1947: Wiese, Fritz Hermann, Familienbuch der Familie Wiese

Kopie des Büchleins: Wiese, Fritz Hermann, Familienbuch der Familie Wiese, Neunkirchen (Kreis Siegen), 1947 [im Bestand von Wolfgang Marcus]

Vorderseite

Titelseite

Familienbuch der Familie Wiese – Chronik, Stammbaum. Heimat- und Lebensbilder. 2 Stammtafeln

Zusammengestellt nach den Kirchenbüchern, dem Buch „1100 Jahre Erwitte“, dem Heimatbuch des Kreises Lippstadt Band L und IL, dem Archiv der Grafen von Landsberg auf Schloss Erwitte, den Akten der Saline Westernkotten, den Chroniken der Stadt Erwitte und der Gemeinde Westernkotten. sowie nach mündlichen Überlieferungen von Fritz Hermann Sofia Wiese

Im Herbst des Jahres 1946

1947 — Als Manuskript gedruckt

in der Buchdruckerei Otto Braun, Neunkirchen Kreis Siegen

Für den Gebrauch des Büchleins.

Das Büchlein ist so eingerichtet, dass jeder Stammverwandte des Namens Wiese für seine Linie es da fortsetzen kann, wo seine Linie abzweigt.

Für Nachtragungen und Berichtigungen — denn Vieles ist Überlieferung — sind eine Anzahl leerer Seiten eingefügt worden. Auf Grund der beigefügten Stammtafeln der Linien Erwitte und Westernkotten lassen sich weitere Stammtafeln für alle Zweiglinien leicht aufstellen.

Der Verfasser bittet, Vorschläge zur Ergänzung dieser Chronik mit möglichst genauen Angaben ıhm zuzuleiten. Es sollen dann Nachträge für alle herausgegeben werden.

Vorbemerkungen.

In Zeiten der Ohnmacht, Verwirrung und Ratlosigkeit hilft Besinnung auf den Ursprung und das Herkommen, da ist die Erforschung der Familiengeschichte etwas Schönes und Tröstendes.

Wilhelm von Kügelgen schreibt in seinen Jugenderinnerungen: „Zu schildern vermögen wir nur, was wir begreifen und verstehen, daher vermag kein Mensch von anderen ein getreues Bild zu entwerfen, ja keiner von sich selbst. Es sind nur Bruchteile, die wir voneinander kennen, um so geringere, als die uns entgegenstehende Natur die unsrige überragt; und solche Bruchstücke können es denn auch nur sein, die sich in meiner Erzählung von den Personen finden, die ich schildere.” Anderseits pflegte aber auch mein Geschichtslehrer Professor Aust in seinem Unterricht folgende Bemerkung einzuflechten: „Es ist ein Glück für alle Geschichtsschreiber und Lehrer, dass die Toten nicht gegen ihre Ansichten protestieren können.”

So will ich denn versuchen, über die Vorfahren und die Heimat sachlich und überlieferungstreu zu berichten.

Die letzten vierzig Jahre waren für die Heimat vielleicht die schwersten und verhängnisvollsten ihrer Geschichte. Wir erlebten den periodischen Auf- und Abstieg in der Volkswirtschaft mit der großen Arbeitslosigkeit in allen Ländern der Welt, wir erlebten den ersten Weltkrieg mit den folgenden Inflations- und Hungerjahren, wir erlebten endlich die künstlich herbeigeführte Hochkonjunktur auf allen Wirtschaftsgebieten im Dritten Reich (1933), das mit dem zweiten verlorenen Weltkrieg (1930 -1945) sein Ende fand. Sein Nachlass ist furchtbar. Neben den vernichteten Sachwerten sind aber höhere Werte verloren gegangen, ganz zu schweigen von den Kulturwerten und dem Niedergang von Moral und Sitte im Dritten Reich nach zwei verlorenen Weltkriegen. Neid und Infamie, Streit und Hass erfüllen das schöne Land. Schon aus früheren Zeiten, besonders aus dem 17. und 18. Jahrhundert, hören wir von verheerenden Kriegen, von der Zerrüttung der öffentlichen Zustände, von den politischen und religiösen Bedrängnissen, von der Verarmung und Bedrückung des Volkes. Aber immer wieder fand der deutsche Mensch den Weg nach oben, wenn auch meist unter unsäglichen Opfern. Ihr, die Ihr diese Zeilen lest, habt all das Schreckliche gesehen und miterlebt, habt gelitten und getrauert und — habt gearbeitet. Nun arbeiten wir alle weiter an dem Wiederaufbau des Landes, der Heimat, des Heims. Und es wird uns gelingen.

Mancher unter uns ist bei all den Sorgen und Nöten der Zeit seiner Heimat fremd geworden. Dies Büchlein soll uns die Heimat wieder näherbringen und die gelockerten Familienbande enger ziehen.

Die Heimatgeschichte und die heimatliche Landschaft sind eng mit der Familiengeschichte verbunden. Es soll daher ein kurzes allgemein gehaltenes Bild der Heimat gegeben werden, wie auch einiges aus der Heimatgeschichte zur Ergänzung der Familiengeschichte und der Heimatbilder nicht umgangen werden darf, Ich neige mich vor den Toten und begrüße die Lebenden.

Fritz Hermann Sofia Wiese.

Im Herbst des Jahres 1946.

Foto 1: Wappen Erwitte

Die Heimat – Dorf und Rittersitz Erwitte, Dorf und Saline Westernkotten

Ich bin mir bewusst, dass eine Heimatschilderung nur individuell sein kann, denn ein jeder trägt sie in sich und sieht sie mit andern, mit eigenen Augen und Empfindungen. Ich bitte daher, die folgenden Zeilen so zu bewerten und als Anregung zu betrachten.

Erwitte, wohl die bedeutendste Landgemeinde des Kreises Lippstadt, hat auch den Ruhm, in die Reihe der frühesten genannten Orte zu gehören. Jahrhunderte waren bereits vergangen, als ihre Nebenbuhlerin, die Stadt der Edelherren zur Lippe (Lippstadt) gegründet wurde, und noch ehe man den Namen ihrer Rivalin nannte, war Erwitte zu Bischof Meinwerks (Paderborn) Tagen bereits Gegenstand heißer Bemühungen und lebhafter Auseinandersetzungen zwischen Köln und Paderborn gewesen.

Seit Anfang des 11. Jahrhunderts waren die Paderborner Bischöfe bestrebt, ihren Einfluss nach Westen hin auszudehnen. Hier war noch sozusagen ein leerer Raum, in dem zwar reichlich Königsgut vorhanden war, aber sonst eine fremde Macht kaum Fuß gefasst hatte, mochte immerhin Köln ihn als sich zugehörig betrachten. Das Ziel war offenbar der Hellweg mit den reichen Salzquellen, insbesondere das Gebiet von Erwitte und Westernkotten. Beide, Erwitte wie Westernkotten, haben ihre alte Geschichte und ihre kleinen Geschichten, wie auch die Kreisstadt Lippstadt hierin nicht zurückstehen mag.

Der unselige Krieg hat die Heimat in ihrem Gesamtbilde nur wenig berührt, besonders ist sie von schweren Luftangriffen ganz verschont geblieben. Besinnlich und festgefügt stehen die Fachwerkhäuser da, vielfach mit farbigem Balkenwerk und hohen Deelentüren, in die eine kleine geteilte Tür für den „Personenverkehr” eingebaut. ist. Andere haben moderne Eingänge erhalten mit Dielen und schönen Treppen, wobei das Moderne dem Alten sich oft sehr gut anpasst. Wie träumend ragen die hohen Pappeln „hinterm Wall”, die alten Obstbäume, Kastanien und Linden sowie uralte Eichen über die roten Dächer: Man sieht kein Haus ohne Dach, keinen Turm ohne Helm und Spitze, alles ist erstaunlich fertig, ordentlich und sauber im Gegensatz zu den meisten anderen Gauen des verwüsteten Landes. Ob auch hinter den soliden Balken, die Jahrhunderte gesehen haben, die Not zu Hause ist? Kalorien werden auch hier den täglichen Gesprächsstoff bilden, aber das nährende Land und die heckenumzäunten Gärten umkränzen das Dorf und der gut bestellte Küchengarten wie der gehaltvolle Stall liegen hinterm Hause. Auch die Miste, die noch vor 20—30 Jahren vor dem Hause lag, hat ihren Platz nach hinten erhalten oder ist durch ein gutes Mauerwerk und Gebüsch eingezäunt und getarnt.

Die Landschaft, die auch „Der Hellweg” genannt wird ‚erstreckt sich vom Haarstrang bis zur Lippe. Den Namen gab ihr die alte Heerstraße „Der Hellweg”, die seit 785, als Karl der Große den Königshof in Erwitte errichtete (784-/785), planmäßig als Königstraße angelegt wurde. Sie führt vom Rhein über Duisburg, Steele, Bochum, Dortmund, Unna, Werl, Soest, Erwitte, tangiert Westernkotten und geht weiter über Geseke, Paderborn ins Weserbergland und erschloss, als es noch keine Eisenbahnen und Autos gab, die Gebiete des Harz und der Magdeburger Börde.

Es ist schwer zu sagen, wo die Sage aufhört und die Geschichte anfängt. Über Sage und Geschichte berichtet der Heimatdichter Franz Kesting in seinem Gedicht: Hellwegschemen

Wo beim Dorf die alte Linde

Hart am Rand des Weges steht,

Sitze ich, vom Abendwinde

Sanft mit leisem Hauch umweht.

Geisterhafte Schemen ziehen

Auf dem Heerweg durch das Land,

Ross und Wagen schwer sich mühen.

Hier durch Lehm und dort durch Sand.

Hermanns rachedurst’ge Scharen

Stürmen auf dem Weg zur Schlacht,

Rings umlauert von Gefahren

Flieht auf ihm der Feind zur Nacht.

Karl, den Kaiser, seh’ ich reiten,

Und dem Hellweg folgt der Tross:

Trutz’ge Sachsenrecken schreiten,

Deren Blut im Kampfe floss.

Wie vor vielen Jahren strömen

Übern Weg mit Helm und Hut

Hessen, Schweden, Spanier, Böhmen,

Reisige und Räuberbrut.

Fehdescharen — wildverwegen —

Ziehen auf der alten Bahn,

Und wo sie die Trommel regen

Flammt am Dach der rote Hahn.

König Friedrichs Kanoniere

Fluchen ob der Straße Last.

Und des Korsen Grenadiere

Halten hier zu kurzer Rast.

Doch fast hätte ich verschwiegen,

Wer zuletzt des Weges zog;

Sie, die man nach hundert Siegen

Um den letzten Sieg betrog.

Wo beim Dorf die alte Linde

Hält am Rand des Hellwegs Wacht,

Habe ich, umrauscht vom Winde,

Ihres Schicksals stumm gedacht.

Deutschlands Heer, beim Abendschimmer

Grüß’ ich dich mit stolzem Blick!

Bess’re Helden kehrten nimmer

Zu dem Hellweggau zurück.

Die Landeshoheit in Erwitte und Westernkotten

war umstritten durch die Bischöfe von Köln und Paderborn, wobei ihnen die unsicheren Rechtsverhältnisse in Deutschland sehr gelegen kamen, Kaum können wir uns heute eine genügende Vorstellung machen von der Verworrenheit der staatlichen und rechtlichen Zustände im Mittelalter. Deutschland selbst war nichts weiter als ein geographischer Begriff, das aus Hunderten von kleinen und kleinsten Gebieten bestand, die unter sich nicht alle gleichberechtigt, sondern in sich wieder über- und untergeordnet wären. Da nun diese Gebiete meistens kein geschlossenes Ganzes bildeten, sondern aus zahlreichen, weit auseinander liegenden Gebieten bestanden, so wurden die politischen und rechtlichen Verhältnisse der einzelnen Staaten oder Teile derselben nur noch verwickelter. Die mächtigeren Herrscher griffen skrupellos unter allerhand Rechtstiteln in die Rechte der Schwächeren ein. Gerade in Westfalen war die Rechtslage infolge der eigentümlichen Gerichtsverhältnisse, die hier herrschten, oft besonders schwierig und verworren. Ein Beispiel für diese Unsicherheit und Verwirrung der Rechts- und Gerichtsverhältnisse geben uns die späteren Zustände im alten Königshof Erwitte.

Kaiser Konrad II. schenkte im Jahre 1027 zu Rom dem Bischof Meinwerk von Paderborn den Königshof Erwitte, und zwar erhielt der Bischof zugleich auch das ganze Gericht über den Königshof und seinen Zubehör — außer Gogericht und Blutbann. Die Blutgerichtsbarkeit wurde nämlich damals von den Grafen von Arnsberg ausgeübt, während das Gogericht im 11. Jahrhundert noch Volksgericht war und daher auch nicht vom Kaiser verschenkt werden konnte. Paderborn hatte somit durch die Schenkung die wichtigsten landeshoheitlichen Rechte im Königshof erhalten. Innerhalb des Königshofes entwickelten sich später die beiden selbständigen Gemeinden Erwitte und Westernkotten.

Während aber Westernkotten ganz auf Grund und Boden des Königshofes lag, waren in Erwitte daneben noch andere Grundherren begütert, die also nicht Paderbornsche Hofeshörige waren. So hören wir, dass im Jahre 854 ein Redag einen Hof in Erwitte an das Kloster Korvey verschenkte. 965 vermachte der Erzbischof in Köln, der Bruder Kaiser Ottos I., in seinem Testament einen Hof in Erwitte an die Kirche in Soest. Auch die Grafen in Arnsberg hatten in Erwitte mehrere Güter, die mit dem Verkauf ihrer Grafschaft 1368 an Köln übergingen. So finden wir in Erwitte Besitz verschiedener Grundherren nebeneinander. Kirchlich gehörte Erwitte nach Köln. 1080 schenkte Erzbischof Sigewin die Kirche zu Erwitte dem hl. Patroklus in Soest; der Soester Dekan war somit Patron der Erwitter Kirche. Doch hatte der Königshof eine eigene Kapelle, die an der Stelle des jetzigen Cordeschen Anwesens lag. Diese Verhältnisse in Erwitte gaben dann später Veranlassung zu jahrhundertelangen Streitigkeiten zwischen Köln und Paderborn. Die durch die Schenkung Konrads II. geschaffene Lage scheint zunächst zwei Jahrhunderte hindurch unverändert geblieben zu sein. Erst als 1180 das alte sächsische Herzogtum mit dem Sturze Heinrichs des Löwen zusammenbrach, wurden die Verhältnisse hier bald andere. Die Erzbischöfe von Köln wurden nun Herzöge von Westfalen und erhielten somit die Herzogsgewalt über den westfälischen Teil ihrer Diözese und den westlichen Teil des Bistums Paderborn. Seit dieser Zeit traten gespanntere Verhältnisse in den Grenzgebieten zwischen Köln und Paderborn ein. Schon zwei Jahre vorher 1178 hatte Papst Alexander III. dem Erzbischof Philipp die Gografschaften im alten Westfalen bestätigt. Gerade auf den Besitz dieser Grafschaften gründeten nun in der Folgezeit die Erzbischöfe ihre Landeshoheit in Westfalen.

Hieraus ergeben sich auch die verschiedenen Gerichtsbarkeiten mit ihren fast unübersehbaren Rechten und Rechtsverhältnissen.

Besonders aber zeigen diese Zustände, wie Köln mit Hilfe der Gerichtsbarkeit (Gogerichte) seine Landeshoheit bis ins einzelnste durchzusetzen versuchte und in Gebiete eindrang, in die es bestimmt

nicht hinein gehörte.

Die jetzt geschaffene Ordnung hielt sich in den Gemeinden Erwitte und Westernkotten im ganzen 18. Jahrhundert, bis sie bei der Säkularisation 1803 zunächst unter hessische, dann 1815 unter preußische Herrschaft kamen. Die Bedeutung des Gebiets lag für Paderborn fortan zum größten Teile in den reichen Salzquellen zu Westernkotten, wonach der ganze Bezirk auch bis zur Säkularisation den Namen „Amt Westernkotten” führte. Der Fürstbischof von Paderborn war dort Obereigentumsherr über 14 Salzwerke und damit eigentlicher Leiter der Saline. Er unterhielt hier vor der Säkularisation einen Erbamtmann, Amtsrichter und Rentmeister. Diese hatten die dortigen fürstlichen Geld- und Fruchtgefälle und Salzzehnten zu erheben. Ferner hatten sie gemeinschaftlich mit den kurkölnischen Beamten des Gogerichts Erwitte die Gerichtsbarkeit in den bestimmten Grenzen zu üben und die übrigen Rechte des Fürstbischofs wahrzunehmen.

Bevor wir die Salinen- und Sälzerverhältnisse in Westernkotten weiter behandeln, ist noch einiges über den Rittersitz Erwitte und die Notzeit des Dreißigjährigen Krieges in der engeren Heimat zu sagen.

Der Rittersitz Erwitte ist seit dem Mittelalter in den Händen der Familie von Landsberg. Nach den Urkunden haben die Landsberger schon um 1300 dort gesessen. Sie stammen von der Burg Landsberg an der Ruhr, die sich jetzt im Besitz des Großindustriellen Thyssen befindet. Sie waren auf dieser Feste Burgmänner der Grafen von Berg. Wie sie nach Erwitte gekommen sind, ließ sich noch nicht feststellen. Der Erwitter Zweig der Landsbergs hat sich im Laufe der Jahrhunderte einen großen Grund besitz erworben, so in Erwitte, Westernkotten, Völlinghausen usw. Im Jahre 1792 wurde die Familie in den Reichsfreiherrnstand erhoben und in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den preußischen Grafenstand. Aus der Familie sind besonders bekannt geworden: Dietrich Freiherr von Landsberg, der hohe militärische Stellen bekleidete und um 1680 Herr auf Erwitte, Landdrost in Westfalen, Erbdrost in Erwitte und Erbamtmann zu Westernkotten war; ferner der Münsterische General Anton von Landsberg aus der Zeit des spanischen Erbfolgekrieges (1701 bis 1714), im 19. Jahrhundert Graf Max von Landsberg (gestorben 1902) als Präsident des westfälischen Bauernvereins, aus der Linie Steinfurt der Freiherr Ignatz von Landsberg ‚als Vizepräsident des preußischen Herrenhauses.

Drangsale im Dreißigjährigen Kriege

„Es ist groß Elendt und gefahr,

Wo Pestilenz regiert;

Jedoch noch größer ist’s fürwahr,

Wo Krieg geführet wirdt;

Da wird veracht’t und nicht betracht’t,

Was recht und löblich wäre.”

Die Drangsale im Dreißigjährigen Kriege knüpften sich für die engere Heimat zunächst an die Person des Herzogs Christian von Braunschweig, an den „dollen Christian”. Dieser Abenteurer hatte sich, nachdem seine Truppen von den Kaiserlichen geschlagen worden waren, nach Westfalen gewandt, um hier den Kampf wieder aufzunehmen. Er verwüstete zunächst das Bistum Paderborn und drang infolge seines Einverständnisses mit der Bürgerschaft in der Neujahrsnacht in Lippstadt ein und setzte sich darin fest, um von hier seine Raubzüge zu unternehmen. Er brandschatzte die Städte der Gegend und ließ die Dörfer Erwitte, Westernkotten, Altengeseke, Altenrüthen, Overhagen und mehrere adelige Häuser niederbrennen. Im Jahre 1623 erschienen die Spanier unter Führung des Grafen Johann von Ostfriesland-Rietberg und belagerten die Stadt. Die Belagerung dauerte vom 6. September bis 23. Oktober. Lippstadt wehrte sich tapfer, musste sich aber schließlich aus Mangel an Pulver und sonstiger Hilfe ergeben.

Es ist verständlich, dass derartige Kriegsdrangsale mit ihren Plünderungen und Brandschatzungen drückende Verhältnisse schufen und bald großes Elend herrschte. Das ist die Zeit, die so gerne mit der jetzigen Notzeit verglichen wird.

Foto 2: Wappen Westernkotten

Die Heimat in Not

Du Heimat zwischen Haar und Lippe,

Dein denke ich in ernster Zeit. —

Ihr Stammesbrüder: Uns’re Sippe

Ist eng verbunden, auch im Leid.

Wenn tausend offne Wunden bluten

In schicksalsschwerem Augenblick,

Soll’s heiß in meinem Herzen gluten:

Du teure Heimat, bist mein Glück,

Dir soll mein Lebenswerk gehören,

Wie einst im Glück, so jetzt in Not.

Nichts soll den Glauben mir zerstören:

Dir bleib ich treu bis in den Tod. (L.)

Die jetzige Gemeinde Westernkotten

ist aus den umliegenden, seit der Soester Fehde (1444—1449) wüst gewordenen Ortschaften entstanden. Es waren dies die Bauernschaften Hockelheim, Meßtuschenheim, Aspen, Weringhausen und Swick. In den älteren Urkunden sind ihre Namen noch zu finden.

Nachdem die genannten Bauernschaften wüst geworden waren, siedelten sich die Bewohner bei den Salzquellen — den Cothen — von neuem an. Zu ihrem Schutze umgaben sie den Ort, der nach den Cothen den Namen Westernkotten erhielt, auf drei Seiten mit hohem Erdwall und breitem Wassergraben, während die vierte Seite nach Osten zu durch den sumpfigen Muckenbruch einen hinreichenden natürlichen Schutz hatte. Ein alter Stein an dem Westtore gab Kunde davon, wie auch eine Inschrift in Stein gehauen an der Kirche auf die Zerstörung der Ortschaften und die Neuansiedlung ihrer Bewohner hinweist. Der Stein stammt aus dem Jahre 1630 und trägt in lateinischer Sprache eine Inschrift, deren deutsche Übersetzung hier folgt:

Der Ursprung Westerkottens

vor 200 Jahren

Furchtbar wütet der Krieg, ihm folget der

schreckliche Brand nach,

Haus für Haus verschlinget die Flamme,

die eilet durch Aspen

Und zwei Dörfer noch andre. Es wechseln

den Heerd die Bewohner,

Salzige Quellen in der Nähe sie finden und

lassen sich nieder.

Aber von Stürmen des Krieges noch

wieder und wieder gequälet,

Ganz der Habe beraubt, da dem Fürst

Ferdinandus vertrauend

Wälle sie rings aufbau’n, nach Geheiß

schließt jetzt man die Tore.

Im Jahre 1630.

(Inschrift erneuert im Jahre 1900)

Der hier genannte Wall begrenzt nach Westen hin die Wiesensche Besitzung. Ganz in der Nähe liegt das Westerntor.“ Die Bezeichnung ist so alt, wie der Wall selbst. An der Stelle, wo der Westwall von der Straße nach Erwitte durchschnitten wird, soll ein steinernes Tor gestanden haben. In diesem Tor soll die alte steinerne Urkunde über die Gründung Westernkottens eingemauert gewesen sein. Lange Jahre soll dann der Stein bei Jütte-Stöffler zum Beschweren des Sauerkrautes gedient haben. Deshalb sind auch wahrscheinlich die vier Ecken des Steines etwas abgerundet, damit er in das Sauerkrautfass hineinpasste. Dieser Stein war dann an der Nordaußenwand der Kirche eingemauert. Vikar Bernhard Becker ließ die Inschrift entziffern und einen neuen Stein anfertigen, der an die Stelle des alten kam. In der Folgezeit wusste niemand, wo der alte Stein geblieben war. Als beim Anbau des Seitenschiffs an der Kirche auch der Altar höher gelegt wurde, fand sich der alte Stein unter den Altarstufen wieder. Er ist im Inneren der Kirche dem neuen Stein gegenüber eingebaut worden.

Das Westerntor oder die Westernporte ist der Haupteingang ins Dorf gewesen: von Westen her über Lipperweg, Weringhof, Mühle, Griesestraße, Westerntor.

Die Salzquellen waren den Germanen heilig und standen unter dem Schutz der heidnischen Priesterschaft‚ aus deren Händen sie bei der Einführung des Christentums in die der Könige übergingen und, dadurch später zu den sonst schwer zu erklärenden Hoheitsrechten wurden (Eichhorn Rechtsgeschichte). So nahmen die Könige schon zur Zeit der Karolinger die Solquellen als Hoheitsrecht (Regal) in Anspruch und durch die goldene Bulle des Kaisers Karl IV. (1356) erwarben die Kaiser die Metalle und die Salinen als Hoheitsrechte. Auf dieses Verhältnis geht der Zehnte der Ausbeute an den Landesherrn zurück.

Die ältesten Nachrichten über die Salzgewinnung am Hellweg stammen aus dem 8., 9. und 10. Jahrhundert. Bei Westernkotten sind die ältesten Urkunden leider verloren gegangen. In den Akten der Saline Westernkotten befindet sich aber eine „Beschreibung der Saline Westernkotten”, deren Inhalt für die Beurteilung der Rechtslage des späteren Solbades (im Besitze der Familie Wiese) sehr wichtig ist. Hier heißt es wörtlich:

„Westernkotten, ein im Herzogtum Westphalen, Regierungsbezirk Arnsberg, Kreis Lippstadt belegenes Dorf, von circa 1300 Einwohnern, ist seiner schweren Salzsoolen-Brunnen wegen in manchen, selbst politischen und industriellen Beziehungen wichtig genug, um etwas Näheres, betreff der Saline in früheren Zeiten und auch des Orts Entstehung, Nachforschungen anzustellen, solche zu sammeln und für die Nachfolger zu bewahren.

Ich habe mich bestrebt, soviel thunlich mir die Mittel zu jenem Zwecke zu verschaffen und mir die Ehre erlaubt Ew. Gnaden unterthänigst folgendes ganz gehorsamst vorzutragen.

Bevor auf dem Platze, wo jetzt Westernkotten liegt ein Dorf und daselbst Wohnungen waren, existirten schon die Soolquellen.

Diese wurden benutzt von den Einwohnern des Dorfs Aspen, welches nicht weit südlich des jetzigen Dorfes belegen, ein Raub der Flammen wurde. Die Abgebrannten von Aspen verließen ihre Hausplätze und bauten sich an, nahe bei den Soolbrunnen, erhielten den Namen Westernkötter von dem Schloss Westernkotten, welches auf dem Platze stand, wo jetzt das von Papensche Gut, zwischen Westernkotten und dem Schäferkampe (eine Anzahl Häuser welche noch zu Westernkotten gehören) belegen ist.

Es scheint nicht zweifelhaft, dass die Einwohner von Aspen und später Westernkötter bei den Soolbrunnen verzogen und daselbst wohnhaft, alle das zu ihrer Haushaltung nothwendige Salz durch Schöpfung aus den Soolbrunnen sich bedienten, solches Schöpftum eben in späteren Zeit sich zu einem Schöpfrecht gestaltet, sich als Kauf- und Verkaufsobject gebildet hat. Daher ist es dann auch erklärlich, dass vor dem siebenjährigen Kriege eine große Menge Soolschöpfberechtigte existirten, welche Berechtigungen so klein waren, dass Mehreren nur ein Recht im Jahre 1 bis 2 Stunden zu schöpfen und sieden gebührte.

Wann die Schöpfberechtigkeit sich in 15 Antheilen oder Hütten oder Pfannen gestaltet, wann die Aufsichtsrechte resp. Abgabeverpflichtungen vom Salzwerk ursprünglich an den Fürstbischof zu Paderborn gekommen, ist mit Sicherheit nicht zu ermitteln, obwohl es wohl wahr sein mag, dass diese Gerechtsame dem in Erwitte belegenem Curia regia (Königshof) früher anklebte, welche der Kaiser Conrad dem Bischof Meinwerkus schenkte.

Ohne Zweifel verdankt die Saline Westernkotten die Eintheilung in 15 Pfannen der Zeit, wo das Salz anfing ein bedeutender Handelsartikel zu werden.

Die Potentern hatten sich mehrere Antheile erworben und so existirten in früheren Zeiten folgende volle Antheile:

Pfannen:

1. Benninghausen Sive Beckhütte später Frhr. von Schade   2                                                                        

2. Bücks Hütte Frhr. von Hoerde zu Schwarzenraben, Eringerfeld und Frhr. von Bocholz gehörig 1

3. Korffs Hütte Herrn von Korff gehörig                                                                                                                1

4. Fürstlich Paderbornsche s. g. Doctors Hütte                                                                                                  2

– Am Ost-Ende Bredenoll 1/6 Löper 5/6

– Am West-Ende von Schade ½ von Landsberg ½

5. Bredenolls Hütte von Landsberg dominus directus 2

Am Ost-Ende Engelb. von Landsberg 1/2 Bredenoll 1/2

Am West-Ende Graf von Landsberg

6. Craes Hütte von Schade dominus directus                                                                                                     2

Am Ost-Ende von Schade ½  Poelmann 1/3  Dirks 1/6

Am West-Ende Frhr. von Schade

7. Becks Hütte

von Landsberg dominus directus                                                                                                                            2

Am Ost-Ende von Landsberg 2/3 Vernholz 1/3

Am West-Ende von Landsberg 1/3 Bredenoll 1/3 Stromberg 1/3

8. Capitains Hütte

Probst zu Eickelborn dominus directus                                                                                                                 1

H. Jesse

9. Brexels Hütte

Haus Füchten Lehnsherr

Liesborner Hütte                                                                                                                                                           1

10. Kloster Liesborn dominus directus

Poelmann in Pacht                                                                                                                                                        1

Pfannen :         15

Der Bedarf der Rohsoole wurde aus drei Brunnen gewonnen, welches mittels einen Tretradskunst durch Menschen geschah.

Die drei Brunnen waren:

  1. Der Hauptbrunnen.

An diesem waren betheiligt:

  1. Craes mit 2 Pfannen
  2. Becks mit 2  
  3. Doctors mit 2
  4. Korffs mit 1
  5. Hoerden mit 1

8 Pfannen

2. Der Vorderste Brunnen.

Zu demselben gehörten:

  1. Liesborn mit 1 Pfannen
  2. Brexel mit 1
  3. Capitains Hütte 1

3 Pfannen

  • 3. Der Hinterste Brunnen.

Schöpfberechtigt waren:

  1. Becks Hütte mit 2 Pfannen
  2. Bredenolls mit 2 Pfannen

4 Pfannen

Sa Sarum:                           15 Pfannen

Ein gemeinschaftliches Werk befindet sich auf der Saline auch um 1850 nicht statt. Es besteht vielmehr auch noch gegenwärtig die Saline Westernkotten wie früher aus 15 Anteilen, welche verschiedenen Interessenten zugehören. Die15 Anteile gehören:

Graf Landsberg 6 5/6

Brexels Hütte  1

von Papen 3

Bredenoll 1 1/3

Fiskus 1

Erben Jesse 1

Erbsälzer Löper 5/6

15 Anteile

(Akten der Saline 1850)

Leider sind im Laufe der Jahrhunderte viele Urkunden und Akten verloren gegangen. Viele Akten der Saline sind auch im vergangenen Jahre 1945 beim Einzug der Russen in Westernkotten von diesen vernichtet worden. Es fehlen vor allem die Statuten, die vor dem Jahre 1778 bestanden haben. Am 27. November 1778 gab nämlich der Fürstbischof Wilhelm Anton von Asseburg (Paderborner Bischof) den Sälzern zu Westernkotten_neue verbesserte Statuten, die hier auszugsweise folgen, soweit sie für die Geschichte der Saline, des Solbades und der Erbsälzer von Bedeutung sind:

„Von Gottes Gnaden Wilhelm Anton, Bischof von Paderborn, des Heiligen Römischen Reiches_Fürst, Graf zu Pyrmont, tun kund und fügen hiermit zu wissen, dass wir uns bewogen gefunden haben, unserm Salzwerk e zu Westernkotten eine solche Einrichtung zu geben, wodurch nicht allein eine bessere Ordnung in den Salzsieden befördert, sondern auch der allgemeine Nutzen mit dem Vorteil eines jeglichen Sälzers aufs Genauste verbunden werde. Da nun zur Erreichung dieses so heilsamen Endzweckes nötig gewesen ist, die alten Söder-Artikel gründlich untersuchen zu lassen, so haben wir dabei nur gar zu deutlich wahrgenommen, dass dieselben dem Zwecke nicht mehr angemessen, sondern umso mehr eine nähere Bestimmung und Vermehrung erfordern, da sonst die zweckmäßigsten Absichten gänzlich verfehlt werden. Um demnach diese zum allgemeinen Besten ins Werk zu setzen, haben wir nachfolgende Artikel, wonach die sämtlichen Söder oder Sälzer sich richten und ihre Söderei oder Siedegerechtigkeit ausüben sollen, verfassen lassen, in deren Gefolg Wir hiermit verordnen:

  1. Keiner zum Söder oder Sältzer angenommen werden, er sey denn ehelich geboren, Christ=Katholischen Glaubens, ehrlichen und guten Leymuths, unbescholtenen Wandels und keiner Leibeigenschaft unterworfen, weil aber alter Gewohnheit nach ein jeder Sältzer sich durch Leistung eines förmlichen Aydes qualificieren muss, so soll er, ehe und bevor er zum Sältzer angenommen wird, vor unserm Hochfürstlichen Beamten geloben und schwören, dass er uns und einem zeitlichen Fürsten zu Paderborn in denen Stücken, welche zu unserer und eines zeitlichen Fürsten zu Paderborn Gerichtsbarkeit gehört, und so weit es seine einem zeitlichen Erzbischof und Churfürsten zu Cölln als seinem Landesfürsten geleistete Ayd- und Huldigungspflichten zulassen, getreu und gehorsam bezeigen, unser Gericht, Gebott und Verbott in denen Salzwerks Sachen geziemende Folge leisten, denenseihen aber in keinem sich widersetzen, unsern und eines zeitlichen Fürsten zu Paderborn Nutzen ohne Nachteil des Erzstifts Cölln allzeit befördern, dessen Schaden aber warnen und verhüten wolle.
  2. Sollen vor einer Pfannen= oder Siedegerechtigkeit nicht mehr als zwey Vota Platz haben und wo eine solche in mehrere Teile vertheilet, bleibt es usquead Reconsolidationem zwar dabey, fürs künftige aber solle die Vertheilung in mehr als zwey Theile nicht mehr erlaubet, sondern verbothen seyn, mithin sollen auch in dem Fall, wenn die Pfanne in einer Erbschaft mehreren als zweien Kindern zufiele, die übrigen Kinder mit Geld oder andern Gütern davon abgefunden werden, inzwischen aber nur bis zur Reconsolidation von den mehreren Interessenten zur Führung eines Voti entweder einer benannt werden, oder diese in Führung des Voti Successive abwechsein.
  3. Können zwar abwesende Interessenten auch per mandatarium ihre Stimme führen, dieser aber wohl vorher sein mandatum ad protocollum geben, bis dahin aber zur Stimmführung nicht zugelassen werden.
  4.  Wenn jemand seinen Anteil verkaufen will, soll den bey selber Pfannen interessierten der Vorkauf, und wo dieser nicht wolle, andem nembris collegie/infra tempus legale zustehn, falls aber darüber oder sonst wegen der Salzwerke einige Rechtsstreitigkeiten entstehen würden, sollen dieselben in prima instantia von unserm Beamten ingefolg des mit dem Erzstift Cölln im Jahre 1. 687 errichteten Recesses rechtlich entschieden werden.

Die §§ 5 und 6 regeln die Generalversammlungen und sonstigen Zusammenkünfte, die Rechnungslegung sowie die

[die folgenden Seiten aus dem Text von Wiese sind äußerst schwer zu transkribieren. Ich habe sie deshalb „nur“ als eingescannte Seiten „angehängt“. Die Kopie der Originalschrift könnte im Bedarfsfall bei mir eingesehen werden. WM]