwirt Kemper sein diesjähriges Stiftungsfest mit anschließendem Tanzkränzchen zu veranstalten und bittet hierzu um die polizeiliche Genehmigung.“ Unterschrieben ist dieses letzte Dokument des Vereins All Heil vom Polizei-Sekretär Hilgers, alle anderen hat Wilhelm Kessing unterschrieben.
Vermutlich hat der Verein bereits vor dem ersten Weltkrieg seine Aktivitäten weitgehend eingestellt. Ein wichtiger Grund wird die Gründung eines zweiten Radsportvereins in Westernkotten und der sich darin spiegelnde Widerstand gegen „All Heil“ gewesen sein, von dem nachfolgend die Rede ist.
II. Der Radfahr-Verein „Westfalentreue“ Westernkotten von 1912
Dieser Verein ist im April 1912 entstanden, wie aus der den Akten beigefügten Satzung zu entnehmen ist. Warum ein zweiter Verein, wo doch der erste nur ca. 20 Mitglieder hatte?
Deutlich geht aus der Satzung von „Westfalentreue“ hervor, dass dieser zweite Verein ein klares Gegengewicht zum Verein „All Hell“ darstellen wollte oder sollte. So heißt es in 2.: „Politische und religiöse Tendenzen bleiben dem Verein fern.“ Und in 4 noch deutlicher: „Jeder unbescholtene 14jährige auf christlich-nationalem Boden stehende Einwohner von Westernkotten kann aufgenommen werden. Solche, die sozialdemokratischen Tendenzen huldigen, sind ausgeschlossen“.
Die der Satzung beigefügte Mitgliederliste macht deutlich, dass es dem neuen Verein aber nicht gelungen ist, eine größere Zahl von Mitgliedern des Vereins All Heil zu einem Vereinswechsel zu bewegen. Hier die Mitgliederliste von ‚Westfalentreu“ aus dem Jahre 1912:
Johannes Sellmann (1. Vors.), Engelbert Johannknecht, Wilhelm Stillecke, Rudolf, Franz und Joseph Hilwerling, Wilhelm, Heinrich, Joseph und Franz Hense, Wilhelm und Franz Merschmann, Kaspar Schäfer, Franz Adämmer, Heinrich Spiekermann, Theodor Dabrock, Johannes Günnewig, Franz Wenner, Karl Wabbel, Fritz Bröermann, Franz Witkopp, Konrad Hötte, Franz Brexel, Franz Linnemann.
Aus der Satzung gehen noch weitere Einzelheiten hervor, so die wesentlichen Vereinsinhalte „Lust- und Wettfahrten; geselliger Verkehr der Vereinsmitglieder; Abhaltung von Festlichkeiten und Vergnügungen“ sowie der monatliche Beitrag von 10 Pfennig. Aus 15. geht auch eine deutliche Nähe zur kath. Kirche hervor, heißt es doch dort, dass bei Auflösung des Vereins das Vereinsvermögen der katholischen Kirchengemeinde überwiesen werden soll.
Aus den weiteren Aktenstücken ist zu entnehmen, dass das Vereinslokal dieses Vereins das heutige Kurhaus war, damals Gastwirtschaft Wilhelm Wiese. Insgesamt sind polizeiliche Genehmigungen zu fünf Veranstaltungen in der Akte zu finden, die einen guten Einblick in einige Vereinsaktivitäten geben:
1. Am 9.1.1921 wurde ein Tanzkränzchen bei Wiese veranstaltet, und zwar von 4 bis 10 Uhr.
2. Für den 15.1.1922 erteilte der Amtmann die polizeiliche Genehmigung für einen Ball.
3. Am 21.1.1923 stand eine „geschlossene Familienfeier nur unter den Mitgliedern ohne Eintrittsgelder“ auf dem Programm und
4. ebenso am 8.2.1925.
5. Das letzte Aktenstück stammt aus dem Jahre 1927: Am Sonntag, 30.1.1927, möchte der Verein wiederum eine geschlossene Familienfeier mit anschließendem Tanzkränzchen im Saale Wiese abhalten.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass beide Vereine wahrscheinlich am Ende der 20er Jahre unseres Jahrhunderts nicht mehr existierten. Trotz ihrer nur verhältnismäßig kurzen Lebensdauer spiegeln sie aber ein wichtiges Stück Sozial- und Parteiengeschichte unseres Ortes.