Von Wolfgang Marcus [aus: Aus Kuotten…1992, Nr. 42]
Im Sommer dieses Jahres bekam ich unerwartet Besuch aus dem schönen Örtchen Kleinenberg, einem Stadtteil von Lichtenau bei Paderborn: Herr Hans-Günter Borgmeier vom Förderverein „Heimathaus Kleinenberg“ war nach Bad Westernkotten gekommen, um Spuren eines für Kleinenberg äußerst bedeutsamen Pfarrers zu suchen: Heinrich Winnimar Leiferen, gebürtig aus Westernkotten.
Schnell kamen wir ins Gespräch, und ich konnte Herrn Borgmeier mit Hilfe unseres dicken Heimatbuches auch schnell weiterhelfen: Einige Angaben über Pfarrer Leifferen finden sich auf der Seite 321, seine Brüder werden auf der Seite 319 erwähnt.
Mein Gast schilderte mir in groben Zügen die besondere Bedeutung Pfarrer Leifferens für Kleinenberg. Und wir kamen überein, dass im Frühjahr des nächsten Jahres unser Heimatverein eine Exkursion nach Kleinenberg unternehmen wird, um vor Ort etwas über dieses Kind unserer Gemeinde zu erfahren.
Als „Einstimmung” auf diesen geplanten Besuch möchte ich nachfolgend einige Passagen aus dem Büchlein von Heinrich Rüthing „Ein Gottesmann der Tat, Pfarrer H.W. Leifferen“, Kleinenberg 1954, zum Abdruck bringen. W. Marcus
„…Wer heute die wunderbare barocke Wallfahrtskirche in Kleinenberg betritt oder in stiller Andacht versunken die breite Kreuzwegallee zum Hohen Kreuze hinaufgeht, muss eines Mannes in tiefer Dankbarkeit gedenken, der diese herrlichen Schöpfungen als sein ganz persönliches Werk schuf und Sich um die innere und äußere Gestaltung der Kleinenberger Wallfahrt die allergrößten Verdienste erwarb, des Pfarrers Heinrich Winnimar Leifferen. Sein Name ist nur den allerwenigsten Wallfahrern geläufig: die Wallfahrtskapelle jedoch und auch die Pfarrkirche, die beide von ihm erbaut wurden, halten die Erinnerung an ihn für immer lebendig.
H. W. Leifferen verwaltete von 1720 – 1779 die Pfarrstelle in Kleinenberg. Seine Wiege stand in dem kleinen Sälzerdörfchen Westernkotten bei Lippstadt, wo er am 21. Sept. 1694 als 6. Kind der Eheleute Anton Leifferen und Margarete, geb. Weimeck das Licht der Welt erblickte. In der Pfarrkirche zu Erwitte erhielt er bei der Taufe die Namen Heinrich-Winnimar. Im Kreise seiner acht Geschwister verlebte er eine frohe und ungetrübte Jugend. Die Eltern gaben ihren Kindern durch Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit das schönste Beispiel, so dass es uns beinahe als eine Selbstverständlichkeit erscheint, dass drei ihrer Kinder sich entschlossen, Priester zu werden. Zwei wurden Ordenspriester und traten dem Benediktinerorden beil.
Der Ort Kleinenberg war damals schon wegen seiner Marienwallfahrt weithin berühmt, die Pfarrei selbst jedoch arm, und die Einkünfte des Pfarrers sehr gering. Wie vielerorts herrschten auch unter der Kleinenberger Bevölkerung in religiösen Dingen Lauheit und Gleichgültigkeit. Die schädlichen Folgen des 30jähigen Krieges waren noch zu deutlich verspürbar. Der junge Pfarrer Leifferen nimmt sich vor, hier grundlegenden Wandel zu schaffen. Er ist sich von vornherein klar, dass das keine leichte Aufgabe für ihn ist; aber sein grenzenloser Idealismus und seine tiefe Liebe zur Gottesmutter, die ihm seine anhaltende Treue so sichtbar lohnt, lassen, Ihn aller Schwierigkeiten Herr werden.
Da, wo heute im Kranze schattiger Linden die stattliche Barockkirche sich erhebt, die nach dem Urteil eines anerkannten Kunsthistorikers ein Juwel unter den Barockkirchen des Paderborner Landes ist, stand um 1720 noch eine kleine, aus Fachwerk errichtete Kapelle, die ein frommer Klausner in seine besondere Obhut genommen hatte. Wir können uns eine ungefähre Vorstellung von der Größe dieser Kapelle machen, wenn wir hören, dass sich ursprünglich kein Altar in ihr befand. Sie konnte darum auf die Dauer auch den bescheidensten Ansprüchen nicht genügen. Nachdem Leifferen zunächst für eine gründliche Instandsetzung gesorgt hatte, reift in ihm langsam der Entschluss, anstelle dieser unscheinbaren Kapelle einen größeren Steinbau zu setzen. Eifrige Förderer dieses Vorhabens sind vor allem der Paderborner Weihbischof Meinwerk Kaup und der Abt Antonius Bönig von Hardehausen, die beide zu den engsten Freunden Leifferens zählen, sowie zahlreiche Wallfahrer aus nah und fern. Ihnen kann es gar nicht schnell genug gehen.
Der Bauplan, das Werk ungezählter durchwachter Nächte und, soweit wir aus den überlieferten Nachrichten folgern dürfen, im Wesentlichen auch von Leifferen selbst entworfen, liegt nach behördlicher Genehmigung endlich fertig vor. Mit dem Brechen der Steine wird 1737 im Hardehauser Walde am alten Mickenpatt begonnen. Leifferen will nicht nur Anreger und Befürworter seines Planes sein; er will allen als leuchtendes Beispiel vorangehen. Vor keiner Arbeit scheut er zurück und steht täglich, bei Wind und Wetter, mehrere Stunden im Steinbruch. Der Beginn der eigentlichen Bauarbeiten ist auf den Spätsommer des Jahres 1739 festgesetzt. Da bricht am 25. August, nachmittags um 4 Uhr, durch die Unachtsamkeit eines Ehepaares verschuldet, eine schwere Brandkatastrophe über die nichtsahnende Stadt herein, der innerhalb weniger Stunden ein ganzer Stadtteil zum Opfer fällt, darunter auch das Pfarrhaus. Viele wertvolle Aufzeichnungen gehen verloren. Beinahe hätte das Feuer sogar die ganze Stadt vernichtet. Den jungen Pfarrer trifft dieser Schlag schwer. Er war bei dem Brande selbst nicht zugegen und hat außer dem Brevier, das er bei sich trug, nichts gerettet. Bei seiner Rückkehr sieht er die vielen Pfarrkinder, die trostlos vor den Trümmern ihres irdischen Glückes stehen und fassungslos einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Zu ihnen geht er hin, spricht ihnen Trost zu und stellt ihnen sofort das von ihm kurz zuvor erbaute Wallfahrerhaus zur Verfügung, in dem auch er für die nächsten Monate Wohnung nimmt. Der Glut des alles verzehrenden Feuers konnte wohl seine gesamte irdische Habe zum Opfer fallen, nicht aber sein Idealismus, der in diesen Stunden härtester Prüfung zum Opferbrande entfacht wird.
Der Wiederaufbau der zerstörten Wohnhäuser und des Pastorats wird beschleunigt vorangetrieben. Alles andere muss vorläufig zurückstehen. Kaum aber sind die letzten Hammerschläge getan, da kehrt Leifferen zu seinem Lieblingsplan zurück und greift ihn mit verstärkter Energie wieder auf. Am 12. Mai 1742 wird der Grundstein zur neuen Wallfahrtskirche gelegt.
Es kennzeichnet Leifferens forsche Art, dass er auch jetzt wieder selbst mit Hand anlegt. Die Handarbeit wird ihm zum Gottesdienst. Frühmorgens schon, ehe er an den Altar tritt, und spätabends noch, wenn die anderen längst zur Ruhe gegangen sind, sehen wir Ihn mit Hacke und Spaten im Steinbruch oder auf der Baustelle. Mit seinen eigenen Pferden, die er sich als Landpfarrer hielt, führt er während der Bauperiode, die sich über Jahre erstreckt, im Ganzen mehr als 450 Fuhren durch, die bei den äußerst schlechten Wegeverhältnissen und der vielerorts herrschenden Unsicherheit für ihn nicht gerade ungefährlich waren und rein physisch an seinen Körper höchste Anforderungen stellten. Ganze Tage und oft auch Nächte hindurch ist er unterwegs. Bis nach Ansfeld im Sauerlande geht sein Weg, um den Schiefer herbeizuholen. Von Rhoden besorgt er sich den Gips. Die Anstrengungen sind nicht umsonst gewesen.
Es ist Frühjahr geworden. Die saftigen Talwiesen am Hang der Egge sind mit Himmelsschlüsseln übersät. Vom blauen Himmel lacht die Sonne. Der Bau der neuen Wallfahrtkirche macht rüstige Fortschritte. Die 1,25 m dicken Bruchsteinmauern sind längst über die Fensterhöhe hinaus gediehen. Langsam denkt man schon an den Tag des Richtfestes, der feierlich begangen werden soll, da trifft am 10. September 1743 die Stadt ein neues Brandunglück und Iegt in weniger als einer Stunde 40 Wohnhäuser ohne die dazugehörenden Nebengebäude und die alte Pfarrkirche in Schutt und Asche. Das war ein noch härterer Schlag als der erste. Das Gotteshaus, die Heimat aller, ist zur Ruine geworden. Die Stadt blutet aus ungezählten Wunden. „Ach, die Stimme, die Feder, versagen ihren Dienst.” Mit diesen Worten beginnt Leifferen seine Eintragung in die von ihm geführte Chronik. Deutlich sieht man es, die Hand mit den markanten Schriftzügen hat gezittert, als sie diese furchtbare Botschaft zur dauernden Erinnerung niederschrieb. Einen Augenblick droht Leifferen niederzubrechen, aber nur einen Augenblick. Dann rafft er sich auf. Hunderte rufen nach Ihm und sehen in ihm den einzigen Retter aus Not und Verzweiflung.
Bergehohe Schwierigkeiten türmen sich vor ihm auf. Was soll aus dem niedergebrannten Gotteshause werden? Der Winter steht nahe vor der Tür! Die eigenen Pfarrkinder bringen den Sorgen ihres Pfarrers wenig Verständnis entgegen. Viele verweigern ihm jegliche Hilfe. Sie haben mit sich selbst genug zu tun. Nörgler sind da, die es immer gibt. Sie hätten den lästigen Pfarrer gern entfernt. Es sind schwere Stunden, die Leifferen durchzustehen hat, ganz allein ohne Ratgeber und Helfer. Die Zeit duldet keinen Aufschub, Regen und Schnee finden ungehindert Einlass ins Gotteshaus.
Was soll aus dem bedrohten Gewölbe werden? Ähnlichen Gefahren ist die Wallfahrtskapelle ausgesetzt. Nach langen, reiflichen Überlegungen entschließt sich Leifferen, die Arbeiten an der Kapelle beschleunigt voranzutreiben. Im Rosenkranzmonat, am 4. Oktober 1743, wird der Dachstuhl aufgesetzt. Leifferen ist tief gerührt, als er am Morgen auf der Baustelle erscheint und Zeuge der Treue und Anhänglichkeit so vieler Freunde und Wallfahrer wird, die herbeigeeilt sind, um zu helfen und ihn und seine verarmte Gemeinde gerade jetzt in den Stunden größter Heimsuchung nicht im Stich zu lassen. Der ganze Konvent des Klosters Hardehausen mit dem Prior an der Spitze hat sich eingefunden. Patres und Fratres, 24 an der Zahl; dazu sämtliche Bedienstete des Klosters, Knechte und Diener. Von den treuen Wallfahrern fehlt keiner, Leifferen ist keines Wortes fähig. Mit Handschlag begrüßt er jeden Helfer persönlich. Anders vermochte er seinen Gefühlen keinen Ausdruck zu geben.
Viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren. Es geht mit Riesenschritten auf den langen Winter zu. Als die letzten Schieferplatten gelegt werden, tragen die Eggewälder schon ihr Winterkleid. Das Innere der Kapelle erhält vorläufig. eine notdürftige Ausstattung, damit während der Zeit des Wiederaufbaues der Pfarrkirche der Gottesdienst in der Gnadenkapelle abgehalten werden kann. Am 30. November trägt der Abt Antonius Bönig in feierlichem Zuge das alte Gnadenbild aus der zerstörten Pfarrkirche in die noch unfertige Kapelle. Eine große Anzahl Geistlicher und Giläubiger ist Zeuge der Heimkehr des glücklich geretteten Gnadenbildes.
Den ganzen Winter über verbringt Leifferen mit Planungen für den Wiederaufbau der Pfarrkirche, der, sobald es die Witterung nur zulässt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in Angriff genommen werden soll. Was soll werden, wenn sich die geldliche Lage nicht bessert? Ungezählte Bittbriefe, mit dem Federkiel geschrieben, wandern zu Freunden und Bekannten ins Land. Bei vielen spricht der verarmte Pfarrer persönlich vor., Er bettelt für seine Kirche und seine Pfarrkinder. Was er nicht unbedingt zum Wiederaufbau des Gotteshauses benötigt, erhalten die Armen, die sonst nie wieder zu einem Eigentum kämen. Am 15. März 1749 feiert Leifferen zum ersten Male wieder das heilige Opfer in der Pfarrkirche…“