1956: 50 Jahre landwirtschaftlicher Ortsverein

In: Der Patriot vom 27.01.1956

Untertitel: Von 36 Bauern im Jahre 1906 gegründet – Jubiläumsfeier mit zahlreichen Gästen – Rektor Brüggemann hielt die Festansprache

Westernkotten. Die Geschichte des Dorfes ist um einen bedeutungsvollen Tag bereichert worden. Am Mittwochnachmittag beging der Landwirtschaftliche Ortsverein sein 50jihriges Jubelfest, bei dem sechs Mitbegründer des damaligen „Landwirtschaftlichen Lokalvereins“ durch Ortslandwirt Jesse ausgezeichnet wurden. Im Saale des Hauses Dietz-Röwekamp hatten sich die Bauern mit ihren Angehörigen und zahlreichen Gästen zu einer festlichen Stunde vereint, in deren Mittelpunkt die Festansprache von Rektor Brüggemann, Hardehausen, der zwei Jahre Vikar in Westernkotten war, stand.

Zu Beginn der festlichen Jubiläumsfeier hieß der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Ortsvereins, Bauer Leo Jesse, alle Erschienenen, insbesondere die Ehrengäste Pfarrer Becker, Pater Aloysius, Rektor Brüggemann, Hardehausen, Amtsbürgermeister Thiemeyer, Bürgermeister Westerfeld, den Vorsitzenden des Landwirtschaftlichen Kreisvereins, Schröder, den Vertreter des Bezirksvereins Erwitte, Rasche-Wiegmann, den Vertreter der Landwirtschaftsschule, Schulte-Repel, die Jubilare des Vereins, ferner Hauptlehrer i. R. Probst und Schulleiter Schäfers herzlich willkommen.

Am 14. Januar 1906

Das 50-jährige Bestehen des Ortsvereins Westernkotten, erklärte Ortslandwirt Jesse, fiele in eine Zeit, in der der deutsche Bauer, bedrückt durch ausländische Konkurrenz, einbezogen in sozialpolitische Spannungen, um seine Existenz einen schweren Kampf zu führen habe. Dennoch dürfe man den Tag, an dem vor 50 Jahren beherzte und weitblickende Bauern aus Westernkotten den „Landwirtschaftlichen Lokalverein“ ins Leben riefen, nicht ohne eine würdige Feier und auch nicht ohne Freude vorüber gehen lassen. Damals, am 14, Januar 1906, versammelten sich mit Bauer Hoppe-Nucke— auch im Hause Dietz-Röwekamp weitere 35 Landwirte, um den heutigen Landwirtschaftlichen Ortsverein, der sich schon bald an den Kreisverein anschloss, zu gründen. Die Väter und Großväter der heutigen Generation erkannten vor fünf Jahrzehnten schon, dass nur im festen Zusammenschluss die Belange des landwirtschaftlichen Berufsstandes gewahrt und immer wieder neu verteidigt und errungen werden konnten. Der Ortsverein, dem das NS-Regime einen anderen Namen gab, wurde am 29. Dezember 1948 wieder gegründet und drei Jahre von Bauer Eickmann geführt.

Nach dem stillen Gedenken für die verstorbenen und gefallenen Mitglieder des Vereins gab der Ortslandwirt die Grüße und Glückwünsche des Präsidenten des Deutschen Bauern-Verbandes, von Oer, bekannt, der dem Verein weiterhin erfolgreiche Arbeit wünscht. Dann sprach Pfarrer Becker, der erfreut feststellte, dass der Pastor von Westernkotten privilegiertes Ehrenmitglied des Landwirtschaftlichen Ortsvereins ist. Er bedauerte, dass die Heimatverbundenheit der Landbevölkerung manche Risse durch die Landflucht und den Drang in die Industrie erhalte. Für die Bearbeitung der Scholle erhalte der Bauer heute kaum noch Arbeitskräfte. Wenn man in dieser festlichen Stunde der Fröhlichkeit huldige, wolle man es im festen Vertrauen auf die Überwindung entstandener Schwierigkeiten im landwirtschaftlichen Berufsstand tun.

Einmütig im Existenzkampf

Die Grüße des Amtes Erwitte und der Amtsvertretung zum Jubelfest überbrachte Amtsbürgermeister Thiemeyer. Die festliche Stunde mit dem Rückblick auf 50 erfolgreiche Jahre müsse auch der Ausrichtung auf Zukunftsaufgaben dienen, betonte der Amtsbiirgermeister. Es sei erforderlich, fester als je zuvor zusammenzustehen, um die Rechte des Landvolkes und seine Existenzberechtigung sowie gerechte Entlohnung auch den höchsten Stellen eindeutig klar zu machen. Der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes, Schröder, der in seiner Glückwunschansprache an die wechselvollen Geschicke des landwirtschaftlichen Berufsstandes in vergangener Zeit erinnerte, hob insbesondere die Pflichterfüllung der Landwirtschaft in den Kriegsjahren hervor, in denen — wie auch nach dem Kriege — die Landwirtschaft bei der Knappheit der Lebensmittel unendlich viele Menschen vot dem Hungertod durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln bewahrt habe. Wenn diese Landwirtschaft heute in Einmütigkeit um die Wahrung ihrer Existenz kämpfen, die Behebung der Landflucht fordern müsse, dann müsse dafür gesorgt werden, dass der Bauernstand gesund erhalten bleibe und sozial gesichert werde zum Wohle des gesamten Volkes. Die Gliickwiinsche der Landwirtschaftsschule und der landwirtschaftlichen Beratungsstelle Lippstadt sprach Wirtschaftsberater Schulte-‘Repel aus, der Oberlandwirtschaftsrat Dr. Barkhoff entschuldigte, da ihm die Teilnahme am Jubelfest leider nicht möglich war.

Ehrung der Jubilare

Nicht alle sechs der noch lebenden Mitbegründer des Ortsvereins Westernkotten konnten an der Feierstunde teilnehmen, Altersgebrechen fesselten drei von ihnen an das Haus. Mit den anwesenden Jubilaren Josef Büker, Franz Schütte-Valentin und Engelbert Kemper wurden aber auch die ferngebliebenen Josef Schröer, Anton Otto und Josef Spiekermann-Dröge durch Ortslandwirt Jesse geehrt. Er dankte ihnen für die Treue, die sie dem Verein in guter und schwerer Zeit in fünf langen Jahrzehnten bekundet haben. Jederzeit setzten sie sich fördernd für die Belange des Berufsstandes ein. Als äußeres Zeichen der Dankbarkeit heftete Frau Jesse den Jubilaren das Abzeichen an, während der Ortslandwirt ihnen unter dem Beifall der Versammlung weiterhin einen geruhsamen Lebensabend wünschte.

Herzlich begrüßt

Die Festversammlung begrüßte sodann ihren ehemaligen Vikar, den heutigen Rektor und Leiter der Landvolkhochschule Hardehausen, Brüggemann, außerordentlich herzlich, Aber auch Rektor Brüggemann war sichtlich erfreut, einmal wieder in der Mitte der Westernkötter weilen zu können. Das brachte er in seiner Festansprache auch in herzlichen Worten zum Ausdruck. Er gab zu erkennen, dass ihm seine zweijährige (1938/40) Seelsorgetätigkeit in Westernkotten eine neue Welt, die dörfliche, aufgezeigt habe, In dieser Welt der gewachsenen dörflichen Einheit sei der Pastor noch der geistige Vater in der großen Gemeinschaft gewesen, in der besonders die Kinder und die Jugend ein gutes Verhältnis zum Priester gehabt hätten. Aus dieser Welt, die sich keineswegs den Fortschritten der Zeit unaufgeschlossen gezeigt habe, betonte Rektor Brüggemann, habe er viel für seine heutige Tätigkeit mitgenommen. Die Familie im Dorfe sei eine Kirche im Kleinen gewesen, den Segen Gottes habe man sich vom Altar geholt.

Vorbild für die Jugend

Auch in der Zeit der Unruhe und der Technisierung, bat Rektor Brüggemann, möge man in Nächstenliebe zueinanderfinden und zur Hilfe bereit sein. Die Arbeit des Landvolkes, die Saat und Ernte, sei in besonderer Weise an den Segen Gottes gebunden, ohne den nichts wachse und gedeihe. Fleiß und Sparsamkeit könnten wohl Hab und Gut mehren, aber viel wichtiger sei, in die Herzen der Jugend das Saatkorn des Gottvertrauens zu säen und zu pflanzen — für weitere 50 Jahre und Jahrhunderte. Es sei ein hohes Gebot, sagte Rektor Brüggemann, in der Familie mehr zu sehen als einen „Vertrag“ für die Wohnungs-, Dach- und Tischgemeinschaff, die Familie sei eine Lebensgemeinschaft, in der Mutter und Vater vorbildlich und beispielgebend im christlichen Familienleben sein müssten.

Ein Hort des Friedens und der Einheit

„Erhaltet euch den Feierabend und den Sonntag“, rief Rektor Brüggemann der Versammlung zu; er warnte davor, unnötig am Sonntag Arbeiten zu verrichten. Man solle nicht in dieser Zeit „dahinschwimmen“, nicht nur dem Profit nachjagen, da schließlich alle echten vorhandenen, Sorgen der Landwirtschaft in charaktervoller Haltung ertragen und auch beseitigt werden konnten. Nur Rechnen, Organisieren und Technisieren heiße das echte Herz verlieren. Nicht die Maschine dürfe die Hauptsache werden, im Vordergrund habe immer der Mensch zu stehen. So möge das Dorf und seine Bevölkerung, die ein zwingendes Recht und die Pflicht habe, um ihre wirtschaftliche Existenz zu kämpfen, betonte Rektor Brüggemann, doch ein Hort des Friedens, der Ruhe und Einheit bleiben. Dabei müsse die Jugend an sich arbeiten, um sich weiter fortzubilden, um einmal eine glückliche Familie zu gründen, um ein Staatsburger mit klarem Kopf zu werden und in der Zeit der Entchristlichung die wahren Werte zu erkennen, die das Leben allein lebenswert machen. Wer sich der modernen Welt verschreibe, sich loslöse von Natur und Boden, der gehe zugrunde. Die französische Landvolkjugend singe in einem ihrer Lieder den Refrain „Die kommende Zeit gehört uns“, sagte abschließend Rektor Brüggemann, „das wünsche ich auch Ihnen zum heutigen Jubelfest”!

Nach kurzen Ausführungen des Geschäftsführers des Landwirtschaftlichen Kreisvereins, Helmig, der anlässlich seiner Amerikastudienreise über die unheimliche Macht des Geldes und die immer wieder anzutreffende Seelenlosigkeit der großen Masse in den USA berichtete, dankte Ortslandwirt Jesse allen Rednern, insbesondere Rektor Brüggemann, für ihre Ansprachen und Glückwünsche. Dann begann der fröhliche Teil des Festes, den die Landjugend mit dem gut gespielten Theaterstück „De Gluikberechtigung“ das durch die flotte Wiedergabe der einzelnen Rollen manche Lachsalven auslöste, einleitete. Heitere Vorträge und Tanz, zu dem wie beim Festakt die Kapelle Strüning,  fleißig aufspielte, beendeten das Jubelfest des Ortsvereins, das einen würdigen und harmonischen Verlauf nahm.