Von Wolfgang MARCUS (Bad Westernkotten)
[Erstabdruck: Marcus, Wolfgang, 1858: Zusammenfassung von drei Schützenvereinen in Bad Westernkotten zu einem gemeinsamen Verein; in: HB 74 (1994), S. 118-120]
In den Unterlagen der Amtsverwaltung Erwitte, mir freundlicherweise vom Erwitter Stadtarchivar Hans-Peter Busch zur Verfügung gestellt und durch Herrn Erwin Schöneweiß transkribiert, befindet sich auch ein Briefwechsel zwischen dem damaligen Gemeindevorsteher von Westernkotten, Reinhard Jesse und dem Amtmann Schlünder zu Erwitte, der einen interessanten Einblick in das Schützenwesen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Westernkotten gibt. Jesse bemühte sich seinerzeit in Absprache mit dem Amtmann, die drei bestehenden Schützenvereine zu einem zusammenzufassen. Um die Situation möglichst authentisch wiederzugeben und aufgrund ihrer Anschaulichkeit sind im Folgenden die Originalbriefe weitgehend unverändert abgedruckt.
Brief des Gemeindevorstehers Reinhard Jesse vom 31. 5.1858 an den Amtmann Schlünder
„Mit Bezug auf unser mündliches Abkommen in Betreff der Vereinigung der hiesigen drei Schützen- Gesellschaften zu einem Verein, muß ich Ihnen mittheilen, daß meine Bemühungen bis jetzt leider er- folglos geblieben sind. Der Vorstand des Männer- Schützen-Vereins hat sich zwar ganz bereit erklärt, auf meinen Vorschlag einzugehen, während die Vereine der Gesellen und der Ackerknechte sich zwar anfangs dazu nicht abgeneigt zeigten, jedoch (und wahrscheinlich auf Anrathen von wenigen älteren Oppositions-Geistern) sich nunmehr entschieden dagegen erklärt haben.
Ich nehme deshalb Veranlassung, Ew. Wohlgeboren auf einige Haupt-Nachtheile und Übelstände, welche das Feiern von drei Schützenfesten verursacht resp. herbeiführt, aufmerksam zu machen.
1. Die Gesellschaften der Ackerknechte und Handwerks-Gesellen bestehen jede aus ungefähr 20 bis höchstens 25 jungen Leuten, worunter sich Manche befinden, die kaum 3 Jahre aus der Schule entlassen sind. Ohne Aufsicht ihrer Eltern und Dienstherrschaften, die Beispiele der größten Rohheiten und der lasterhaftesten Handlungen vor Augen, laufen diese jungen Leute Gefahr in moralischer Beziehung für ihr ganzes Leben verdorben und verloren zu sein; denn, daß bei solchen Gelagen, wie sich seither hier gehalten sind, alle Moral und jedes Schamgefühl untergraben wird, und wie es überhaupt in dieser Beziehung mit der hiesigen Jugend steht, davon zeugt schon der schlechte Ruf, der sich über Westernkotten leider in der ganzen Jugend, und ganz besonders in neuerer Zeit verbreitet hat.
2. In Betreff der ungeheuren Kosten, welche die drei Feste erfordern, will ich nur auf die Ausgaben für Musik, Beleuchtung, Miethe von Tanzsaalen und Zelten hinweisen, welche sich allein schon auf 200 Thaler belaufen, so daß jeder Schütze ein Gelaggeld von 1 Thaler 10 Silbergroschen bis 1 Thaler 15 Silbergroschen bezahlen muß. Manchem der jungen Leute fällt es schwer einen so hohen Betrag von seinem Lohn zu erübrigen und wird nicht selten einem solchen Veranlassung zur Veruntreuung gegeben.
Es gibt viele unter den Mitgliedern der drei Schützen-Gesellschaften, die sich nicht begnügen, das Fest ihres Vereins mitzumachen, sondern sie feiern alle drei Gelage mit und wird nicht selten die Ackerwirtschaft, das Handwerk aufs schändlichste vernachlässigt und dazu noch so mancher Thaler ins Wirthshaus gebracht.
Alle diese Übelstände werden durch die Vereinigung zu einem Feste, wenn auch nicht ganz und gar beseitigt, so doch bedeutend verringert, denn dann überwacht der Vater seinen Sohn, die Mutter ihre Tochter, der Herr seine Dienstboten und der Meister seine Gesellen, und wird dadurch doch manchem Vergehen gegen Ordnung und gegen die Sittlichkeit ein Hindemiss gelegt.
Ferner werden die Kosten selbstverständlich so bedeutend geringer daß dann jeder Schütze einen Beitrag von höchstens 12 bis 15 Silbergroschen zahlen wird.
Die Versäumnisse endlich werden um 2/3 vermindert und auch die Gelegenheiten zum Schwärmen, Saufen, Spielen und Verschwenden werden ebenso dadurch vermindert.
Ew Wohlgeboren ersuche ich nun ganz ergebenst, die Ertheilung der Tanz-Conzession den hiesigen Ackerknechten und Handwerksgesellen zu verweigern und dieselben auf den von mir ihnen gemachten Vorschlag hinzuweisen.“
Hier wird schon deutlich, daß Jesse, nachdem sein Plan auf freiwilliger Basis nicht funktionierte, nun mit dem Druckmittel nicht erteilter Konzessionen arbeiten wollte. Hören wir. was der Amtmann antwortet.
Antwortschreiben des Amtmanns vom 5. Juni 1858
An den Gemeindevorsteher Herrn R. Jesse mit dem Bemerken retour, daß ich mit dem nebenstehenden Vorschlag, die in Westernkotten bestehenden 3 Schützen-Gesellschaften zu einem Vereine zurückzuführen, aus den angegebenen Gründen durchaus einverstanden bin.
Die bei mir vorgestern gewesene Deputation der Handwerker, welche den Antrag stellte, daß es beim Alten bleiben möge, habe ich durch genügende Vorhaltungen so ziemlich bereit gemacht, sich in die vorgelegte neue Einrichtung zu fügen, während die heute hier gewesenen Abgeordneten der Ackerburschen erklärten, daß sie sich nicht dazu verstehen könnten,
1. Weil ihr Fest schon seit 1717 wo es durch einen Bredenoll gestiftet, bestanden,
2. Weil die Männer in Westernkotten sich dahin alle geäußert hätten, daß sie das Fest nicht mitmachen könnten, wenn die Ackerknechte und sonstigen jungen Leute dieselben vereint mit ihnen feiern sollten, da dann die Häuser leer stehen würden.
3. Weil im vorigen Jahre 3 Mitglieder des Männer- Vereins eine sehr theuere neue Fahne, welche noch nicht bezahlt sei, angeschafft hätten, wozu sie dann betragen muss.
4. Weil ihnen das veränderte Fest theuerer kommen würde, da sie für ihr_(?) und 1 Thaler und 4 Silbergroschen Beitrag zu geben hätten.
Sie wollten diese gemachten Einwendungen vorerst noch näher prüfen, dann über den Grund oder Ungrund sich näher äußern.“
Jetzt war Reinhard Jesse wieder am Zuge. Aber der lässt nicht locker Schon 4 Tage später antwortet er dem Amtmann
Rückantwort an den Amtmann vom 9 Juni 1858
Dem Herrn Amtmann Schlünder mit dem ergebensten Bemerken wieder vorzulegen, daß ich in Betreff der von den hiesigen Ackerburschen gemachten Einwendungen Folgendes erwidere:
ad 1. Daß das Schützenfest schon seit 1717 bestanden haben soll, will ich nicht bestreiten, ich kann hierin jedoch keinen Grund finden, der gegen die gepl. Vereinigung spräche, indem durch letztere das Fest oder die Gesellschaft der Ackerburschen nicht aufgelöst wird, sondern nach wie vor bestehen bleibt mit der einzigen Änderung, daß sie ihr Fest gleichzeitig und vereint mit Andern feiern. Auch bleibt es ihnen unbenommen, ihre Abzeichen, Fahne und sonstige Werth-Gegenstände durch Leute ihres Vereines ganz in der bisherigen Weise tragen und bewahren zu lassen.
ad 2. Die Äußerung der Männer über die neue Einrichtung ist ganz die entgegengesetzte von der welche Ihnen durch die Ackerknechte mitgetheilt worden ist, natürlich einige Ausnahmen abgerechnet, denn wie überall bei jeder guten Sache sich Gegner finden, die alles aufbieten, um sie zu vereiteln, so fehlen auch hier nicht diese. Mehrere Tagelöhner, die sonst nicht im Stande waren, wegen des hohen Beitrages das Schützenfest mitzumachen, haben erklärt, daß, wenn das Fest vereint seie, sie auch mit beitreten würden, da doch dann der Beitrag ein höchst geringer sein würde.
Der Einwand, daß die Häuser leer stehen würden, ist allerdings von manchen Männern anfangs gemacht worden, jedoch nachdem ich ihnen vorstellte, daß auch dann, wenn die Feste einzeln gefeiert würden, manches Haus leerstehe, da die Junggesellen nicht allein ihr Fest mitmachen, sondern auch auf dem Männer-Schützenfeste stets zu finden seien und daß ferner in den meisten Häusern doch irgendeine Person seie, die das Fest nicht mitmachte und endlich wie in so manchen anderen Orten ein solches Schützenfest gehalten würde, haben sie schließlich keine Bedenken mehr getragen, auch diesen Einwand fallen zu lassen.
ad 3- In Betreff der neuen Fahne hat der Vorstand der Männer erklärt, daß dieselbe bereits theilweise bezahlt sei und sie zur Aufbringung des Restes die Beiträge der Männer um etwas zu erhöhen würden, weshalb auch dieser Einwand unbegründet erscheinen dürfte.
ad 4. Daß bei einem Schützenfest, woran sich die drei bis vierfache Zahl der Schützen betheiligt als bei jedem einzelnen gefeierten, der Beitrag für jeden höher sein soll, das bedarf wohl gar keiner Widerlegung.
Ew Wohlgeboren ersuche ich nun ganz ergebenst, sowohl den Ackerknechten als auch den Handwerkern resp. deren Vorständen nach Vorstehendem Ihre Erklärung schriftlich einhändigen zu lassen.“
Der Amtmann stimmt dieser Argumentation zu (schriftlicher Vermerk) und schickt den Vorgang zur Kenntnis an den Landrat Freiherrn von Schorlemer in Lippstadt. Dieser hat mittlerweile eine Eingabe der Ackerknechte auf dem Tisch, denn in der Akte befindet sich die Durchschrift seines Anschreibens an „die Ackerknechte Adolph Lüning und Genossen“ vom 29 Juni 1858, das in gewisser Weise einen Schlussstrich unter den ganzen Vorgang zieht.
Schreiben des Landrats an den Vorstand des Schützenvereins der Ackerknechte
„Die gute Absicht des Vorstehers Jesse, die dort bestehenden verschiedenen Neben-Schützenvereine mit dem auf Statuten gegründeten und von den höheren Behörden allein bestätigten Männer-Schützenvereine zu vereinigen, wodurch schon die über Gebühr sich wiederholenden Tanzlustbarkeiten und Trinkgelagen in Westernkotten den dortigen finanziellen Verhältnissen ganz entsprechend vermindert werden, kann ich, wie Ihnen auf Ihre Eingabe vom 12. d. M. eröffnet wird, nur billigen.
Dieserhalb muß ich mich auch mit der vom Herrn Amtmann Schlünder beabsichtigten, dieses Vorhaben befördernden Maßnahme einverstanden erklären, wonach er von der ihm zustehenden Befugnis Gebrauch machend, nur dem Männerschützen-Verein die Erlaubnis zum öffentlichen Aufzuge und zur Tanzmusik ertheilen will, und liegt keine Veranlassung vor meinerseits diese seine Anordnung aufzuheben. – Es kann Ihnen daher nur überlassen bleiben, sich dem Männerschützen-Vereine, welcher nicht dagegen ist, anzuschließen.“
Dieser Zusammenschluss ist dann auch erfolgt, das Protokollbuch des Schützenvereins datiert ihn auf den 17. Juli 1858. — So hat der Gemeindevorsteher Jesse durch sein beharrliches Bestreben, die Zersplitterung im Schützenwesen aufzuheben, den Grundstein gelegt für die Tatsache, dass der Schützenverein Bad Westernkotten heute mit zu den größten im Altkreis Lippstadt gehört.