Militär-Einquartierungen in der Gemeinde Westernkotten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Von: Wolfgang Marcus
Erstabdruck: Heimatblätter Lippstadt 1990, S.138 – 142
Im Stadtarchiv Erwitte befindet sich im Bestand „Gemeinde Westernkotten“ ein Aktenband „Militär-Einquartierungen in der Gemeinde Westernkotten betreffend“ [Transkription: Erwin Schöneweiß †], der den Zeitraum 1829 bis 1847 umfasst. Einzelne lose Schreiben, dem gebundenen Aktenband beiliegend, reichen bis 1857 Der Aktenband gibt Aufschluss über die Abwicklung und Anzahl solcher Einquartierungen, ist aber durch die vorhandenen Quartiergeber-Listen [im Heimatbuch von 1987 eingearbeitet] auch ein wertvolles Hilfsmittel zur Hausstätten- und Familienforschung.
Beschwerde der Freifrau von Papen gegen die ihrem Haus zugemuteten Einquartierungen
Der genannte Aktenband beginnt mit einer Einquartierungsliste, die der Ortsvorstand, bestehend aus den Herren Hoffbauer als Deputiertem, Hollenbeck und Fr Jesse, am 6. Juli 1829 aufgestellt hat [Abschrift im Nachlass Eickmann, Nr. 38]. Darin wird festgelegt, wieviel von insgesamt 430 Soldaten die einzelnen Häuser des Dorfes, damals knapp 200, aufzunehmen hatten. Während darin die meisten Häuser nur 1 bis 3 Soldaten aufzunehmen hatten, sind es für den Weringhoff 12, für Anton Jesse auf dem Domhof 15, für Joh. Löper 15 und für Frau von Papen 50 Soldaten und 2 Offiziere.
Diese hohe Zahl beanstandet der Rentmeister Franz Erdmann, der im Rentei-Gebäude Ecke Nordstraße / Leckhausstraße wohnte, im Auftrag der Freifrau von Papen in einer Eingabe vom 9. 7. 1829 mit Hinweis auf nicht ausreichend vorhandenen Wohnraum für so viele Einquartierungen. [Die Eingabe wird zitiert, ist aber im Aktenband nicht vorhanden]
Aus dem sich anschließenden Rechtsstreit wird das Verfahren bei Einquartierungen, aber auch das gespannte Verhältnis vieler Dorfbewohner zu dem adeligen Grundeigentümer von Papen deutlich. Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Einquartierung von Soldaten damals eine Verpflichtung war die jeder Hauseigentümer zu tragen hatte. Die Ortsvorstände bzw. Gemeindevorsteher waren verpflichtet, eine Quartierliste aufzustellen, in der die Zahl der Zuteilungen nach Geräumigkeit der Häuser aber auch nach dem Grundbesitz und der Wohlhabenheit der Einwohner festgelegt wurde. Wenn eine Militär-Bewegung an- stand, wurde der Bürgermeister in Erwitte informiert, der dann die Ortsvorstände veranlasste, die einzelnen Quartiergeber entsprechend zu informieren, in der Regel durch Ausschellen durch den Polizeidiener. Nach Abzug des Militärs erhielt jeder Quartiergeber pro Tag und Mann 5 Silbergroschen, d. h. ein Sechstel Taler.
Nun zu dem konkreten Rechtsstreit: Freifrau von, Papen berief sich darauf, dass sie zu wenig Wohnraum zur Unterbringung von 52 Soldaten habe und auch in der Wohnung des Rentmeisters dafür nicht genug Platz sei.
Das wiederum veranlasste den Ortsvorstand von Westernkotten, ebenfalls an die Königliche Regierung in Arnsberg zu schreiben. Darin heißt es unter anderem: „erlauben wir uns noch die Bemerkung, dass die Freifrau von Papen den sechsten Theil des Grundvermögens an der hiesigen Gemeinde besitzt, dieses ihres Grundvermögens aber nicht in festen Colonaten von den Einsassen benutzt wird, sondern in läufiger Zeitpacht sich befindet, daher der höchstmögliche Ertrag davon erzwungen wird. Außerdem ist der größte Theil der Grundstücke der hiesigen Flur zehntbar an diese Receptur und ein Sechstel der Saline in deren Besitz.“
Eine erste Stellungnahme der Königlichen Regierung in Arnsberg vom 16. 7 1829 gab der Klägerin insoweit Recht, als darauf verwiesen wurde, dass zunächst die Geräumigkeit der Häuser das Kriterium der Zuteilung sein müsse und dann erst der Wohlstand der einzelnen Eigentümer
Nach reiflicher Überlegung machte daraufhin der Ortsvorstand von Westernkotten eine Eingabe an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen Freiherrn von Vincke zu Münster Wegen seiner Bedeutung ist dieser Text hier vollständig wiedergegeben:
„Verhandelt Westernkotten, den 8. May 1830. Der heute versammelte Ortsvorstand findet gegen die wegen der Einquartierungslast im vorigen Jahre eingereichte Beschwerde des Herrn Rentmeisters Erdmann darin bestehend, dass der Gutsbesitz der Freifrau von Papen zu hoch belegt sey und die darauf von Hochlöblicher Regierung erlassene Verfügung, nach welcher die Einquartierung nach der Erwerbsfähigkeit der Einwohner und dem Raum ihrer Wohnungen repartirt, besonders aber auf die letzteren Rücksicht genommen werden soll, weil die Einquartierung keine Reallast sey zu folgender gehorsamster Vorstellung veranlasst.
Von jeher hat hier die Observierung stattgefunden, dass die Einquartierung nach dem Grundbesitz und der Wohlhabenheit der Einwohner vertheilt worden ist, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob der erforderliche Raum da sey oder nicht, weil es hier nicht an Gelegenheiten fehlt, die Einquartierung gegen besondere Vergütung bei den Einsassen unterzubringen.
Diese Observierung scheint uns ganz der Billigkeit gemäß zu sein, indem die Einquartierung allerdings eine Last ist und die Vergütung von 5 Sgr. pro Mann und Tag mit den Unkosten nicht im Verhältnis steht, welches die Verpflegung eines Militärs erfordert. Die letzte hier stattgefundene Einquartierung hat dieses an den Tag gelegt, indem die hiesigen Wirthe und andere Personen unter 10 Sgr. Vergütung keine Einquartierung für solche Individuen, welche dieselben gesetzlich nicht aufzunehmen, verbunden sind, nicht annehmen wollten!
Sollte nun nach der Verfügung Hochlöblicher Regierung durchaus verfahren werden müssen und keine Abänderung derselben erlangt werden können, so dürfte, wenn auf den Raum der Häuser und Wohlhabenheit der Einwohner allein Rücksicht genommen werden müsste, die geringen und der größte Theil der mittleren Klasse der Einwohner nicht mit Einquartierungen belegt werden, weil es an diesem gewissen Raum mangelt, da sie gewöhnlich nur eine Stube und 1 oder 2 Schlafstuben zu ihrem eigenen nöthigen Gebrauche besitzen.
Von den 200 Häusern, aus welchen der hiesige Ort besteht, könnten dann höchstens nur 30 bis 40 Haushaltungen mit Einquartierung belegt werden. Und wie wollten diese, wie es wohl oft der Fall gewesen ist, eine Einquartierung von 600 bis 700 Mann fassen können und wie sehr würden diese darunter leiden, wenn z. B. das Manöver in hiesiger Gegend abgehalten werden sollte, von der Dauer solcher Einquartierungen, 20 und mehrere Tage währt.
Der Umstand, dass die Freifrau von Papen unter anderem ihre Gebäude, welche die ihr zukommenden Einquartierungen hinreichend fassen könnten, theils abgebrochen, theils verkauft hat, kann keine Veranlassung geben, dass sie von der Einquartierungslast entbunden wird, da sie die Güter noch besitzt, welche sie früher hatte und noch durch Ankauf vermehrt, es dürfte daher nur dem Ortsvorstande zur Pflicht gemacht werden, für die Unterbringung der Einquartierung, welche die Wohnung des Herrn Rentmeisters Erdmann nicht fassen können, zu sorgen, falls Letzterer sich dazu nicht bereitfinden dürfte und hiermit übernommen wird, vorausgesetzt gegen die Vergütung, welche billigste von Wirthen und anderen Personen, welche Raum dafür haben, erfordert wird.
Auch der Umstand rechtfertigt unsere gerechte und billige Bitte, dass Hochlöbliche Regierung Hochgeneigt, die hier stattfindende Observierung bei den Einquartierungen ferner gelten lassen möge, da die Güter der Freifrau von Papen in einer hohen Pacht an die hiesigen Einsassen verpachtet sind, daher diesen ohne ihren größten Nachtheil, da sie kaum die Pachtgelder aufbringen können, nicht zugemuthet werden kann, die Einquartierungen für dieselben aufzunehmen, weil sämmtliche Lasten zu tragen die Gutsherrschaft sich Vorbehalten hat, mithin auch hinsichtlich der Einquartierung davon nicht entbunden werden kann, was auch der verstorbene frühere Rentmeister der Freifrau von Papen, Herr Cordes, wohl gewürdigt, und jederzeit die ihm zugewiesene Einquartierung angenommen hat, nachdem er auf eine ähnliche Reclamation dagegen abschlägig beschieden worden war
Da nun gar der Herr Rentmeister Erdmann sich zur Aufnahme von durchaus keiner Einquartierung verstehen will, und vorgibt, die vorhandenen Locale seiner Wohnung theils zum eigenen Gebrauche, theils zum Gebrauche bei Anwesenheit seiner Herrschaft nöthig zu haben, so würde daraus ein für die hiesigen, größtenteils in eingeschränkten Vermögensumständen sich befindenden Einwohnern ein nicht zu berechnender Nachtheil erwachsen, welcher nach Möglichkeit abzuwenden der Ortsvorstand sich auf’s dringendste veranlasst findet.
Derselbe legt daher die zur Zeit der Verwaltung des Bürgermeisters Griesser aufgenommene, genau nach Vermögen und Erwerbsmittel geprüfte Repartitiones Liste über die Einquartierungslast, ganz den Mitteln der Einwohner angemessen aufgestellt, gehorsamst hieran, mit der Bitte, dies bei den vorkommenden Einquartierungen gelten zu lassen.
Der Ortsvorstand Fr Jesse, Löper, Hollenbeck“
Der Oberpräsident, der sich der Sache persönlich annahm, gab dem Ortsvorstand mit Schreiben vom 2. 7 1830 im Prinzip Recht, musste sich aber im Laufe des Verfahrens eines Besseren belehren lassen: Das eingeschaltete Innenministerium in Berlin bestätigte nämlich die Entscheidung der Königlichen Regierung in Arnsberg vom 16. 7 1829 „dass die Einquartierung auf dem Grunde eines, nach dem Miethwerten und der Belegbarkeit der Häuser und der Berücksichtigung des in der Gemeinde liegenden Vermögens ihrer Besitzer von den Ortsvorständen zu verwendenden Katasters auf die Häuser vertheilt wird.“
Konkret hatte dies zur Folge, dass unter dem Vorsitz des Herrn Landrats von Schade eine neue Quartierliste angelegt wurde, die zunächst einmal das Gesamtkontingent für Westernkotten auf 459 Mann erhöhte. Der Freifrau von Papen wird dann unterm 1. 10. 1832 folgendes mitgeteilt: „der auf ihre Besitzung fallende Antheil einer Einquartierung von 459 Mann verhältnismäßig auf 60 Mann festgesetzt worden ist. Die Einsicht der bei der Ortsbehörde ersten liegenden Quartierliste wird Sie von der Angemessenheit dieser Vertheilung überzeugen. Bei der Einrichtung Ihrer dortigen Wohnung, bestehend aus 8 Stuben und einer Kammer auf dem Kornhause nebst Stallung von 50 Pferden ist das Maximum der auf einmal(!) ihnen zuzulegender Einquartierung auf 2 Offiziere und 18 Mann bestimmt worden, welches mit dem disponierten Raum von 9 Zimmern nicht im Missverhältnis steht, nachdem die übrigen Bewohner noch drei Zimmer zu ihrem Gebrauch behalten.“ – Also statt 52 Soldaten jetzt 20: Der Rechtsstreit hatte sich für von Papen gelohnt, zu Lasten der anderen Einwohner.
Damit war zwar Klarheit geschaffen, aber Reibereien hat es auch weiterhin gegeben. So stritt man sich zum Beispiel 1850 darum, ob Offiziersburschen und Pferdeburschen zusätzlich zu den vorgesehenen 18 Gemeinen von von Papen aufzunehmen seien oder nicht.
Einquartierungen in den Jahren 1843—1847
Weitere konkrete Angaben in der o. g. Akte finden sich sodann für die Jahre 1843 bis 1847 So musste am 8. 9 1843 der Ersatz für die Festungs-Reserve Artillerie und Pionier Compagnien in Luxemburg“ bestehend aus 1 Offizier 14 Unteroffizieren, 1 Chirurg und 81 „Gemeinen“ auf dem Marsch von Paderborn nach Köln einquartiert werden. Der Offizier sowie 18 Gemeine wurden laut Quartierliste des Ortsvorstandes (Gemeindevorsteher Rentmeister Erdmann, Gemeindeverordnete Franz Jesse und Löper) bei Frau von Papen untergebracht. Bei der anschließenden Auszahlung der Quartiergeber wurden gleich die Schulden, die einzelne Bewohner noch bei der Gemeindekasse hatten, verrechnet.
Am 2. 11. 1843 zeigte der Amtmann Schlünder in Erwitte an, dass am folgenden Tage ein von Paderborn kommendes Militärkommando des Königl. 34. Infanterie-Regiments, 400 Mann stark, in Erwitte einquartiert werden müsse. Er bat den Gemeindevorsteher Erdmann darum, 200 Soldaten auf Westernkotten zu übernehmen. Die Ablehnung des Westernkötter Ortsvorstandes kam prompt: Wegen der zu kurzen Frist für Unterbringung und Verpflegung und weil „namentlich ist kein Loth Fleisch in Westernkotten zu haben.“(!)
Am 17 12. 1843 mussten 1 Hauptmann, 3 Lieutenants, 1 Chirurg, 9 Unteroffiziere und 307 Gemeine der Reserve-Mannschaft des 34. Königl. Infanterie-Regiments einquartiert werden. Auffallend an dieser und den folgenden Quartierlisten ist, dass im Einzelfall aus sozialen Gründen (Krankheit, Wöchnerinnen im Haus, Schwanger Schaft, momentane Armut) von einer Einquartierung abgesehen wurde. Polizeidiener Kühlen verkündete, dass die Auszahlung der Quartiergeber gegen Vorlage der entsprechenden „Billets“ am nächsten Tage um 4 Uhr nachmittags in der Wohnung des Rentmeisters Erdmann erfolgen sollte. Für 2 für den Marsch von Westernkotten nach Paderborn gestellte zweispännige Wagen wurden 5 Taler und 15 Silbergroschen ausgezahlt.
Am 8. 9 1844 musste ein Kommando des 4. Armeekorps (Festungs-Reserve Artillerie auf dem Marsch von Magdeburg nach Luxemburg) bestehend aus 1 Offizier 1 Chirurg und 94 Soldaten einquartiert und verpflegt werden. In dieser und einigen folgenden Quartierlisten ist auch der Vater des berühmten Mathematikers Weierstrass, der als Salzfaktor das Haus Aspenstraße 8 bewohnte, aufgelistet. Von den 18 bei Freifrau zu Papen unterzubringenden Soldaten nimmt sie nur einen Offizier und einen Gemeinen auf, für die anderen kauft sie Quartiere bei Anton Dietz, Kleine, Rieke und Hiltemann. Engelbert Hiltemann hatte damals dort eine Gartenwirtschaft, wo sich heute das Gasthaus Kemper befindet.
Am 24. 10. 1844 waren 264 Mann eines Kommandos der Gardeoffiziere einzuquartieren sowie 2 spännige Fuhren zu stellen. – Am 27 12. 1844 traf ein Rekruten-Transport des 34. Königl. Infanterie-Regiments ein, am 20. 1.1845 waren es 1 Offizier und 168 Mann desselben Regiments. Rendant König zahlte die Quartiergelder aus.
Die weiteren Einquartierungen in Stichworten: 10. und 11. 9 1845: 3 Offiziere, 7 Unteroffiziere, 1 Chirurg und 181 Gemeine des 34. Inf. Regiments; 24. 10. 1845 2 Offiziere und 301 Gemeine der Garde-Reserve; 27 11. 1845 2 Offiziere und 250 Gemeine eines Rekruten-Transports des 34. Inf.-Reg., 27 12.1846 3 Offiziere und 250 Gemeine Reserve-Mannschaften des 34. Inf.-Reg. Aus dem entsprechenden Schriftverkehr geht hervor, dass die Truppen am 28. bis Soest marschiert sind und dort Quartier bezogen.
Die letzte Seite der gebundenen Akte soll hier zum Abschluss wörtlich wiedergegeben werden, um noch einmal einen Eindruck von der Amtssprache in dieser Zeit zu geben: „Herrn Vorsteher Erdmann, Wohlgeboren, Westernkotten. Das auf hiesiger Etappe am 12ten October eintreffende Detachement verschiedener Truppenteile 8. Armee Korps wird zur Stärke von 1 Offizier 87 Mann auf Westernkotten disloziert, hiervon Euer Wohlgeboren zur bekannten, weiteren Veranlassung benachrichtigt werden. Erwitte, den 7 10. 1847 Der Etappen Commissar Schlünder, Amtmann.“
Unter den anliegenden losen Aktenstücken ist noch ein Protokollblatt aus dem Jahre 1857 interessant. Darin legt die Gemeindeversammlung fest, dass die Witwe Levi Stein die Lieferung der nötigen Fourage für einzuquartierende Kavallerie übernehmen soll, für den Scheffel Hafer erhält sie 2 Taler für den „Centner“ Heu 2 Taler und für das „Schock“ Stroh 10 Taler