Von Amtsdirektor Franz Reichmann [Festvortrag, im Patriot abgedruckt. WM]
Erstabdruck in: Der Patriot 22., 23. und 24.07.1958
„Ein Rückblick auf 700 Jahre Geschichte soll uns nachdenklich stimmen. Wo standen unsere Ahnen in der Frühgeschichte der Gemeinde? Waren es Adlige, freie oder hörige Bauern oder Arbeiter in den Siedehütten? Wir wissen es nicht. Aber das eine wissen wir, dass unsere Vorfahren in jedem Stande es schwerer hatten als wir. “ In diesen Worten des Festvortrages, den Amtsdirektor Reichmann Erwitte) in der Feier aus Anlass des 700jährigen Jubiläums, von Westernkotten hielt, dokumentierte sich bereits eine der Zielsetzungen seiner Darlegungen. Die Ausführungen entrollten ein fesselndes Bild der Vergangenheit der Heimat, aufschlussreich für jeden, dem die Erkenntnis des Werdens unseres Raumes besonderes Anliegen ist. Wir geben daher den Festvortrag ungekürzt wieder.
Viele Gemeinden, insbesondere die im Mittelalter gegründeten Städte, können eine Geburtsurkunde au weisen; so in unserer Nachbarschaft die Stadt Lippstadt die im Jahre 1168 von dem Edelherrn Bernhard zur Lippe gegründet wurde, und die Stadt Rüthen der im Jahre 1200 nach ihrer Neugründung durch den Erzbischof von Köln die Stadtrechte verliehen wurden. Anders steht es mit unserem „Geburtstagskind“, mit Westernkotten. Aus dem von der Gemeinde in diesem Jahre herausgegebenen Heimatgeschichtswerk ist zu ersehen, dass die ersten Ansiedlungen vor mehreren tausend Jahren am hohen Pöppelsche-Ufer – zwischen dem Domhof und dem Stadtwald von Erwitte – festgestellt worden sind.
Von da aus wurden, ebenfalls bereits in vorgeschichtlicher Zeit, die Siedlungen mehrere Kilometer nordwärts verlegt, weil sich dort bessere Acker- und Weideverhältnisse ergaben. Die Dorfsiedlungen von Aspen, Hockenheim, Swiek, Ussen und Weringhausen bildeten einen nach Norden geöffneten Halbkreis zur Gieseler hin, wahrscheinlich weil der salzhaltige Boden des an der Gieseler gelegenen Geländestrichs für den Ackerbau weniger ertragreich war.
Die Möglichkeit, das Salzvorkommen zu verwerten, wurde erst in einer höheren Kulturstufe festgestellt. Zur Zeit der sächsischen Könige und Kaiser war die Salzgewinnung bereits ein königliches Regal, das für unseren Ort mit dem Königshof in Erwitte verbunden war. Im Jahre 1027 schenkte Kaiser Konrad II. den Königshof dem Bischof Meinwerk von Paderborn.
Durch diese Schenkung wurde dem Bischof in Paderborn die Grundherrschaft über den gesamten Besitz des Königshofes Erwitte mit allen Rechten usw. übertragen. Die Schenkungsurkunde lässt allerdings eine Aufstellung der zum Königshof Erwitte gehörenden Güter und Rechte vermissen, so dass ein geschichtlicher Daseinsbeweis für unsere Gemeinde aus ihr nicht hergeleitet werden kann.
DAS GEBURTSJAHR
Die „Villa Cothen“ wird zuerst in einer Urkunde der Herren von Padberg vom 16. Januar des Jahres 1258 erwähnt, welche die Schenkung eines Morgen Ackerland an die Kirche in Cappel zum Inhalt hat. Zu dieser Zeit bestanden noch die bereits genannten Dorfgemeinden Aspen, Hockelheim usw., doch findet ihre urkundliche Erwähnung zu einer späteren Zeit statt. Nach herkömmlichem Brauch ist daher das Jahr 1258 als das Geburtsjahr der Gemeinde Cothen anzunehmen, weil sie durch die urkundliche Erwähnung aus dem Dunkel der Vergangenheit auftauchte und das Licht der Welt erblickte.
In späteren Urkunden wird für unseren Ort auch vereinzelt die Bezeichnung Salzkotten genannt, weil man früher die Salzhäuser allgemein Cothen oder Kotten nannte. Die Bezeichnung Westerenkoten (heute Westernkotten) hat sich später eingebürgert. Sie ist darauf zurückzuführen, dass der Fürstbischof von Paderborn von jeher die Stadt Salzkotten besaß.
Um die wahrscheinlich bedeutenderen Salzstätten auf dem hiesigen paderbornischen Besitz von denen Salzkottens unterscheiden zu können, wurde von Paderborn für Westernkotten gemäß seiner Lage die Bezeichnung Westerenkoten eingeführt, die sich sodann später allgemein eingebürgert hat.
In der Soester Fehde (1444 bis 1449) wurden von Lippstadt aus, das mit Soest verbündet war, eine Reihe von Ortschaften, u. a. auch die um Westernkotten gelegenen Gemeinden Aspen, Hockelheim, Swiek und Ussen, vollkommen zerstört. Da der Bischof von Paderborn in diesem Gebiet die meisten Liegenschaften hatte, veranlasste er die Bewohner der zerstörten Gemeinden, sich ebenfalls in Westernkotten niederzulassen.
Diese Umsiedlung wurde um das Jahr 1500 vorgenommen und im Jahre 1506 die vergrößerte Siedlung durch Wälle befestigt. Durch diese Zusammenlegung und die spätere Einbeziehung von Weringhausen wurde die heutige Ortslage und räumliche Ausdehnung bestimmt.
KIENSPAN UND ÖLLAMPE
Ein Rückblick auf 700 Jahre Geschichte soll uns nachdenklich stimmen. Wo standen unsere Ahnen in der Frühgeschichte der Gemeinde? Waren es Adelige, freie oder hörige Bauern oder Arbeiter in den Siedehütten? Wir wissen es nicht. Aber das eine wissen wir, dass unsere Vorfahren es in jedem Stande schwerer hatten als wir.
Die Wohnverhältnisse waren ärmlich, selbst die Wohnstätten der Adeligen, insbesondere des niederen Adels, hoben sich nur wenig von den Wohnungen der Bauern ab. Kaminfeuer, Kienspan und kleine Öllampen waren die einzige Beleuchtung, nur die Kirchen und einige Wohlhabende konnten sich den Luxus von Wachskerzen leisten.
Die Wegeverhältnisse waren zumeist schlecht. Das von den auswärtigen Wegebenutzern erhobene Wegegeld reichte nicht einmal aus, um die Dorfstraßen zu bessern. Noch bis zum Jahre 1844 wurde das Bachbett des Osterbaches als Fahrweg benutzt. Fußgänger mussten über Steine oder eingerammte Pfähle den Bach überqueren. Wer als Fußgänger nach Erwitte wollte, zog es bis Mitte des vorigen Jahrhunderts noch vielfach vor, entlang der Straße über die bestellten Äcker zu gehen, worüber sich die Grundstückseigentümer bei der Gemeinde beschwerten.
Die an die Grundherren aus dem Hörigkeitsverhältnis zu leistenden Abgaben waren oft drückend, zumal daneben auch nicht unerhebliche Leistungen an den Landesherrn zu entrichten waren. Wenn Paderborn gegen die Wende des 17. Jahrhunderts noch 135 Hausbesitzer zu seinen Untertanen zählte, so beweist das zur Genüge die Abhängigkeit der Dorfbewohner von der Paderborner Grundherrschaft.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Bischöfe von Paderborn im Verlaufe der Jahrhunderte die Abgaben für die Hörigen nicht erhöhten.
AUSGEPLÜNDERT
Seit dem jähen Niedergang der kaiserlichen Macht nach dem Erlöschen des Kaisergeschlechts der Hohenstaufen trat eine allgemeine Rechtsunsicherheit in deutschen Landen ein. Landesherren, Ritter und Städte befehdeten sich gegenseitig, von dem Aufkommen Raubrittertums ganz zu schweigen.
Die Wallbefestigung konnte nach Einführung der Feuerwaffen jedoch den Ort nicht davor bewahren, dass in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Kriegsvölker Westernkotten plünderten und brandschatzten. Auch
[Die folgenden Zeilen sind nicht korrekt eingescannt und können deshalb hier nicht exakt wiedergegeben werden. WM]
[Pest und Chol …der Gemeinde …von denen die…getretene Pest…wirkte und die…18 tötete. 600 O… Pest in Weste…haben.
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Kampf um … Kapellengemeinde …Pfarrgemeinde …1902 … gegen den … der Erwitter …. werden.]
[Hier geht der Abdruck wieder normal weiter. WM]
II.
DAS GUTACHTEN
Bischof Meinwerk von Paderborn hatte durch die Schenkung Kaiser Konrads II. im Jahre 1027 den Königshof Erwitte mit allen zugehörigen Liegenschaften, Rechten und Hörigen zum Eigentum erworben. Er begründete mit diesem Besitz eine Grundherrschaft, deren Verwaltungsform der Fronhofverband war. Die Rechte aus der Grundherrschaft wurden zum Anlass genommen, dem Erzbistum Köln die Landesherrschaft in dem Gebiet zwischen Geseke und Erwitte streitig zu machen. Dieser Versuch misslang zwar, da Köln zweifelsfrei die älteren Rechte besaß, wurde aber von Zeit zu Zeit immer wieder unternommen. Zur Beilegung dieses Konfliktes wurde schließlich auf Grund einer Vereinbarung zwischen Köln und Paderborn die juristische Fakultät der Universität Freiburg um ein Gutachten gebeten, dem sich beide Parteien unterwerfen wollten. Die Entscheidung erging am 28. Februar 1583 als sogenanntes „Laudum“ wodurch die Landeshoheit über das Gebiet Erwitte – Westernkotten dem Erzbischof von Köln zugesprochen wurde, gleichzeitig aber auch dem Bischof von Paderborn das Eigentum an seinen Besitzungen in Erwitte, Westernkotten und Umgegend und die aus dem Eigentum herzuleitenden Rechte bestätigt wurden.
DES AMTS ENTHOBEN
Die Verwaltung des Fronhofverbandes wurde lange Zeit von den Herren von Störmede ausgeübt. Sie wurden im Jahre 1316 dieses Amtes enthoben, weil festgestellt worden war, dass der damalige Verwalter (Meier) des Fronhofes gleichzeitig in den Diensten des Erzbischofs von Köln stand, was Paderborn nicht für tunlich hielt.
Der Fronhofverband wurde dann aufgelöst und unter Aussonderung des zum eigentlichen Königshof in Erwitte gehörenden Vermögens das Amt (officium) Erwitte/Westernkotten gebildet. Der Sitz dieses paderbornischen Amtes war zeitweilig in Erwitte, j später überwiegend in Westernkotten, weshalb es in den überlieferten Aufzeichnungen bald als Amt Erwitte oder Erwitte/Westernkotten, zum anderen als Amt Westernkotten oder Westernkotten/Erwitte benannt wird. Der Verwaltung dieses Amtes war aber lediglich unterworfen das Vermögen des paderbornischen bischöflichen Stuhles und die Wahrung der mit ihm in Zusammenhang stehenden Rechte. Hierbei handelte es sich vornehmlich um die Einziehung der von den Hörigen an den Bischof zu leistenden Abgaben, die Überwachung der Erbübergänge, für die von den Erben besondere Abgaben zu entrichten waren, u. a. mehr.
Die Hörigen durften ihre Hofstätten weder verpfänden noch veräußern. Andererseits verpfändeten die Bischöfe von Paderborn alsbald große Teile ihrer Einkünfte aus den Besitzungen des Amtes Westernkotten/Erwitte. Weil die weggefallenen Einnahmen nicht mehr in den Büchern des Amtes verzeichnet wurden, ging allmählich die Übersicht über das zum Amte Westernkotten/Erwitte gehörende Vermögen verloren.
GOGRAFEN
Die landesherrliche Verwaltung führte für den Erzbischof und Kurfürsten von Köln der Gograf für das Amt Erwitte, dessen Bezirk wesentlich über das paderbornische Amt hinausging. Ihm oblag neben der höheren Gerichtsbarkeit auch die Erhebung der Landessteuern und die Wahrnehmung der sonstigen landesherrlichen Rechte, wozu der Glockenschlag, das Geleitsrecht und die Heranziehung zu Hand- und Spanndiensten gehörte. Wegen Zunahme der kriegerischen Verwicklungen brauchten die Landesfürsten mehr Geld. Da der Grundbesitz meist schon verpfändet war, konnten die Einnahmen nur durch eine Erhöhung der Steuern vermehrt werden.
An die Stelle der Gografen traten in Kurköln im Jahre 1609 die Drostenämter unter einem Amtmann, denen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit ein Richter beigegeben wurde. Der Reichsfreiherr Dietrich von Landsberg in Erwitte erwarb dieses Amt im Jahre 1646 vom Kurfürsten in Köln. Im Jahre 1650 übertrug ihm der Bischof von Paderborn auch die Verwaltung des paderbornischen Amtes Westernkotten/Erwitte. Dietrich von Landsberg ließ über den gesamten paderbornischen Besitz Erhebungen anstellen. Nach der Aufstellung von 1669/70 gehörten zum Amte Westernkotten/Erwitte in Erwitte 411’/4 Morgen, in Westernkotten 430’A Morgen; insgesamt wurden paderbornische Güter in Größe von 1001 ¼ Morgen ermittelt.
LEIBEIGEN
Landsberg hatte aber auch ermittelt, welche Hofstellen eigene und welche leib eigene (hörige) waren. Deshalb wurde er von den Erwitter und Westernkötter Bauern angefeindet. Durch den vom Bischof in Paderborn bestätigten Rezess vom Jahre 1687 wurde der Bitte der amtshörigen Hofstellenbesitzer entsprochen, dass sie sich gegen Zahlung erhöhter Abgaben von der Leibeigenschaft loskaufen konnten. Die Erblichkeit der Güter wurde anerkannt, ebenso das Recht, sie durch Testament auf Fremde übertragen zu können. Dadurch wurde die Bauernbefreiung, die in den alten preußischen Provinzen erst nach den Befreiungskriegen unter schweren Bedingungen Wirklichkeit wurde, im Bereich der Bistümer Köln und Paderborn, zumindest in unserem Raume, ohne große Härten durchgeführt.
Nach der Übertragung des Grundeigentums auf die Bauern schmolzen die Aufgaben des Amtes Westernkotten stark zusammen. Der Bischof von Paderborn behielt das Marktrecht in Westernkotten, I außerdem die Salzgerechtsame. Im Jahre 1778 erhielten die Westernkötter Sälzer vom Fürstbischof Wilhelm Anton neue Statuten, wodurch eine bessere Ordnung in der Salzgewinnung angestrebt werden sollte.
Durch den Reichsdeputationshauptschluss vom Jahre 1803 wurden die geistlichen Fürstentümer in Deutschland säkularisiert. Mit dem aufgelösten Herzogtum Westfalen fielen das kurkölnische und das paderbornische Amt Erwitte an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die Ämter wurden aufgelöst und kleinere Verwaltungsbezirke, die Schultheißenämter gebildet.
1815 kam unser Gebiet unter preußische Herrschaft. Paderborn hatte ebenso wie Köln alle seine Rechte verloren, die Beteiligung an den Solerechten nahm künftig der Preußische Staatsfiskus wahr.
Die Verwaltungsorganisation wurde mehrmals geändert. So wurden im Jahre 1821 die Schultheißenbezirke Esbeck, Dedinghausen und Berge dem Schultheißen Vernholz in Westernkotten übertragen. Aus diesen vergrößerten Schultheißenbezirken wurden einige Jahre später die sogenannten Bürgermeistereien gebildet.
Obwohl Erwitte seit Jahrhunderten Verwaltungszentrum und auch jetzt wieder Mittelpunkt eines Bürgermeistereibezirks wurde, verblieb der Sitz der Bürgermeisterei in Westernkotten. Die 1826 verfügte Verlegung des Verwaltungssitzes von Westernkotten nach Erwitte erfolgte vorläufig nicht. Auf Grund der Landgemeindeordnung von 1843 wurde im Jahre 1845 anstelle der bisherigen Bürgermeisterei wieder das Amt Erwitte gebildet und der seinerzeitige Bürgermeister Anton Schlünder zum Amtmann des neu gebildeten Amtes Erwitte bestellt.
Seither besteht diese Verwaltungsform im Verhältnis zur Gemeinde Westernkotten unverändert bis auf den heutigen Tag, und jeder Erfolg der Gemeinde, um den das Amt mit der Gemeinde in guten und schlechten Zeiten stets ehrlich ringt, gereicht zur ungeteilten Freude beider, die inzwischen durch eine in Jahrhunderten erprobte und bewährte Amtsgemeinschaft miteinander verbunden sind.
III.
NIEDERGANG DER SÄLZEREI
Das Gemeinwesen Westernkotten bildete mit seinen über 700 Jahre bekannten und ergiebigen Salzquellen und Salzwerken eines der wichtigsten Glieder der sogenannten Salzstraße, die sich von Unna-Königsborn über Werl, Sassendorf, Westernkotten bis Salzkotten hinzog.
Jahrhundertelang haben die Einwohner von Westernkotten neben den Erträgnissen der Landwirtschaft überwiegend von der Salzgewinnung und vom Salzhandel gelebt. Im Jahre 1845 glaubte Domänenrat Geißler von der gräflich landsbergischen Verwaltung, durch Bergbau Steinsalz aus dem Boden fördern zu können. Wenn auch in der Hoffnung enttäuscht, jemals auf Steinsalz zu stoßen, wurde hierbei doch unsere heutige Quelle an der Gieseler in ca. 80 m Tiefe erbohrt, die selbsttätig eine starke Sole von 23 Grad Celsius über Tag brachte. Seitdem ist die äußerst kräftige und an mineralischen Bestandteilen reiche Thermalsole nachhaltig gefördert und neben der Salzgewinnung auch für Heilzwecke nutzbar gemacht worden.
90 000 LITER IN DER STUNDE
Die erste Solbadeanstalt in Westernkotten wurde von dem Rentmeister Erdmann ins Leben gerufen. Sie wurde anfänglich recht primitiv betrieben und erst später nach dem Erwerb durch Karl Friedrich Wiese aus Erwitte weiter ausgebaut und mit maschinellen Anlagen versehen. Die Familie Wiese hat dann fast 100 Jahre den Heilbadbetrieb gut geführt.
Eine volle Nutzung der Solquelle weiter auszubauen und maschinell für Heilzwecke war aber wegen des beschränkten Solerechts nicht möglich.
Bis zum Jahre 1949 diente die äußerst ergiebige Solquelle mit einer Schüttung von 90 000 Liter in der Stunde in erster Linie der Siedesalzgewinnung. Diese hatte jedoch Immer mehr mit der Konkurrenz der Steinsalzbergwerke zu rechnen.
Am 1. Januar 1868 wurde das bis dahin bestehende „Staatliche Salzmonopol“ aufgehoben.
Der Staat bezog zur Zeit des Monopols laut Vertrag einen beträchtlichen Teil des Salzes, das in die königlichen Söllereien abgeführt wurde. So wurden 1832 auf der Lippe 167 000 Zentner Salz aus Westernkotten verladen und den Söllereien, die sich in Wesel, Dorsten, Geldern, Moers, Kleve, Xanten usw. befanden, zugeführt Der Salzverkauf war nach Aufhebung des Monopols beträchtlich rückläufig, in den Jahren 1868 und 1869 waren es noch 40 000, 1888 nur noch 26 000 Zentner. Er ging in der Folgezeit bis auf 20 000 Zentner zurück. Alle Salzhütten, bis auf die landsbergische, kamen zum Erliegen.
Aber auch Graf Landsberg musste den Betrieb der Saline im Jahre 1943 wegen dauernder Unrentabilität einstellen, obgleich er noch im Jahre 1938 an der Bundesstraße nach Lippstadt mit erheblichen Kosten ein neues, großes Siedehaus hatte errichten lassen.
AUFBAU DES HEILBADES
Der vorstehende Rückblick auf die Geschichte verflossener Tage hat aufgezeigt, dass die Verhältnisse auch im entlegensten Winkel eines Landes maßgebend bestimmt werden durch die Zustände in dem weiteren Verbande des Vaterlandes, dem wir angehören. Sinnfällig ist diese schicksalhafte Verbundenheit zutage getreten bei dem Zusammenbruch des sogenannten Dritten Reiches, der nationalsozialistischen Machtherrschaft. Der Zusammenbruch des Reiches im Jahre 1945 traf uns alle bis ins Mark. Die Plünderungen durch die Fremdarbeiter, die Stillegung der Fabriken, das Eintreffen der Vertriebenen aus den Ostgebieten des Vaterlandes und ihre Unterbringung in unzulänglichen Notquartieren schienen ein Jahrhundert des Elends einzuleiten. Wer glaubte damals noch an einen Aufstieg aus dem Elend, dem uns die Siegermächte zunächst überließen?
Und dennoch begann im Zeitpunkt unserer tiefsten Erniedrigung ein neuer Aufstieg unseres Volkes und insbesondere auch unserer Heimatgemeinde Westernkotten. Wir hatten im Ausland nicht alle Freunde verloren und auch in Deutschland traten bald mutige Männer auf, die den Wiederaufbau einer gerechten Ordnung gegenüber den Kontrollorganen der Siegermächte forderten. So kam es schon nach wenigen Jahren zur Wiederherstellung einer demokratischen Staatsverfassung wenigstens für die drei westlichen Besatzungszonen, die mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland als föderativem Bundesstaat im Jahre 1949 das Ende der Besatzungszeit in Westdeutschland brachte. Jetzt lag es wieder an uns Deutschen, die rechten Mittel und Wege zu finden, um die bei uns herrschende drückende Not zu beseitigen.
Ich möchte mich bei den nachfolgenden Ausführungen darauf beschränken, aufzuzeigen, wie der Aufbau der Gemeinde Westernkotten zu einem gesunden Gemeinwesen unter tatkräftiger Mitwirkung der engeren und weiteren Heimat erfolgreich gestaltet werden konnte.
Als im Jahre 1945 die meisten Heilbäder durch die Besatzungsmächte belegt wurden, erwarb der Provinzialverband Westfalen die Besitzung Wiese und den Badebetrieb Westernkotten, um auch in diesen schweren Zeiten wenigstens an einigen Plätzen vorbeugende Gesundheitsfürsorge betreiben zu können. Der Badebetrieb wurde im alten Badehaus Wiese zunächst provisorisch weitergeführt. Die Salinen mit der vorzüglichen Solquelle, den aufstehenden drei Gradierwerken und dem umschließenden Grundbesitz von rd. 30 Morgen waren inzwischen in den Besitz des Markgrafen von Meißen übergegangen. Infolge der drückenden Steinsalzkonkurrenz war die Siedesalzgewinnung auch auf modernem Wege nicht mehr wirtschaftlich zu gestalten. Der Generalbevollmächtigte des Markgrafen von Meißen hatte daher den Auftrag, den gesamten Grundbesitz zu veräußern. Hierdurch entstand die große Gefahr, dass neben der Salzgewinnung auch das seit 100 Jahren betriebene Solbad zum Erliegen kam.
Weitsichtige Bürger der Gemeinde Westernkotten, mit Bürgermeister Duwentester an der Spitze, setzten sich daher mit den Herren Amtsbürgermeister Pehle und Amtsdirektor Hebenstreit in Erwitte in Verbindung mit dem Ziele, den gesamten Grundbesitz des Markgrafen von Meißen mit allen Solerechten zu erwerben.
Beim Provinzialverband Westfalen fand diese Initiative verständnisvolle Aufnahme, denn er legte großen Wert auf die Bildung einer gemeinnützigen Gesellschaft, die unter Beteiligung der örtlichen Gebietskörperschaften den Ausbau des Heilbades betreiben sollte. In dieser entscheidenden Phase waren Herr Landeshauptmann Dr. h. c. Salzmann und Herr Landesrat Paasch, als zuständiger Dezernent, eifrige Förderer dieses schwierigen, aber gedeihlichen Aufbauwerkes. Zu den selbstlosen Förderern dieses Planes zählte | auch Herr Landrat Laumanns, dessen Bemühungen es mit zu verdanken ist, dass sich auch die benachbarten Städte Lippstadt und Geseke, sowie die Ämter Anröchte und Störmede an der neu zu gründenden „Solbad Westernkotten GmbH. beteiligten.
IV.
MÜTTERHEIM
In schöner kommunaler Solidarität brachten diese mit der Gemeinde Westernkotten insgesamt 150.000 DM für den Erwerb des Grund und Bodens, der Gradierwerke und der Solquelle auf. Der Provinzialverband förderte dieses Werk mit Sacheinlagen in gleicher Höhe. Er baute bis zum Jahre 1950das vorhandene Kurhaus und die Nebengebäude mustergültig aus und richtete ein Mütterheim mit 60 Betten ein. Das frühere Badehaus Wiese wurde von der Gesellschaft in zweckmäßiger Weise erweitert und zählt heute zu den technisch und balneologisch einwandfrei eingerichteten Kurmittelhäusern unseres Landes.
Eine wertvolle Ergänzung der Kurmitteleinrichtungen ist der mit großer Fachkenntnis und Mühe angelegte, schöne Kurpark, der mit seinen zwei Gradierwerken, den weit sichtbaren Wahrzeichen der alten Sälzerzeit, den vielen schönen Promenadenwegen, Anpflanzungen und Blumenbeeten, einer neu geschaffenen Kleingolfanlage und einer im Bau befindlichen, sinnvoll geplanten Mehrzweckhalle dem Besucher immer mehr eine besinnliche und beschauliche Umgebung bietet.
Die Inanspruchnahme des Heilbades, in welchem Herz-, Nerven- und Kreislauferkrankungen immer mehr ihre bewährte Heilung finden, wächst erfreulicherweise von Jahr zu Jahr. Sie bewirkt gleichzeitig den Aufstieg der ganzen Gemeinde. Seit der Einrichtung dieses kommunalen Bades hat sich das Ortsbild von Westernkotten wesentlich verschönert. Das in guten Bauformen gehaltene Kurhaus nebst Badehaus bildet mit seiner gediegenen und zweckmäßigen Ausstattung und den anliegenden gärtnerischen Anlagen längst den pulsierenden Mittelpunkt des Kurlebens von Westernkotten. Daneben sind gerade in den letzten Jahren weitere neue gediegene Gasthöfe und Kurpensionen entstanden.
Rat und Verwaltung der Gemeinde haben in Zusammenarbeit mit der Kurverwaltung durch den Ausbau der Ortsstraßen und durch Schaffung von Grünanlagen in weitsichtiger Planung das gesamte Ortsbild mehr und mehr verschönert Die überörtlichen Gebietskörperschaften, wie der Landkreis Lippstadt und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, haben durch den großzügigen Ausbau der Zugangsstraßen und eine durchgreifende Verbesserung der Verkehrsverhältnisse innerhalb der Ortslage diese Maßnahmen und Bestrebungen der Gemeinde tatkräftig unterstützt.
NEUE PROBLEME
Die neue Zeit hat uns, wie dargelegt, neue Probleme aufgegeben, an deren Lösung wir seit zehn Jahren arbeiten. Neben der geschilderten Entwicklung des Bades verdient an dieser Stelle auch die rege Bautätigkeit besondere Erwähnung. Seit Kriegsende sind in Westernkotten 83 Häuser mit 159 Wohnungen neu errichtet worden. Hierbei darf die Gemeinde für sich in Anspruch nehmen, 75 heimatvertriebenen und evakuierten Familien wieder zu einem eigenen Heim verholten zu haben. Und alle Maßnahmen zeigen in ihrer Gesamtauswirkung den Weg zum wirtschaftlichen Aufstieg der Gemeinde.
Es hat sich wieder einmal die Richtigkeit des Sprichwortes bewahrheitet: „Dem Mutigen hilft Gott!“ Und darum haben wir am heutigen Morgen auch zunächst Gott dem Herrn Dank gesagt, dass er die Geschicke der Gemeinde Westernkotten zum Besten gelenkt hat.
Ich möchte es aber nicht unterlassen, den Dank der Gemeinde Westernkotten denjenigen Persönlichkeiten und Stellen auszusprechen, die sich in der Vergangenheit als Freund und Förderer der Gemeinde und des Bades Westernkotten bewährt haben. Diesen unseren Dank schulden wir vor allem dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe für seine ebenso freundliche wie ausschlaggebende Hilfe, und ich darf daher Sie, Herr Landesrat Dr. Böttge, als Vertreter des Herrn Landeshauptmanns bitten, diesen unseren Dank entgegennehmen zu wollen.
Unserem Landkreis Lippstadt sind wir gleich herzlich dankbar für seinen steten Beistand in allem, was für die Aufwärtsentwicklung der Gemeinde und des Bades von Bedeutung ist. Diesen unseren Dank schulden wir in besonderem Maße Ihnen, sehr verehrter Herr Landrat, und Ihnen, sehr verehrter Herr Oberkreisdirektor. Allem Mühen und allem Streben wäre jedoch der Erfolg versagt geblieben, wenn unser Heilbad nicht die Anerkennung und die Unterstützung des Landes gefunden hätte. Die Anerkennung als Sozialbad nach Gründung unseres Solbades und die Verleihung des Namens „Bad Westernkotten“ an die Gemeinde, den sie sich durch ihre heilkräftige Sole und die geleistete Aufbauarbeit verdient und mit der uns der Herr Regierungspräsident noch im Laufe unserer heutigen Feierstunde überraschen wird, sind die sichtbaren Zeichen dieser gemeindefreundlichen Einstellung der Regierung unseres Landes. Ihnen, sehr verehrter Herr Präsident, hierfür den verbindlichsten Dank namens des Rates der Gemeinde Westernkotten aussprechen zu dürfen, betrachte ich als meine besonders ehrenvolle Pflicht am heutigen Tage.
Gewiss ist die Gemeinde einer ganzen Anzahl weiterer Persönlichkeiten für ihr Wirken zum Wohle des Bades und damit der Gemeinde zu heimatverbundenem Dank verpflichtet. Ich bitte, mir jedoch eine diesbezügliche Fortsetzung erlassen und mir diese Abkürzung verzeihen zu wollen. Ich darf an dieser Stelle im Auftrage des Rates der Gemeinde feierlich versichern, dass Gemeinde und Kurverwaltung sich mit allen Freunden und Förderern unseres Heilbades allezeit in aufrichtiger richtiger Dankbarkeit verbunden fühlen.
„WEITER AUFWÄRTS“
Die Erfolge der letzten zehn Jahre haben eins froh und glücklich gemacht. Wir wissen jedoch, dass alles erst ein verheißungsvoller Anfang ist. Es gilt weiter zu arbeiten, um noch weitere neuzeitliche Einrichtungen, die für eine Gemeinde mit einem so wichtigen Bade und von Jahr zu Jahr ansteigenden Fremdenverkehr erforderlich sind, zu schaffen.
Nur Beharrlichkeit führt zum Ziele, ‚Und so ist es mein Wunsch am heutigen Tage, dass der Aufbau in unserem deutschen Vaterlande auch in den kommenden Jahren fortschreiten möge. Selbstverständlich wird es dabei uns allen, die wir hier in unserer Heimat so sichtbaren Anteil an dem glückhaften Aufstieg nehmen, ein immerwährender Herzenswunsch bleiben, dass die Trennung zwischen dem Osten und dem Westen unseres Vaterlandes auch einmal ihr Ende finden und ein Gesamtdeutschland in Frieden, Freiheit und Wohlstand wiedergeschaffen werden möge.
Um diesen Wunsch zu bekräftigen, bitte ich Sie, mit mir in den Ruf einzustimmen: „Unsere liebe Heimatgemeinde Westernkotten und unser heißgeliebtes deutsches Vaterland, sie leben hoch, hoch, hoch!“