o.V. [wahrscheinlich von Von Carl Laumanns]
Aus: Heimatblätter 2.11.1944
Bereits in Nummer 8 der „Heimatblätter“ (26. Jahrgang) ist die Frage erörtert worden, ob die Weihe, in alter Zeit Weidenau genannt, eine natürliche oder künstliche Ableitung der Gieseler sei.
Hierzu liefert eine Denkschrift des Oberregierungs- und Oberbaurats Wolle, Münster (Juni 1944), einen Beitrag, den wir im Interesse der Heimatkunde auszugsweise wiedergeben mochten. Zunächst aber möchten mir einen kleinen Irrtum darin berichtigen. Der von Wolle herangezogene Stadtplan von Merian ist nicht 1630, sondern um 1650 entstanden. In diesem Stadtplan ist die Weihe innerhalb der Stadt als offener Kanal eingezeichnet, während die Stadtansicht von 1575 die Weihe im Südosten der Stadt Lippe mit der Rosse-Mühle zu erkennen ist.
„Wegen der Wassermenge, die aus der Gieseler nach Lippstadt abgeleitet werden durfte, war öfter Streit zwischen der Stadt und den Besitzern von Schloss Overhagen, dessen Schlossgräfte mit dem in der Gieseler verbleibenden Wasser gespeist wird, und dessen Mühle das Betriebswasser aus dem Bach erhält.“ Hierüber gibt eine Urkunde vom 9. Oktober 1678 Auskunft. Diese von dem Festungskommandanten Obristen und Gouverneur Freiherrn von Pöllnitz, W. von Schorlemer, Herrn zu Oberhageen, dem Drosten und Obristenmeister Ludolf und dessen Bruder Heinrich Beckmann sowie dem Bürgermeister und Syndikus der Stadt Lippstadt unterzeichnete Urkunde befindet sich im hiesigen Stadtarchiv. Sie beginnt:
Zu wißen sey hiermit: Demnach wegen des Flüßleins Weydenaw oder Gieseler genanndt: „als welches im Cöllnischen Territorio entspringt, und nicht allein gerade seinen Curs auf Lippstadt zur Speisung dessen Graben, und auf den Straßen hergehenden rivalis (Bächlein), auch einer davon gelegenen Lehen-Mühlen, die Börnicker Mühle (Rossemühle), nimmt, sondern auch dessen, nächst dem Kötter (Westernkötter) Bruch her, zwischen Westen und Norden, nach Oberhagen zu Behuf derselbigen Hause, an und zugehöriger Mühlen laufenden Abfluss hat“ usw.
Es würde zuführen, wenn wir die Urkunde ganz im Wortlaut zitieren würden. Doch geht daraus hervor, dass die Weihe nicht nur als Kanalisation, sondern auch strategischen Zwecken, zum Füllen der Festungsgräben, gedient hat. Dieser Bestimmung hat die Weihe gewiss schon 1623 bei der großen Belagerung gedient, vielleicht schon bei der Belagerung im Juni 1447 durch das kölnisch-böhmische Heer, wo die Wasserfestung uneinnehmbar war. Außer der Weihe dienten in alter Zeit 236 Brunnen der Altstadt zum Feuerschutz.
Wie ist nun der Verlauf der Weihe?
Hierüber sagt die Denkschrift folgendes: Gleich unterhalb der Abzweigung des Schifffahrtskanals zweigt vom linken Ufer der Lippe eine Kanalleitung ab, die den Weihen Lippewasser zuführt. Das System der Weihen im Stadtteil südlich der Lippe wird dadurch bei stärkerer Wasserführung, des Flusses ständig durchspült, und zum Löschen von Bränden steht Flusswasser zur Verfügung. Der Einlauf kann durch ein Schütz gegen Kochwasser der Lippe geschlossen werden. „
Ein weiterer Einlauf befindet sich im Bahnhofsgelände östlich des Hauptbahnhofs. Hier kommt von Südosten her ein Wasserlauf, gleichfalls Weihe genannt. Diese Weihe führte früher der am Südrande der Stadt gelegenen, schon seit längerer Zeit abgebrochenen Börnicker Mühle (Rosse-Mühle) das Betriebswasser zu und speiste auch die südlichen Festungsgräben. Das dicht dabei liegende Drahtwerk der Westfälischen Union entnimmt oberhalb des Staues einen Teil seines Betriebswassers der Weihe. Nach Gebrauch wird dieses Wasser über die südliche Umflut geleitet und gelangt dann in die städtischen Weihen.
An verschiedenen Stellen hat das Entwässerungsnetz der Stadt Auslässe zur Lippe und in die Umflut, in die sich nun das gesamte Abwasser der Stadt ohne jede Reinigung ergießt.
Der Auslass am Westende der Soeststraße ist m einem Schacht durch einen Spindelschteber abgeschlossen. Dieser Auslass mündet unter der 1910 errichteten hohen Brücke in die große Lippe. Oberhalb zweigt ein in der Soesttor-Straße nach Süden laufender Kanal ab, der unter der südlichen Umflut herführt und dann in den Graben neben dem Hellinghäuser Weg mündet.
Die in die südliche Umflut einmündende Weihe ist — wie schon oben ausgeführt — eine sehr alte, wahrscheinlich schon im Mittelalter gebaute, künstliche Abzweigung aus der bei Eikeloh entspringenden Gieseler. die einige Kilometer unterhalb von Lippstadt bei Hellinghausen in die Lippe einmündet.
Am 11. September 1891 wurde ein Plan für feste Verteilungsanlagen zwischen dem Freiherr von Schorlemer (Overhagen) und der Stadt Lippstadt besprochen und dabei festgesetzt, „dass an der Einlass-Schleuse (in der Weihe) ein Verschluss nur so angebracht werden darf, dass bei bordvollem Wasser der Gieseler statt 2,2 cbm nur 1,3 cbm Wasser pro Sekunde durch die Weihe abfließen, die Einlass-Schleuse aber niemals ganz geschlossen werden darf.“
„Beide Teile sind sich darüber einig, dass dadurch die Bestimmungen des (oben erwähnten) Vertrages vom 9. Oktober 1678 nicht aufgehoben, sondern nur näher festgestellt sind, sowie dass durch dieselben in dem eigentlichen Wasserlaufe bei Hochwasser insofern nichts geändert ist, als das Hochwasser nach wie vor durch die Weihe mit ablaufen soll.“
Die Vereinbarungen setzen voraus, „dass die Verteilung des Wassers bei allen niedrigen Wasserzuflüssen bis zum mittleren Sommerwasser nach dem Verhältnis von 1: 2 im Sinne des Vertrages vom 9. Oktober 1678 auch wirklich erreicht wird“.
Und so ist die Weihe denn seit Jahrhunderten mit der Lippe und der alten Lippestadt verwachsen. Wie eine Lebensader führt sie ein verborgenes Dasein, unterirdisch und nur wenigen bekannt, aber doch sehr wichtig für die Gesundheit der Lippstädter. Darum lag es im Rahmen der Heimatkunde, diesem unterirdischen Wasserlauf mal eine eingehende Besprechung zu widmen. — ..s