1977: Zementindustrie am Hellweg

Von: Von Dipl.-Ing. Edgar Lüüs

Aus: Heimatkalender 1977 des Kreises Soest, Soest 1977, S. 44-48 [im Original auch einige Fotos, weitgehend aus dem Raum Geseke. WM]

Wenn man über die Bundesstraße 1 von Soest nach Paderborn fährt, mag es verwundern, dass in der Bördelandschaft plötzlich Türme und Schornsteine in den Himmel ragen. Bei näherem Betrachten entdeckt man dann, dass es sich hier um Zementwerke handelt, die sich in Erwitte und Geseke konzentrieren. Die Silhouette dieser beiden Städte wird außer ihren hohen Kirchen noch durch die ausgedehnten Anlagen der Zementindustrie geprägt.

WARUM GERADE HIER?

Entscheidend für die Standortwahl dieser Zementindustrie ist das günstige Vorkommen des Rohmaterials. Die Formation Turon der Oberkreide kommt hier mit einer Neigung von drei Grad aus dem Münsterschen Becken heraus und steigt zum Haarstrang hin an. Der Verwitterungsboden ist sehr dünn, so dass schon nach einem Meter Abraum das Kalkgestein an der Oberfläche ansteht. Die Zusammensetzung ist mit ca. 78° CaCO3 Tonerde, Kieselsäure und Eisenoxyd so günstig, dass fast keine weiteren Zusätze für die Zementherstellung benötigt werden. Das gute Rohmaterial ist aber nicht der einzige Faktor für die Entwicklung der Zementindustrie. Mit der Eröffnung der Eisenbahnstrecke Soest – Paderborn am 4. Oktober 1850 ist auch der Transportweg für den Raum Geseke günstig geworden.

Durch die Errichtung der Bahnstrecke Lippstadt – Warstein wurde auch das Erwitter Kalksteinvorkommen an das Schienennetz angeschlossen. Mit der Eröffnung der Strecke Geseke-Büren um 1900 wurden auch südlich von Geseke Werke gebaut, und mit der Errichtung des Industriebahnhofes 1926 bis 1927 wurden abseits gelegene Werksgründungen möglich. Als 1928 die Industriebahn in Erwitte gelegt wurde, begann hier ebenfalls der Bau von Zementwerken.

Auch für die Kalkherstellung ist das Turon-Gestein sehr gut. Wir wissen, dass schon im Mittelalter in Geseke und in Erwitte Kalk gebrannt wurde und der Kalkstein als Rohstein für profane und kirchliche Bauten verwendet worden ist.

ENTWICKLUNG IN GESEKE

Die ersten Kalkbrennereien brannten den Kalk im offenen Feldbrand mit Holzkohle oder Holz. Die Steine wurden aufgeschichtet, mit Lehm abgedeckt und mit Rauchkanälen versehen. Dann wurde in Hauptbrandrichtung eine Feuerungsöffnung angelegt und mit Holz und Holzkohle der Stein gebrannt. So sind sämtliche Kirchen im Hellweg-Raum mit Kalk aus Feldbränden errichtet. Es liegen Urkunden und Rechnungen vor, aus denen hervorgeht, dass das Kloster Liesborn und die Marienkirche in Lippstadt mit Geseker Kalk gebaut worden sind. Später legte man sogenannte Pottöfen in Hanglage oder in Steinbrüchen an, wobei man an eine Wand einen topfähnlichen Ofen mauerte, diesen von unten feuerte und oben die Steine hineinbrachte.

So errichtet 1862 der Maurermeister Fischer einen Kalkofen auf dem Ackhof am Hölter Berg. Ein Jahr später nehmen A. Bergmann und Ed. Homberg aus Westernkotten sechs Kalköfen im Hölter Grund bei Geseke in Betrieb. Nach der Separation geht es dann Schlag auf Schlag weiter, so dass bis 1900 16 Kalkbrennereien in Geseke in Betrieb sind. Nach den Pottöfen werden dann Ringöfen in Betrieb genommen, und diese werden auch schon zur teilweisen Sinterung von Kalk gebraucht. Dieses hydraulische Bindemittel nannte man Naturzement.

In Geseke bringen die Kalkwerke Deneke am 27. 8. 1892 ihr Gelände – direkt an der Eisenbahn Lippstadt – Geseke gelegen – in die Meteor AG, Kalk- und Portlandzementwerke, Geseke, ein. Der Begriff „Portlandzement“ sei kurz erläutert. Der Portlandzement ist benannt nach der englischen Halbinsel Portland. Er hat immer die gleiche Zusammensetzung aus Kalk und Ton und erreicht damit eine genormte Festigkeit (Normung 1878), was beim Naturzement nicht immer der Fall war.

DIE „METEORITEN“

Am 17. 2. 1900 ist die große Einweihungsfeier. Aus der Festzeitschrift, die noch im Hellweg-Museum in Geseke vorhanden ist, hier die erste Strophe des Zementliedes:

„Wohlauf lasst uns singen, ein Festlied dem Zement.

Dem großen Städtebauer, des Namen jeder kennt.

Es hat die Welt erobert, mit Siegen sonder Müh,

der jugendlichen Sprosse, der deutschen Industrie.“

Das Rohmaterial, südlich der Stadt, wurde vom Steinbruch Lehmloch mit Pferdefuhrwerken zum Gelände Meteor an der Bahn gefahren. Das Zementwerk unterhielt für den Transportdamals zwölf Pferde. Jedoch im Jahre 1902 wurde schon eine Schmalspurbahn vom Bruch nach Meteor gelegt, die später elektrifiziert wurde. Das Werk hatte damals 16 Schachtöfen und zwei große Ringöfen. In Zeiten der Hochkonjunktur 1910—1912 wurden noch einmal zehn Schachtöfen im Steinbruch dazu gebaut. Bis 1930 hat dieses Zementwerk bestanden, brannte aber nach dem Ersten Weltkrieg keinen Zement mehr, sondern nur noch Kalk. Der Name Meteor geht wahrscheinlich auf die Sternschnuppen, die Meteoren, zurück. Auf den Jute-Säcken sah man das Forschungsschiff „Meteor“ der kaiserlichen Marine, das um diese Zeit in Dienst gestellt worden ist.

„Meteor Extra“, ein Naturzement, ging in 170-kg-Fässern auch über See. Der Meteor-Zement wurde zum Bau der Bagdadbahn verwendet. Große Ladungen gingen auch 1906 nach San Franzisko, das durch das große Erdbeben zerstört war. 500 Menschen gab dieses Werk Arbeit und Brot. Die Arbeiter kamen aus allen Ländern: Studierte, Adelige, Bauern und Tippelbrüder. Die Beschäftigten nannte man „Die Monarchen von Meteor“ oder auch „Meteoriten“.

WEITERE WERKE

Im Jahr 1902 nahm dann das Zementwerk Victoria Louise, das aus dem Kalkwerk Franz Gröne hervorging, die Zementproduktion auf. Es lag zu beiden Seiten des Hölterweges in der Höhe des heutigen Zementwerkes Anneliese, Werk IV. Es hatte zwei Ringöfen und zwei Drehöfen, wohl die ersten Drehöfen in Deutschland, die zur Zementherstellung benutzt wurden.

Sie wurden gebaut von der Fa. Fellner und Ziegel aus Frankfurt. Fünf Hochschornsteine sorgten für Zug und Entstaubung. Die Befestigung der Insel Helgoland ist mit diesem Zement hergestellt. Bis 1925 hat dieses Werk noch Zement produziert.

Das Zementwerk Monopol (1904) und die Gewerkschaft Lothringen (1904), ebenfalls zwei Zementwerke, die unter der Monopol AG zusammengeschlossen waren, östlich des heutigen Zementwerkes Milke gelegen, gehörten dem Zementverband. In der Wirtschaftskrise um 1930 wurden diese Werke stillgelegt. Es gab noch viele Gründungen von Zementwerken in Geseke, so die Fa., Schlenkhoff und die Westdeutschen Kalkwerke Gebr. Gröne. 1909 wurden die Geseker Zement- und Kalkwerke Rote Erde gegründet. 1919 kamen an der Bürener Straße die Kalk- und Zementwerke Merkur hinzu. 1920 folgten Planet, Exzelsior, Komet, Protos, Westf. Portlandzementwerke Kohle & Co., Fortuna und Westfalen. Vor dem Zweiten Weltkrieg stellten die meisten der noch existierenden Zementwerke in Schachtöfen dann Portlandzement her. Westfalen war das letzte Werk, das von Naturzement 1937 auf Portland umstellte.

ENTWICKLUNG IN ERWITTE

Anders aber verlief die Entwicklung in Erwitte, Obwohl nach einer Urkunde aus dem Jahre 1681 Graf von Landsberg gemeinsam mit den Herren von Droste in der Steinkuhle einen Kalkofen gebaut und Steine gebrannt hatte, hörten wir lange nichts mehr von Kalkbrennereien.

Man war erstaunt, als man von den Werken Meteor und Victoria Louise in Geseke hörte. So kam es, dass 1910 der Gemeindevorstand Dr. Hechelmann in verschiedenen Fachzeitschriften folgendes Inserat erließ: „Für die Gründung eines Kalk- und Zementwerkes bieten sich zurzeit in der Gemeinde Erwitte, Kreis Lippstadt, beste Gelegenheiten. Die Qualität des Kalkes nach chemischer Untersuchung ist vorzüglich. Grundboden evtl. zu billigsten Preisen erhältlich. “

Bei 150 Interessenten war aber kein leistungsfähiger Bauherr zu finden, so kam die Sache zum Ruhen. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte der Kaufmann Plassmann 1919 ein Grundstück und errichtete ein Kalk- und Steinwerk, das aber nicht den gewünschten Erfolg hatte. Es wurde Schließlich vom Syndikat (Westdeutscher Zement-Verband) stillgelegt, Überhaupt verhinderte der Zementverband durch Grundstückskauf parallel zur Bahn Erwitte – Belecke, dass sich Zementfabriken dort ansiedeln konnten.

Doch dann war es endlich so weit. Es wurde 1926 das Werk Felsenfest von den Herren Güldenhaupt und Zassenhaus mit einem Kalkringofen gegründet. 1927 bauten Karl und Franz Seibel das Zementwerk Gebr. Seibel mit zwei Schachtöfen. 1928 entstand durch die Kaufleute Heinrich und Josef Spenner das Portlandzementwerk Nordstern, das drei Schachtöfen hatte und ca. 100 Angestellte und Arbeiter beschäftigte. Hugo Miebach und Dr. Schnepper bauten ein Naturzementwerk mit vier Schachtöfen unter dem Namen Wittekind. Das Portland-Zementwerk Hansa, von Lenze und Schlautmann, musste im Jahre 1932 seine Tore wieder schließen. Die Gebr. Evers aus Büren errichteten ebenfalls 1928 ein weiteres Zementwerk mit zwei Schachtöfen in Erwitte. So war es in Erwitte gelungen, sechs Zementwerke zu errichten, die natürlich ebenfalls einen schweren Kampf durchzustehen hatten. Während viele Geseker Werke die Tore schließen mussten – es überlebten nur sechs -, überstanden die Erwitter Werke die Wirtschaftskrise 1930.

NACH DEM 2. WELTKRIEG

Nach dem Kriege, als die deutschen Städte und Industrien stark zerstört waren, ging man daran, die Zementindustrie schnell wieder anzukurbeln.

Sie erlebte einen nie gekannten Boom in ihrer wechselvollen Geschichte. Die Zementindustrie ist sehr krisenanfällig, was durch besondere Umstände noch verstärkt wird. Da sie außerordentlich kapitalintensiv ist, muss eine gleichmäßige Kapazitätsausnutzung gefordert werden. Konjunkturelle und strukturelle Einbrüche kann sie schlecht vertragen. Der Aufschwung nach dem Kriege kam der Industrie natürlich sehr zugute. Die meisten Betriebe modernisierten und bauten neue Schachtöfen. Nach den Schachtöfen kamen Drehrohröfen hinzu, und die gesamte Technik wie Zerkleinern, Mahlen und Verpacken wurde automatisiert Hinzu kam, dass sich der Transport jetzt von der Schiene mehr auf die Straße verlagerte und Silolastzüge jeden Bauplatz erreichen konnten.

Von den vielen Gründungen blieben in Geseke sechs Zementwerke erhalten, so sind diese:

  • Anneliese Werk IV (früher Rote Erde — Elsa),
  • Portlandzementwerk Gebr. Gröne,
  • Portlandzementwerk Hermann Milke KG (Merkur),
  • Portlandzementwerke Dyckerhoff mit Werk Kohle, Werk Fortuna und Werk Westfalen.

Die letzten drei Werke sind von der Dyckerhoff AG übernommen worden, als die Zementindustrie 1969—1972 in eine Krise geriet. Durch die großen Drehöfen wurde solch eine Überkapazität geschaffen, dass viele Werke in der westfälischen Zementindustrie ihre Tore schließen mussten. So wurde auch das Zementwerk Westfalen vorläufig nicht wieder in Betrieb genommen.

In Erwitte wurden in der Nachkriegszeit noch zwei Zementwerke gegründet, und zwar 1953 von den Gebr. Seibel das Portlandzementwerk Seibel &. Söhne und 1964 das Werk Diamantder Spenner-Gruppe, die unterdessen auch das Werk Felsenfest übernommen hatte.

So produzieren heute die Werke Felsenfest, Nordstern und Diamant der Spenner-Gruppe, das Werk Wittekind, das Werk Gebr. Seibel, das Werk Seibel & Söhne und das Werk Evers als Mahlwerk unter der Bezeichnung Hellweg-Zement.

FÜNF MILLIONEN TONNEN

Damals sind in den 50er Jahren von den Werken in Geseke und Erwitte ca. 2 Mill. Tonnen Portlandzement zum Versand gebracht worden. Bis heute stieg die Produktion auf rund 5 Mill. Tonnen an. Der Neubau der Autobahn Ruhrgebiet-Kassel brachte die Zementindustrie besser an die Absatzgebiete und Verbraucherzentren heran. Die Zementindustrie beschäftigt im Raum Geseke ca. 550 und im Raum Erwitte ca. 700 Arbeitnehmer. Von den Zementwerken werden natürlich außer allen Sorten Portlandzement verschiedene Spezial-Zemente sowie Kalk- und Mischbinder hergestellt, die den Namen der heimischen Zementindustrie über die Landesgrenze bekannt machen.

Dabei muss die Zementindustrie mit der Entwicklung der sich rasch ändernden Technik Schritt halten. Zu den Drehöfen sind die hohen Wärmetauscher gekommen, Um den Staub und die Abgaspegel zu senken, wurden hohe Schornsteine gebaut. Großaggregate haben die schwere körperliche Arbeit vieler Beschäftigter übernommen. Die Mess- und Regeltechnik hielt überall Einzug.

Das Zementwerk Spenner

UMWELTSCHUTZ

Naturgemäß hat der Umweltschutz eine starke Bedeutung bekommen. Für die Reinerhaltung der Luft und für die Eindämmung des Lärms werden große Investitionen vorgenommen. Die Rekultivierung von außer Betrieb genommenen Steinbrüchen wird in den Emissionsschutz mit einbezogen. So werden überregional vom Kreis je ein Steinbruch in Geseke und Erwitte für die Abfallprodukte der Wohlstandsgesellschaft benutzt. Andere Steinbrüche werden im Zuge der Rekultivierung angepflanzt und aufgeforstet.

Die Zementindustrie hat vielen im Geseker und Erwitter Raum Arbeit und Brot gebracht, wegen der Anfälligkeit in Krisenzeiten oft aber auch Sorge, so dass auch Arbeitskämpfe nicht ausblieben. Während früher die Feldflur mit den Dörfern und Städten in diesem Raum des Hellwegs von einem weißen Staubschleier überzogen waren, ist durch die moderne Filtertechnik jetzt wenigstens das Land teilweise wieder grün und der Himmel wieder blau.