in: HB 13 (1931), S. 33-34 Erwitter und Westernkottener Dorfanleihen während des 30jährigen Krieges Nach Urkunden aus meinem Familien-Archiv Von Rudolf Steimann, Bankdirektor i. R. und Handelsrichter a. D., Münster i. W. Erstabdruck: HB Lippstadt 1931 [bei der Transkription können kleinere Fehler vorkommen, WM., 16.02.2025] Der Abbé Mably, ein bekannter französischer Publizist in Paris, schrieb im Jahre 1783 in seiner Abhandlung „de la moniere d’ecrire l’histoire“: „Die Geschichte ist ein ewiger Spiegel vergangener Begebenheiten“ — Die gegenwärtige Not unseres Vaterlandes, infolge des verlorenen großen Krieges, lenkt unseren Blick unwillkürlich zurück auf das große Völkerringen auf deutschem Boden vor 390 Jahren. Sind unter den 7 bis 800 alten Urkunden meines chronologisch wohl geordneten und mit Regesten versehenen Familien-Archivs die Dokumente aus der kriegsbewegten Zeit von 1618 bis 1648 verhältnismäßig weniger zahlreich, so sind sie geschichtlich umso interessanter, als sie sich auf unsere engere Heimat beziehen, auf Einzelheiten eingehen und sogar eine ganze Reihe ortsansässiger Bürgernamen enthalten. Es handelt sich um zwei Dorf-Anleihen. 1. seitens der Dorfgemeinde Erwitte 1000 Species-Reichsthaler vom 14. Januar 1623 200 desgl. vom 9. Januar 1630 2. seitens der Dorfgemeinde Westernkotten 100 Reichsthaler vom 17 Mai 1646. Diese Urkunden, auf pergamentartigem Papier in Alten-Format mit guter Tinte und vielen Schnörkeleien ziemlich unleserlich niedergeschrieben, enthalten nach dem damaligen Kanzlei-Stil mancherlei Fachausdrücke, deren Bedeutung ich in Klammern hinzusetze [kleinere weitere Ergänzung durch mich in eckige Klammern. WM] 1. Obligation der Erwitter Dorf-Anleihen vom Jahre 1623 und 1830. Wir Endisbenante Eingesessene des Dorfs Erwitte, thun Kundt undt bekennen Hiemitt für Unß undt Unsere Successoren hiesiger Gemeinde: Nachdem die Hochwollgebohrenen Herren von Drosten hieselbst als Cessesionarij der Erben Calen (oder Calon?) zu Gesike laut Obligation de 14. Januarij1623 Ein Tausend specie Rthr. undt dan auch als Cessionarij der Erben Epping in Lippstadt zweyhundert Rthr. gleichfalß in speciebus Laut obligation de 9. Januarii 1630 an hiesiger Gemeinde zu praetendiren (zu sorgen) gehabt, dass sich die sämtliche Eingeseßene hieselbst sothan obligationes zu deren gemeinen besten zu redimiren (d. h. zurückkaufen, wieder einlösen) sich resolvirt (d h. sich entschlossen), in dem man es dahin gebracht, daß am platz (an Stelle) der alten speciem Gulden oder „Drey Kopfstück-Stück“ (d. h. eine Münze mit dem Bildnis des Münzherren) angenohmen worden und dan verschiedene Eingeseßene solche Geldele an Gulden-Stücke vorgeschoben, wodurch das Capital in viele kleine Partes (Teile) zertheilt worden, Erfolglich solche geringe Capitalia ins Künftig nun undt dan desto leichter abgeführt undt bezahlt werden können. Wan dan unter anderen Eingeseßenen der Ehrbare undt Bescheidene Meister Caspar Müller an guthen gangbahren Gulden Stücken auß seinen Mitteln fünf und zwanzig Rthr. Dazu hergeschoben undt solche auß oben angeführten Motivs zu der Gemeinheit (Gemeinde) besten undt kendtlichen nutzen woll angelegt sein (angelegen sein lassen) alß Versprach (also versprechen) Wir vor unß undt Unsere Dorfs Succesoren hiemitt festiglich nicht allein nach Vierteljähriger Los Kündigungs (Welche Jedem Theil zu thun frey stehen solle) sothane 20 Rthr, wieder zu Erleggen, sondern auch daß jährlich auff den in den alten redimirien obligation (zurückgekauften) vermeldetem termino alß 14. Januarij auß den gemeinen Dorfs mitteln daß interesse ad 1 Rthr 9 gr. durch den Zeitigen Dorfs receptoren (Steuer-Empfänger) auffrichtig bezahlt werden solle, bey Verpfandungs so woll der gemeine (Gemeinde) alß Eines Jeden besonders Ein gesehenen Beweg- undt Unbeweglicher Erb, Haab undt Eütheren, gestalt auff den mißzahlungspfall (d. h. im Falle der Nichtzahlung) sich so woll deß Capitalhalber, alß etwa rückständigem Interesse undt auffgangeren (d. h. aufgelaufener) Kosten per viam paratissimae executionis (auf dem Wege bereitester gerichtlicher Vollstreckung) daran zu Erholen undt dura iß bezahlt zu machen, da gegen unß noch Unsere succesoren keine beneficia (Begünstigung), indulta (Erlass, Nachsicht) oder exceptiones (Ausreden), wie die auch Nahmen haben (d i. welchen Namen sie auch haben mögen) oder erdacht werden mögen, schützen oder schirmen sollen, alß worauff wir sampt undt sonders renuncijren (d h. Geld wieder zurückzahlen) thun. Zu Urkundt deßen haben wir Endts Benamste Nahmens hiesiger Gemeinheit diese Obligation Eigenhändig underschrieben. So geschehen Erwitte, d. 14. Januar des 1697ten Jahres. Johan Johanknecht (Bauerrichter, Gograf) Henning Ewers Joan Hake Frid. Hense Theodorus Wilhelmus Pollmann Joannes Röbbeke Berndt Ebbert Winolt Röbeke Johann Hachmayr Johan Funke Michael Vabrink Wilhelm Meiner Berndt Ebbert Heinrich Friedrich Henrich Jörgen Rüstig« Ludwig Dirckes Vernardt Schrop for mich u. Christian Vernholt Jost Heckert Wilhelm Stufsen Adrian Rustige ad requisitionem subsequentium scilieet in publico requiisnlium (d. h. auf die Forderung der Folgenden, nämlich derjenigen, die öffentlich die Forderung stellen) Pro Dirck Konnighofser Rembert Lentzen Kasparen Plumpe Engelbert Lohman Tönnis Schwartze Kaspar Möller Berndt Lohman Johan Hecker Daniel Bitter Henrich Dach Johan Lutger Lohman Subscripsi Ego: Johannes Ludovicus Peters, Notarius publico. Dies« Original-Schuldverschreibung von 25 Rthr. hat noch zwei Nachsätze am 6. Januar 1726, Erwitte, cediert Winold Möller (unten steht für sich allein „Caspar Müller“) mit dem Vermerk „Im nam mien Mutter“ das Kapital an den Wirtmann Meiner. – Am 12. Oktober 1745 findet sich dann ein Schlussvermerk: „Dieße Obligation so auf die 25 Rthr Capital tuhe ich Anton Lantz dem Johan Henrich Rüstige übercedire mitt allem recht, so ich davon habe da Rüstige mir dis Capital mitt 25 Rthr. richtig wieder erlegt hatt, solches bescheinigt diehes.“ Es ist ein ehrwürdiges, dem Ernste der Zeit entsprechendes Dokument, welches auch dem St. Bürokratius alle Ehre macht. Aus dem langatmigen, sehr vorsichtig abgefassten, präzis formulierten und geschickt verklausulierten Text der Schuldurkunde geht hervor, da die Schuld der Gemeinde Erwitte dem Herrn von Droste gegenüber durch Partial-Obligationen aufgebracht und abgelöst wurde. Und zwar haben die obengenannten 32 Amtseingesessenen — jeder nach seinem Vermögen — dieselben übernommen. Di Gemeinde und ihre Bewohner haften voll und ganz, mit Hab und Gut, solidarisch für die Schuld. 2. Obligation der Westernkottener Dorf-Anleihe vom 17. Mai 1848. Bekennen mir Sämptliche Eingesehenen zum Westernkotten vor uns und unsere Erdens undt Nachkommens auch Jedermännichliches Hiermit undt in Krafft dieses! Daß uns der wolledele Gestrenger unt Manhafter Rembert Roßkamp Fürstlicher Hessischer Ritmeister auf unser flehentliche bitte in unseren uöhten vorgestreckt undt gelehnet die sumb (Summe) von Einhundert Reichsthaler ahn guter gangbahrer müntze innerhalb eines halben jahres frist L dato diehes neben der gebührlichen pension (d h. Zinsen), wofern die Lose (d. h. die Kündigung zur Wiedereinlösung des Darlehns) einen Monat Zeit zuvor angekündigt ist, zu bezahlen, so mir hinwiederumb zu unseren besten unt in specie zu abzalung lauffender Contribution (d. h. Kriegssteuer, Brandschatzung) unt habender Swedischen Calvaguardi (d. i. schwedischen Salvegarde, Schutzwache) angewant unt verwendet haben. Deßwegen von der exeption non numeratae pecuniae, delimali, cessionis Ultra dimidium (d. h. es soll keine Rede sein von der Ausrede wegen nicht bezahlter Gelder, von Arglist usw.) amdt watz derselben expractisirt und hiervon erdacht werden könne, wolwißentlich renunciiren unt verziehen Beloben (geloben) danebens auch unt versprechen hiemit wollgeb. Heeren Ritmeistern vollkommene eviction (d h. Gewähr, Sicherstellung) unt wahrhafft zu leisten, wo weit (soweit) wannhe solches nötig seyn würde, bey Verpfändung aller unser Erve, yaav und Eurer fampt unt besonders autzbescheiden, sich daran auch im Nohtsall tarn in genere quam in specie (d. h. sei es im Allgemeinen wie im Besondern) seinem Belieben nach, dieselben sey es in der außerhalb dem Erzstift Köllen, oder wo dieselbe anzutreffen sein gelegen, vollenkommentlich zu erholen, Alles sonder betrug unt Arglist. So geschehen Lippstadt den 17 Maij alten Calenders des eintausend sechshundert sechsundvierzigsten Jahres, gez. Seebant (L. S.) Johannes Buchholtz in Fidem scripsi v. Futherissi Joan Hensen Fritze Bredenolt Johan Rige Pro Copia authentica subscribsit Henricus WoItermann advocatus (L. S. H. W., Umschrift: Justis Vit laurea.) Es handelt sich bei dieser Urkunde um ein Darlehn von 10V Rthr., welches der Fürstlich Hessische Rittmeister Rembert Rotzkamp in Lippstadt der Gemeinde Westernkotten zur Bezahlung von Kriegs-Kontributionen usw. gegeben hatte. Fünf Dorfeingesessene: Seebant, Buchholtz, Hensen, Fritz Bredenolt und Rige — wahrscheinlich als Gemeinde-Vorstand — haben das Schuldanerkenntnis am 17. Mai 1646 manu propria untersiegelt und besiegelt. Von diesem Dokument hat der Advokat und der Kaiserlich-öffentliche Notar Henrik Woltermann, dessen Anfangsbuchstaben H. W. auch in dem beigedruckten Siegel enthalten sind, am 22. August 1653 diese beglaubigte Abschrift genommen. Zu berücksichtigen sind die Jahreszahlen. 1623, 1636 und 1646, also während des 30jährigen Krieges. Im Jahre 1622 wurde bekanntlich vom Herzog Christian von Braunschwelg-Wolfenbüttel — dem tollen Christian — besonders die Umgegend von Lippstadt: Erwitte, Eikeloh, Böckenförde und Westernkotten verwüstet und zum größten Teil geplündert und niedergebrannt. Es waren sehr betrübte und armselige Zeiten wie heute! Geduld! — Trösten wir uns mit dem Epigramm: „Eins bist du dem Leben schuldig: Handle! Oder bleib in Ruh! — Bist du Amboss? Sei geduldig, Bist du Hammer? Schlage zu! — Deutschland wird auch wieder „Hammer“ werden! |