In diesem Jahr – März 2013 – scheint der Winter nicht enden zu wollen. Nicht nur im kältegewöhnten Sauerland – wo der Winter schon mit reichlichen Schneemengen in den letzten Novembertagen einsetzte und sich bis Mitte März hinzog, sondern auch bei uns in der Ebene warten wir auf das Schwinden des frostigen Wetters und sehnen uns nach dem Frühling mit Sonnenschein und Vogelgesang. Stattdessen begrüßt uns der Frühlingsanfang, der 20. März, mit Kälte und Unmengen Schnee.
Aber lange, kalte und schneereiche Winter, verbunden mit vielen Entbehrungen, waren in früherer Zeit nicht selten, wie ein Geschichtsschreiber aus Westfalen mit der Überschrift „GROSSE NOT IN ALTER ZEIT“ die „schrecklich-eisigen Winter“ von 1812/13 und 1814 sowie die sich bis 1817 hinziehenden Teuerungs- und Hungerjahre schilderte.
„Schlimm war es im Jahre 1812. Die Heeressäule Napoleons wälzte sich durch Deutschland gegen Russland, alle Bande der Ordnung lösend. Jede Stadtchronik singt ihr Klagelied. Die Hungersnot wurde so groß, dass von den französischen Soldaten die gesetzten Kartoffeln aus der Erde wieder ausgegraben wurden; sie rissen in den Gärten Kunstpflanzen (?) aus und verzehrten sie mit großem Appetit.
So entstand großer Schaden. (…) Die Vorspanngestellung wurde lediglich durch militärische Maßnahmen beschafft, sie nahmen, was sie fanden, sei es Pferde, Ochsen, Kühe, und selten hat ein Eigentümer etwas davon wieder zurückerhalten. Schlachtvieh wurde, wenn nötig, mit militärischer Gewalt vom Felde, aus der Herde oder aus dem Stalle requiriert.“
1812 rückte Napoleon Bonaparte mit seiner Grande Armee – der größten Armee, die es in Europa bis dahin gab – in Russland ein. Wie die Geschichte schreibt, zählte der Aufmarsch eine Stärke von 450.000 bis 590.000 Mann, zusammengesetzt aus Franzosen, Truppen aus den Rheinbundstaaten, aus Osterreich, Preußen und weiteren Verbündeten.
Wegen mangelhafter Logistik, ungünstiger Witterungsverhältnisse und nach Russlands Politik der verbrannten Erde konnte die Armee nicht mit Landesprodukten versorgt werden.
So soll die Truppe am 17. August 1812 vor Smolensk nur noch 160.000 Mann stark gewesen sein. Kälte, Schnee, Hunger und Krankheit brachten „das endgültige Aus‘“ in der Schlacht an der Beresina. Nur 18.000 napoleonische Soldaten erreichten im Dezember 1812 die preußische Grenze bei Memel.
„Der Winter 1812/13 brachte viel Schnee und Kälte; er bildet alle Zeiten einen Denkstein in der Weltgeschichte, da er den Untergang des Sternes Napoleons brachte. Am 7. Dezember 1812 begann die große Kälte. In Dresden stand das Thermometer am 14. Dezember auf -30 Grad Celsius. (…).
Die Witterung des Sommers und Herbstes 1813 mit wochenlangen Regenfällen, Hagel, Sturm und kalte Nächte hat nicht nur die Ernte, sondern auch die kriegerischen Ereignisse nicht unwesentlich beeinflusst‘“, nach Napoleons Scheitern beim großen Russlandfeldzug, der größten Truppenkonzentration der Grande Armee, der nach fünf Monaten mit einer Millionen Opfer endete. „Es war eine Zeit der Armut, Entbehrung und Not. Anstatt der früher üblichen Geschenke schenkte man sich ein Kommissbrot. (…).
Der Maler Ludwig Richter, der in Dresden als armer Leute Kind aufwuchs, erlebte Schlimmeres. Er sah die kranken Soldaten in Kehrrichthaufen nach Kohlstrünken suchen und hatte selbst mit seinem Vater nicht immer Kartoffeln und Brot, um sich satt zu essen.““
Im Januar, Februar und März 1814 herrschte auch hier in der Hellwegebene eine ungewöhnlich große Kälte, man begann erst am 23. März mit dem Aufhacken und Abfahren des Eises, wie ein Tagebucheintrag aus Paderborn aufzeigt.
„Das Jahr 1815 war ein Vorläufer der Hungerjahre 1816/17. Die Ernteergebnisse waren mangelhaft, so dass hinreichende Vorräte nirgendwo gesammelt werden konnten.
Im März 1816 trat eine große Dürre ein, die bis in den Mai anhielt, Am 12. Mai aber fing es an zu regnen und der Regen strömte fast den ganzen Sommer hindurch unaufhörlich bis zum Herbst hinein. Bloß um Allerheiligen hörte es solange auf zu regnen, bis infolge der eintretenden Kälte Kartoffeln und Rüben
erfroren. Dann fing es mit neuen Kräften wieder an.
Tag auf Tag, Woche für Woche strömte abermals Regen hernieder. Es war das so genannte nasse Jahr.“
Im Juli des gleichen Jahres klagte man über die enorme Erhöhung der Lebensmittel-Preise. Es war weder Korn, Kartoffeln und Gemüse vorhanden. Eine entsetzliche Missernte machte sich im folgenden Herbst bemerkbar. Das Getreide war infolge der Witterung auf dem Felde verfault, die Kartoffeln erfroren und das wenige Gemüse aufgezehrt. Die Stadtbevölkerung hungerte, weil es den Bauern selbst an Naturalien mangelte. Die Marktstände blieben leer und die Preise stiegen immer höher.
„Schon im Sommer 1816 wurde in Elberfeld ein Verein „gegen Kornteuerung“ mit einem Betriebskapital von mehr als 100 000 Talern gegründet, der in den Ostseehäfen direkt Getreide aufkaufen und unter seiner Aufsicht verarbeiten ließ, um das Brot zu billigen Preisen verkaufen zu können.
Dieser Verein stiftete großen Segen, jedoch nur in der Umgegend. Auf dem Lande war die Bildung derartiger Vereine nicht möglich, weil das Kapital dazu fehlte. Hier wuchs die Not mit jedem Tag. Noch im Juni 1817 liefen die Menschen weinend umher, weil sie bei den Bäckereien sogar für ein Heidengeld kein Brot bekommen konnten. Reis und Fleisch war wohl noch das Wohlfeilste, was man kaufen konnte; und das war kaum bezahlbar.“
Wie eine statistische Beschreibung von Soest und der Börde aussagte stiegen die Getreide-Preise in den Jahren von 1815 – 1817 pro Mütte = 2 Scheffel in folgendem Maße an
Weizen von 2 Rtlr.- 53 Stbr. auf 5 Rtlr – 27 % Stbr.
Roggen von 2 Rthl.- 13 Stbr. auf 5 Rthr – 6 Stbr.
Gerste von 2 Rthl. – 28 Stbr. fiel geringfügig auf 2 Rthl. – 18 2/3 Stbr.
Hafer von 51 Stbr – auf 1 Rthl – 5 Stbr.
Das benötigte Saatkorn musste von weither bezogen werden, wobei bei den damaligen Handelswegen mit langen Verzögerungen zu rechnen war. Zudem hatte der Saatbestand durch die extreme Kälte und Nässe der Winter 1816/17 sehr gelitten. So kam es auch hierbei zu erheblichen Preiserhöhungen.
„Die Ernte 1817 fiel günstig aus, so dass die beklagenswerten Erscheinungen nunmehr gelindert wurden. Der Hungersnot und ihrer Gefolgschaft waren Hunderte zum Opfer gefallen. Die Teuerung hielt aber noch lange an; zu Martini 1817 stand das Korn noch ebenso hoch im Preis wie an demselben Tage des Notjahres 1795, Erst allmählich sanken die Preise.““
Zum Andenken an die Notjahre 1816 und 1817 prägte man Gedenkmünzen, so genannte Hungertaler.
„Eine dieser Münzen, von dem Nürnberger Münzgraveur Stettner gestochen, in der Größe eines Dreimarkstücks, zeigt auf der Vorderseite eine ergreifende Gruppe: Eine Mutter, die schmerzerfüllt auf ihre beiden Kinder nieder sieht, von denen das eine ihr kraftlos im Schoße liegt, das andere sie mit erhobenen Händen bittet: „O gib mir Brot, mich hungert.“
Eine beredte Bildersprache spricht auf der Rückseite. Aus den Wolken hängt eine Waage nieder, die in der einen Schale ein Brot, in der anderen ein Gewicht mit der Angabe 1 Pfund 3 Lot trägt. Unter der Waage liegt auf einer Garbe ein Anker, das Symbol der Hoffnung. Die Umschrift lautet: Verzaget nicht,
Gott lebt noch.“
Quellen: aus:
H. Molitor-Heimatbuch des Kreises Lippstadt 1930 – Stadtarchiv