1931: Ein Jagdschnadezug vor 200 Jahren


Nach einem Notariats-Protokoll aus einer Urkunden-Truhe
Von Rudolf Steinmann, Bankdirektor i. R. und Handelsrichter a. D. Münster in Westfalen
Erstabdruck: Heimatblätter Lippstadt 1935 [Zweitabdruck (ohne Quellenangabe!) im Heimatbuch von 1958, S. 47-51. WM]

Am 18. Oktober des Jahres 1738 erhielt der Kurfürstliche Kölnische Gerichtsschreiber und Kayserlich geschworene Notarius Plöscher in Erwitte von den Drey hochadeligen Häusern zu Erwitte und Westernkotten die Mitteilung, dass sie sich entschlossen hätten, am Dienstag, den 21. Octobris 1738, die „Jagd-Gräntzen“ zu begehen. Er möge sich zwecks „umbständlicher Protokollierung der Vorkommnisse in probante forma pünktlich vor dem (heute von Landsbergschen) Schloss in Erwitte einfinden.“
Diente der Schnadezug in erster Linie zur regelmäßigen Nachprüfung und Bestätigung der Jagdgrenzen, die in jener Zeit genauso löblich gewahrt und eifersüchtig bewacht wurden, wie von den heutigen Jüngern St. Huberti, so gab er zugleich hochwillkommene Veranlassung zu einem gesellschaftlichen und jagdsportlichen Ereignis ersten Ranges; er war der Höhepunkt der Saison.
Dementsprechend war eine Reihe von Einladungen ergangen, in der Hauptsache an solche Herren, deren Liegenschaften mit den Jagdrevieren der Einladenden markscheideten:
Sr. Hochwohlgeborene Exzellenz den Herrn Generalleutnant Freyherrn von Schorlemer zu Overhagen wegen des Hauses Ebbinghausen.
Sr. Hochwohlgeborene Gnaden Herrn Deputierten Frhr. von Hörde wegen des Hauses Eringerfeld.
Sr. Hochwohlgeborene Gnaden Herrn Deputierten Frhr. von Meschede zu Alme wegen deren Häuser zu Anröchte und Effeln.
Sr. Hochwohlgeborene Gnaden Frhr. von Schorlemer zu Hellinghausen wegen des Hauses Menzel.
Herrn Administratoren deren Voigt Stirpischen Gutherrn Berndt Jobsten Berteles.
An Herrn Capitain von Wreden wegen des Hauses Mielinghausen.
Als erbetene Zeugen und Adjuncti Notari wohnten diesem actui specialiter bei: Kaspar Diederich Hense und Georg Reddels aus Erwitte.
Am 21. Oktober morgens um 9 Uhr war die Jagdgesellschaft versammelt. Als Vertreter der Drey einladenden adeligen Häuser waren erschienen:
Vom Hause Drosten: Sr. Hochwohlgeboren Herr Friedrich Wilhelm von Droste und seiner Hochwohlgeborene Gnaden Herrn Benedict Wilhelm von Droste.
Kammerpräsident, sowie auch Sr. Excellenz Herr Theodor Engelbert von Droste. Land-Droste in Westphalen.
Vom Hause Schmising: dessen Rentmeister Kaspar Albert Rüstige als Bevollmächtigter Herr Vicarius Becker und der Kurfürstliche Richter Evers
Vom Hause Westernkotten: Sr. Hochwohlgeborene Gnaden Freiherr von Schade und in dessen Begleitung — denn in jener romantischen Zeit huldigten auch die hohen kirchlichen Würdenträger mit Vorliebe dem edlen Waidwerk
Sr. Gnaden der Domherr von Spiegel aus Hildesheim.
Nach der Begrüßung setzt sich der stattliche Jagdzug in Bewegung. Die Nacht war kalt; sieghaft verscheucht die goldene Sonne die Reste des Morgen-Nebels und verkündet einen prachtvollen Tag. Die Jagdhörner erklingen, die Treiber mit den gekoppelten Hunden und Windspielen drängen voraus, die Stimmung der hohen Herren ist vorzüglich und wir empfinden noch heute mit ihnen den vollen Zauber der jagdlichen Freuden, die uns Julius Wolfs im Wilden Jäger so trefflich geschildert hat:
Wohlauf nun, Gesellen!
Zum Jagen hinaus!
Es duftet im Hellen
Wie blumiger Strauß.
Ein Trunk aus dem Kühlen.
Dann fröhlich zu Holz!
Das Leben zu fühlen
Ist Waidmannes Stolz!
Es gilt nicht allein die „Gräntzen“ zu begehen und die Grenzsteine auf ewige unveränderliche Bodenständigkeit zu prüfen, sondern man will auch Jagen, den Wald und die Natur genießen, bankettieren, pokulieren und fröhlich sein, wie es einem braven Jägersmann geziemt. Waidmannsheil!
Am „heiligen Häuschen“ südlich von Erwitte, dem Wiesenhof gegenüber, wurden die Hunde freigelassen, das Signal zum Beginn der „Iagdschnade-Beziehung“ ertönt. Schon haben die Rüden einen Hasen aufgebracht, dieser war vorne nicht schnell genug, hinten zu lang und musste dran glauben. Dann gings „durch das Feld gerade auf die Mühle zum Hof zu dem Osten zu in die auf diesseits der Mühlen belegenen Kämpe in den Högel’schen Grund und an beyden Seiten hinauf durch die Büsche und über die Berge nach Hoinkhausen“. Hier wird der erste Jagdtag abgeblasen und Nachtquartier bezogen.
Gewissenhaft protokollierte Herr Notarius Plöscher „in probante forma“ wörtlich „selbigen Tages seynd sieben Haasen theils geschossen, theils von den Hunden todt gefegt praesentibus et concomitantibus Sr. Hochwohlgeb. Gnaden Freyherr von Hörde zum Schwarzenraben. Herr Ferdinand von Ketteler Jäger Friedrich Wiecken von Herrn Kammerpräsidenten Hochwohlgeb., Jäger Philipp Montele, Franz Garthof und Franz Brass von Sr Gnaden Herrn von Deelwig. Jäger Joseph, von der Commende von Steinfürth behuuf des Freyherrn von Schade, item praesentibus festibus junioribus Franzisko Antonio Rustige et Caspare Ferdinands Gabriele.“
Mittwochen den 22. 8bris ejusdem anni ist mit befangener dieser Schnadjagd morgens umb 8 uhren derogestalt continuiret worden, dass man an jenseits Hoinkhausen in dem Grund hinauf am Eyder Hölty her bis an Wördehoffs und Güdder-Dögends aus Nettelenstedte ihrem Gehöltze zur rechten Hand in- und durch die oben (oberhalb) Nettelenstedte gelegenen Feldbüsche zog.“
Dann geht’s hinauf am „blanken Garten“ vorbei und nördlich herunter bis zur Mentzel’schen Vogelstange durch die daselbst liegenden Kämpe auch das darauffolgende Feld und „saathbahres Landt“ wird durchquert und der dem Schulten zu Mentzel gehörende „aus einigen Eichenbäumen und Schlag-Gehöltz bestehenden Busch“ durchzogen.
Hier erkennen wir eine Schwenkung in der Richtung nach Westen der sogenannte „Valten“ und der dem Freyherrn von Meschede zugehörige Busch „unter der Haar“ vor dem „Rüeter Busch“ wird passiert und von Effeln aus geradewegs die nördliche Richtung auf das zwischen Anröchte und Berge stehende Kreuz eingeschlagen und nach Anröchte abgeschwenkt, wo das zweite Nachtlager bei dem Herrn Assessoren und Wirth Conraden Wiemer aufgeschlagen wird. —
Zuvor konstatiert Herr Notarius Plöscher. dass an diesem Tage „11 Hasen undt 2 Schneppen geschossen und auf todt gejagdt seynd“.
Am Donnerstag, den 23. Oktober anni currentis wird die Reise von dem oben gemeldeten Kreuze aus fortgesetzt. Die Zeit wird nicht angegeben und wir dürfen ruhig annehmen. dass Herr Assessor und Wirth Conradus Wiemer alles aufgeboten haben wird, seinen respektablen Gästen einen genussreichen Abend zu verschaffen und diese seinen Bemühungen vollstes Verständnis entgegengebracht haben.
Unter dem Anröchter Eichenholz her bis zum „Hollhof“ und durch den Hollhöfer Busch, durch die „Quillerbedte“ hinauf durch das Cliever Feld geht’s bis zum Kreuz, welches nordwestlich zwischen Anröchte und Clieve steht: weiter durch Volltringhausen“ (Waltringhausen). durch Eichenbüsche und Wiesen bis vor den „Schafstein“. Hier hat Herr Freyherr von Hörde zum Schwarzenraben eine große wilde Katze vom Eichenbaum heruntergeschossen sicher auch in jener Zeit eine seltene Jagd-Trophäe! Das registrierte Ereignis ist umso bemerkenswerter, als von sonstiger Jagd-Ausbeute keine Rede und das negativ« Resultat ohne Zweifel auf den vorzüglichen Weinkeller des Herrn Assessors und Wirts Wiemer zurückzuführen ist.
Durch den „Hahnenkamp“ an Seringhausen vorbei, und nun den an der „Trost Heyden“ stoßenden Busch herum, gelangte man diesseits Brüllinghausen an die Soist’sche Landwehr und wieder herunter an die Neuen-Geseker Wahrte. Beim Herrn Pfarre in Alten-Geseke in „dasiger Pastorate“ wurde das 3. „Nachts-Quartier“ genommen.
Freytag. den 24. Oktober ejusdem anni ist diese Schnadt-Jagd weiter von Alten-Geseke dergestalt vorgenommen worden, dass man aus diesem Dorf bis zur Neuengeseker Wahrt«, dann die Landtwehr hinunter und durch die allda vorhandene offene Passage zwey in der Soist’schen Börde beim Dorf Seringhausen gelegene. Feldbüsche abgejagt hat. von denen der eine den Herrn Kleppingen und Kuhbachen zu Soist. der andere dem Hensen zu Seringhausen gehört.
Weiter geht das Jagen in und durch die Feldmark Schallern, zurück über den Schaller’schen Grund durch Merklinghausen nach Horn. Beim Wirth Kaspar Wirnsell finden die Jäger behaglichen Unterstand und vorzügliche Atzung. Hier wird für die 4. Nacht Logement bezogen. Es ist ausfallend, dass wiederum nicht verzeichnet wird. welches Wild zur Strecke gebracht wurde da es nicht an qualifizierten Jägern gefehlt hat. so dürfte das Fehlen jeglicher Angabe mehr auf den „Umbstand“ zurückzuführen sein, dass Herr Notarius publicus Plöscher. allmählich voll des süßen Weines, mehr an die gastronomischen Freuden als an sein „Protocoll in probante Forma“ gedacht haben wird.
Der letzte Tag des anstrengenden Unternehmens steht bevor. „Sambstag. den 25. 8bris ejusdem anni ist diese Schnadt-Jagdt ferneres aus Horn genommen und damit auf dem grünen Weg nach und auf diesseits Ebbinghausen dahsigen Feldmark und Grund zwischen dem Dorfe Ebbinghausen, woselbst drey Haasen aufgejagt und einer davon mit den Windspielen todt gehetzet worden, und demnächst den Bernbroiker Busch gerade durch das oberhalb Ebbinghausen gelegene Feld bis an den Broikbusch. da vorher nach Norden zu durch den Kreggen, dem Fischer und folgenden dem Schulten daselbst zugehörigen Büsche von Schlaggehölz und Eichenbäumen gezogen.“
Von hier aus ging es über den Glasebach, nördlich herunter in die Quell-Kämpe, wo die Glase in die Wenden ausfließet, von hier, das Wasser hinauf zur Steinbrücke. An der Gieseler herunter durch die Kämpe der sogenannten Wehringer-Mühlen-Bache. hinauf bis an das Mühlen-Schemm und hinüber durch das Feld.
An dieser Stelle hat der Freyherrlich von Schade’sche Jäger seine Jagd-Hunde zusammengekoppelt und ist nach dem hochadeligen Hause Westernkotten gegangen. Die übrige Jagdgesellschaft zog weiter an der Mühle vorbei durch das Kleinefeld auf das Erwitter Bruch zu, nach und über den Bergerpfad bis auf den Hellweg. – Hier fand der Schnadezug sein Ende. Die Jagdhunde wurden gekoppelt und man strebte nach 5tägiger Abwesenheit auf direkten oder kleinen „Umbwegen“ um schnell noch im Dorfkrug einen Abschiedstrunk zu nehmen, den häuslichen Penaten zu.
Dass Vorstehendes wegen abgehaltener Jagdschnade und Gränze Beziehung vom vorigen Kurfürstlichen Gerichtsschreibern undt Kayserlichen geschworenen Notario meinem Vateren, nunmehro seelig, ausgefertigtes Dokumentum dem unter desselben selbsteigener Handschriftlicher coraum Protocollo befindlichen Original in allem gleich lautend seyn, solches wirbt hiermit attestirt. Urkundt meines zeitlichen Kurfürstlichen Gerichsschreiberen Subskription und beygesetzten Notarial Signeti.
Erwitte, sub dato d. 24. November 1741.
Johann Berndt Plöscher
Kurfürstlich Köllnischer Gerichtsschreiber
Manu propria