2005: Der Nasenstein, eine alte Gerichtstätte an der Lohner Warte bei Schmerlecke

Von Wolfgang Marcus, Bad Westernkotten

In. Vertell mui watt Nr. 274 – 281, 2005

Am 1. Juni 2005 wurde an der Lohner Warte westlich von Schmerlecke der so genannte Nasenstein wieder aufgestellt, ein großer Findling, der in unmittelbarer Nähe eines Freistuhlgerichts gestanden hat, zu dem auch ein Galgen gehörte.

Bereits 1999 hatte ich an der Geschichte des Nasensteins gearbeitet und habe meine bis dahin unveröffentlichten Unterlagen dann vor einigen Wochen Herrn Sukkau vom Soester Heimatverein übergeben. Nachfolgend der Text, den ich 1999 erstellt habe.

Vorbemerkungen

1.1. Allgemeine Einführung

Wer heute über die Bundesstraße 1 von Erwitte nach Soest fährt, stößt etwa 1 Kilometer westlich von Schmerlecke auf eine kleine Ansammlung von Gebäuden, die Lohner Warte. Wohl kaum jemand ahnt, dass hier die alte Grenze der Stadt Soest, genauer gesagt der Soester Börde, verlief und nicht weit von hier zahlreichen Menschen an einem Galgen endeten…

Über den Nasenstein, eine alte Gerichts- und Grenzstätte in unmittelbarer Nähe der Lohner Warte südwestlich von Schallern und westlich von Schmerlecke, las ich zum ersten Mal etwas in dem Buch von Paul Heitkemper  „Das Kirchspiel Horn“.

Dort heißt es über seine Lage: „Der besagte Nasenstein stand in Sandhoffs oder Schüers Weide (in Schüers Galle), 300 Meter vom Hellweg entfernt an einem Wegeknick. Zwischen Schüers Galle und der Bundesstraße 1 verlief der alte Hellweg, der sich heute noch als tiefer Hohlweg bis nach Schmerlecke verfolgen läßt.“ [S.50] Heitkemper erwähnt darüber hinaus auch noch 4 Urteile, die am Nasenstein verhängt wurden.

Wenig später fand ich im Heimatbuch von Schmerlecke [1150 Jahre Schmerlecke 833-1983, hrsg. vom Heimatverein Schmerlecke, Soest 1983, S.54-57] einen Hinweis, dass der Stein woanders, nämlich direkt an der Lohner Warte gestanden habe und der Stein womöglich noch existiert. Das hatte meine Neugierde geweckt, und so habe ich mich weiter mit der Thematik beschäftigt. Drei Fragen standen dabei im Vordergrund:

  1. Wo genau hat der Nasenstein gestanden?
  2. Was läßt sich über seine Geschichte und Bedeutung aussagen?
  3. Wo ist der Nasenstein geblieben?
  1. Bisheriger Forschungsstand

Nach meinem Kenntnisstand und nach Rücksprache mit dem Soester Stadtarchiv [Anschreiben vom 6.3.1999; Antwortschreiben vom 9.3.99] sowie dem Kreisarchiv Soest [Antwortschreiben vom 15.und 29.3.99] sind bisher vor allem die folgenden Arbeiten veröffentlicht worden, die sich direkt oder indirekt mit dem Nasenstein beschäftigen (hier in chronologischer Reihenfolge kurz vorgestellt):

  1. Vor 1750: Rademacher, Ludwig Eberhard, Annales oder Jahrbücher der uralten und weltberühmten Stadt Soest, mit Fleiß und Mühe von Anfang bis auf das Jahr 1615 zusammengetragen von einem Liebhaber der Historie seines Vaterlandes, maschinenschriftliche Transkription im Soester Stadtarchiv [Rademacher hat als Historiograph die Soester Ratsprotokolle ausgewertet; nach dem Stichwortverzeichnis kommt der Nasenstein 22 Mal vor; auf Rademachers Schrift beziehen sich viele der folgenden]
  2. 1883/1884: Lentze, Justizrat, Die Soester Schrae [Stadtrechte], in: Soester Zeischrift Heft III, S.40-60 [Hier wird der Nasenstein an drei Stellen erwähnt]
  3. 1887/1888: Vogeler, Ed. Alte Soester Kriminalnachrichten; in: Soester Zeitschrift Heft VI, S.91-113; Fortsetzung Heft VII, S. 1-23 [Hieraus zitieren vor allem Heitkemper und das Schmerlecker Heimatbuch]
  4. 1892/1893: Vogeler, Ed., Aus einem alten Kriminalprotokoll; in: Soester Zeitschrift Heft VIII, S.14-38 [hier wird vor allem eine Hinrichtung am 26.4.1594 dargestellt]
  5. 1892/93: Vogeler, Ed., Altes Soester Grenz- oder Schnatjagdprotokoll; ebd. S. 51-65 [dieses zitiert ausführlich Grusemann, s.u.]
  6. 1894/95: Vogeler, Ed., Soest während der Truchsessischen Wirren und der diesen folgenden Kriegsunruhen bis zum Tode Herzog Wilhelms des Reichen 1592; in: Soester Zeitschrift XIII, S. 35-69 [Hier wird der Nasenstein 2 Mal bei kriegerischen Auseinandersetzungen erwähnt]
  7. 1895/1896: Vogeler, Ed., Allerhand Curiosa aus der alten Soester Chronik, in: Soester Zeitschrift Heft XIV, S. 3-15 [hier auf S. 10 die Eidesformel des Wartmanns der Nasensteinwarte]
  8. 1900/1901: Vogeler, Ed., Stadtrechnung von 1582; in: Soester Zeitschrift Heft XVIII, S. 1-120 [Hier wird der Wartmann an der Nasensteinwarte mehrmals im Zusammenhang mit städtischen Ausgaben genannt]
  9. 1933: Die wohl umfangreichste Arbeit zur Soester Börde, ihren Warten und damit auch zum Nasenstein stammt von Ida Köster. Sie hat 1933 in der Zeitschrift des Vereins für die Geschichte von Soest [Bd. 47, S. 3-80, besonders S. 69; dort auch archivalische Quellen] einen Aufsatz mit dem Titel „Die Soester Börde, das Territorium der Stadt Soest 1281-1809“ veröffentlicht, in dem der Nasenstein allerdings nur 1 Mal ausdrücklich erwähnt wird.
  10. Karl Lamprecht [in den Lippstädter Heimatblättern…]
  11. Zuerst hat nach dem Zweiten Weltkrieg Carl Laumanns 1957 konkret zum Nasenstein gearbeitet, veröffentlicht in seinem zweiseitigen Aufsatz „Der Nasenstein“ in den Lippstädter Heimatblättern [Jg.38, S. 55/56).
  12. 1962 hat Paul Heitkemper zusammen mit der Spar- und Darlehenskasse Horn das Buch „Geschichte des Kirchspiels Horn“ veröffentlicht [Lippstadt 1962, 203 Seiten]. Darin werden auf den Seiten 46-53 Ausführungen zu Schallern, auf den Seiten 49-53 vor allem zum Nasenstein, gemacht [im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Aufsätze von Vogeler]
  13. Im selben Jahr veröffentlichte Heitkemper den Aufsatz „Am Nasenstein in Schallern verurteilt. Der Raub in der Marienkirche“ [Heimatblätter 43 (1962), S. 15-16]
  14. Eine weitere Arbeit mit deutlichem Bezug zum Nasenstein stammt von Hans Grusemann, Soest, der 1982 in den Heimatblättern den Aufsatz „Landwehren und Türme zum Schutz. Uralte Grenzen im Hellwegraum“ veröffentlichte [Heimatblätter 62 (1982), S. 165-168]
  15. Die bisher jüngste Darstellung zum Nasenstein ist in dem Buch „1150 Jahre Schmerlecke 833-1983“ [Hrsg.: Heimatverein Schmerlecke, Soest 1983] auf den Seiten 54-57 zu finden. [Darin werden unter anderem einige der obigen Aufsätze von Vogeler ausgewertet und mit Unterlagen von der Lohner Warte verknüpft.]

Ich versuche im Folgenden, den in diesen Arbeiten dokumentierten Forschungsstand zusammenzufassen, etwas zu ergänzen und zu gliedern, um so die Erinnerung an diese bedeutsame Grenz- und Gerichtsstätte wachzuhalten und eventuell weitere Forschungsarbeiten anzustoßen.

  • Wo genau hat der Nasenstein gestanden?

Zunächst war ich nach dem Lesen des Buches von Heitkemper [siehe oben l)] der Meinung, Nasenstein und Galgen hätten unmittelbar nebeneinander gelegen, und zwar etwa 500 Meter westnordwestlich von der Lohner Warte östlich der Kreisstraße von der B 1 nach Schallern. Heitkemper irrt aber nach meinen Recherchen in zweifacher Hinsicht. Einmal ist es nicht richtig, dass

der Nasenstein, also die Gerichtsstätte, hier „im Grund von Schallern“ lag. Vielmehr wird die heutige Lohner Warte im 15., 16.und 17. Jahrhundert immer „Nasensteinwarte“ oder ähnlich genannt und die Lage des Nasensteins – wie noch zu zeigen sein wird – unmittelbar neben der Warte angegeben. Zum zweiten lagen Nasenstein und der Galgen nicht unmittelbar nebeneinander, sondern waren etwa 500 Meter voneinander entfernt. Richtig ist vielmehr, dass der Galgen in „Schüers Galle“, der Flur südöstlich im Grund von Schallern [heutige Parzellennummer: 201/71] lag, die Gerichtsstätte aber unmittelbar bei der Warte.

Den genauen Standort bei der Lohner Warte vermittelt ein Aktenvermerk des Amtes Erwitte bzw. des früheren Amtsdirektors Mertensmeier vom 1.4.1948 [freundlicher Weise von Frau Maria Steinmann, Schmerlecke, dem Verf. Überlassen]. Darin heißt es: „…habe ich einige Tage später Herrn Schiebeck auf der Lohner Warte aufgesucht. Herr Schiebeck zeigte mir den Ort, an dem der frühere Nasenstein gestanden hat. Die Stelle befindet sich in seinem Garten am Rande des vorbeiführenden Weges. Der Weg sei der frühere alte Hellweg, der nach dem Ausbau der jetzigen Reichsstraße 1 größtenteils aufgehoben, oder, wie an der Lohner Warte, wesentlich verschmälert worden sei. Sofort hinter dem Nasenstein nach Richtung Schmerlecke [also östlich des Nasensteins] sei bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts die Grenze zwischen Soest (Grafschaft Mark) und Kur-Köln verlaufen.“Die genaue Lage werden durch die heutige Katasterkarte dokumentiert.

  • Was lässt sich zur Geschichte und Bedeutung des Nasensteins sagen?
    • Die Ursprünge des Nasensteins

Über die Ursprünge des Nasensteins läßt sich nur wenig sagen. Mit Sicherheit ist es ein großer Findling gewesen, den die Gletscher der Saale-Eiszeit aus Skandinavien in unseren Raum transportierten und der aufgrund seiner Größe und auffallenden „Nase“ schon früh das Interesse der Menschen gefunden hat. Es ist nicht bekannt, ob er schon in germanisch-vorchristlicher Zeit eine Bedeutung als Kult-, Opfer- oder Gerichtsstätte hatte. In den Akten des 15. Jahrhunderts wird die Kenntnis seiner Lage und seines Namens aber immer vorausgesetzt.

  • Der Nasenstein als Soester Freistuhlgericht

 1278 hatte die Stadt Soest die Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit, die vorher die Grafen von Arnsberg ausübten, in ihre Zuständigkeit gebracht.

In der Folgezeit muß die Stadt Soest immer mehr umliegende Freigrafschaften durch Ankauf an sich gebracht haben, woraus dann die Herrschaft der Stadt Soest über die Börde gründete. Etwa im 14. Jahrhundert muß dann die Landwehr angelegt worden sein. „Die Soester Landwehr hat einmal die ganze Börde umgeben: nur auf der Südfront bleibt sie ein bis zwei Kilometer hinter deren Grenze zurück, während sie im Osten eine etwas großzügige Begradigung der Bördegrenze auf Kosten des Erzstifts Köln darstellt.“ [Weerth, Karl, Westfälische Landwehren; in: Westfälische Forschungen 1 (1938), S. 158-198, hier S. 178]

In der Besitzergreifungsurkunde der Clevischen Herzöge aus dem Beginn der Soester Fehde (1444-1449) werden alle Gerichte der Stadt aufgezählt, die der Stadt erhalten bleiben sollen, unter anderem auch „zum Hagedorn oberhalb Schallern, auch zum Nasenstein genannt.“[Lentze S.48]. Insgesamt werden innerhalb Soests mehrere Frei- und Gogerichte aufgezählt, für die Börde sind es mindestens nochmals 10. Mitte des 15. Jahrhunderts gehörte der Nasenstein also zu einem schon seit längerem etablierten, vielschichtigen, teilweise unüberschaubaren System von Gerichten der Stadt Soest. „Unmöglich konnten die Sprengel aller dieser Gerichte genau gegeneinander abgegrenzt werden. Und vollends, wie mußte sich die ohnehin so schwerfällige Rechtspflege bei Streitigkeiten zwischen Freien und Unfreien verwirren.“[ebd. S. 49]

Einen neuen Stellenwert wird der Nasenstein bekommen haben, als  vor 1441 nur 500 Meter von ihm von der Stadt Soest ein Galgen errichtet wurde.

3.3.     Der Nasenstein in der Soester Fehde

Der Nasenstein wird vor allem im Zusammenhang mit der Soester Fehde 1444-1449 erwähnt. In diesem Krieg gelang es den Städten Soest und Lippstadt, sich der Landeshoheit der Kölner Erzbischöfe zu entledigen und als neuen Landesherren den Grafen von Kleve-Mark anzuerkennen.

Schon in den Jahren vor dem eigentlichen Kriegsbeginn hatten die Soester Bürger ihren Einflußbereich immer weiter in die Soester Börde ausgedehnt. Dabei hielten sie sich im Wesentlichen an die alten Gogerichtsgrenzen. Vor allem aber zwischen Lohne und Schmerlecke, wo keine Bachläufe oder natürlichen Grenzen vorhanden sind, erweiterten die Soester Bürger zunehmend ihren Einflußbereich und schützten ihn später durch eine Landwehr.

Unter Landwehren sind Wallanlagen zu verstehen, die ein Stück Land nach einer oder mehreren Seiten abgrenzen oder sperren. Ursprünglich sind sie in den meisten Fällen von einem oder zwei Gräben begleitet und durch eine auf dem Wall angepflanzte Hecke verstärkt.  Landwehren sind in der Zeit vom 14. bis in das 17. Jahrhundert durchgehend genutzt, erneuert und erhalten worden. Über die Soester Landwehr finden sich nähere Angaben bei Weerth [aaO, S. 177-181]. Nachgewiesen sind in der Landwehr der Soester Börde sieben Warten – davon ist eine die Nasensteiner oder Lohner Warte – und 26 Schlagbäume.[Weerth aaO. S.178, vgl. auch Köster]

Hier nun einige Erwähnungen des Nasensteins, womit in dieser Zeit entweder die Gerichtsstätte oder die Warte gemeint sein kann:

  1. In einem Schreiben vom 26.8.1441 an die Stadt Soest beschwert sich der Kölner Erzbischof Dietrich von Moers, also der Landesherr, dass die Soester „einen galgen mit gewalt ind sunder recht bij dem Nasenstein im grunt von Schalren in unsern gogerichte van Erwitte upgeslagen ind dair ane gericht hant, des sich nit en geburt. [„einen Galgen mit Gewalt und ohne Recht bei dem Nasenstein im Grund von Schallern in unserem Gogericht Erwitte aufgeschlagen haben und dort jemand hingerichtet haben, was sich nicht gebührt“; Heitkemper S. 50; Laumanns S. 56]
  2. Am 30. Mai 1444 hat die Stadt Soest gegenüber dem Kölner Erzbischof Stellung genommen. Darin wird auch der Nasenstein erwähnt: „den frijhen Stulen dair ynne belegen ind allen gogerichten ind yren malstedden, namentlich…zu dem Hagendoirne boven Schallen, anders genant zom Nasensteyne.“[Laumanns, S. 56; dort weitere Quellen] Hier wird deutlich, dass am Nasenstein ein Freistuhlgericht errichtet worden war.
  3. Im Juli 1444 sammelten sich die Truppen Dietrich von Moers beim Nasenstein, um die Stadt Soest zu erobern. In einem Kriegstagebuch von Bartholomäus von der Laken heißt es dazu: „He torch up sunt Marien Magdalenen Dach vor de hoen warde, Nasenstein genannt, eischeden den Wartmann up geleide orf. Als he up geleide lives und gudes askquam, schotten se ine doit und braken de warde af“ (22.7.1444). [Er, der Kölner Erzbischof Dietrich, zog am Maria-Magdalena-Tag vor die hohe Warte, Nasenstein genannt. Trotz Zusage freien Geleits wurde der Wartmann erschossen und die Warte aufgebrochen]. Wenig später machten die Soester aber einen kühnen Ausfall und drangen bis zum Brockhof bei Stirpe vor, dessen befestigte Burg, den Stammsitz der Familie Clüsener bzw. von Schorlemer, sie ebenso zerstörten wie die umliegende Holzung.[Laumanns S.55] Dabei wurden wohl auch Gefangene gemacht.
  4. Unter dem 17. April 1445 in dem o.g. Kriegstagebuch ist zu lesen, dass 7 Gefangene – teilweise die vom Brockhof – von den Soestern zum Nasenstein geführt wurden: 6 davon wurden dort gehängt, der siebente frei gelassen.
  5. Zu Weihnachten 1447 heißt es in dem Kriegstagebuch, dass die Kölner vor Soest kamen und beim Nasenstein einen Boten und eine Frau fingen und „schindeten“[Laumanns S. 56]. Dieses Ereignis wird auch durch die Lippstädter Reimchronik gestützt, in der es heißt: „Bi dem Nasenstein lachte [=lagerte] sich das heer. Drei Dage enhelt man sick aldar und brante ummelanges [=in der Umgebung], dat is war; ock dat korn, dat up dem acker stunt, wort verbrant un vertelget in den grunt.“[ebd]
    1. Der Nasenstein, die Warte und der Galgen im 15., 16. und 17. Jahrhundert

Hier sind in chronologischer Reihenfolge Angaben über die Gerichtsstätte und den Galgen, aber auch die „Nasensteinwarte“ wiedergegeben und zum Teil kurz erläutert. Aus den Angaben wird deutlich, dass mit „Nasenstein“ manchmal die Warte, dann wieder die Gerichtsstätte oder aber auch der Galgen gemeint ist.

  1. 1469: Gerhard Schaper wird am Galgen beim Nasenstein erhängt, einem anderen „von dem Berge“ werden die Augen ausgestochen. [Schmerlecke S. 55]
  2. Am 29. September 1477 verpachtete die Zisekammer der Stadt Soest die „Warte zum Nasenstein“ an den Stadtdiener Hermann Milinchus [Akten der Stadt Soest, Bestand A; Nr. 5090]
  3. 1480 wurde dem Hermann Ruphus aus Heppen der Kopf am Nasenstein heruntergeschlagen, nachdem er einen Hof des Klosters St. Walburga in Heppen in Brand gesteckt und weiteres Unwesen getrieben hatte.
  4. 1493 wurde ein Nolle zum Nasenstein gehangen, weil er zwei Ackerpferde, einen roten Rock und andere Ware gestohlen hatte.[Vogeler 1887; Schmerlecke S. 55]
  5. 1503/1504 finden auf der Nasensteinwarte Verhandlungen über Gefangenenaustausch usw. zwischen Kölnern und Soestern statt. [Rademacher Nr. 35, 36, 53, 55 und 64]
  6. 1504 ließ der Soester Rat einen Dieb, so ein Pferd gestohlen, am Nasenstein aufhängen. [Rademacher Nr. 106; Vogeler 1887]
  7. 1506: Der Wartmann zum Nasenstein ist von dem jungen Wreden gewalttätig nach Gollesen geschleppt, mehreres itzo zu geschweigen. [Rademacher Nr. 141]
  8. 1516: Vor Ostern kamen Essken, Hermann Schynner und viele mehrere in die Warte zum Nasenstein, nahmen die Frau und Magd bei den Hälsen, knebelten ihnen die Mäuler und nagelten sie im Keller zu. Den Wartmann führten sie mit sich, dazu alle seine bei sich habenden Büchsen, Armbruste, Speck, Kleider, Kleinode und alles, was sie wegbringen konnten, schleppten ihn bei der Stadt Lichtenau in ein Holz und legten ihn in einem Stock und Block gefangen. Zuletzt schatzten sie ihn vor seiner Erledigung um 20/Ggl. Solche zu bezahlen mußte er angeloben oder einzuhalten. [Rademacher Nr. 330]
  9. 1519: Gibt es Streit am Nasenstein wegen einer Jagdgrenzstreitigkeit. [Rademacher Nr. 355]
  10. 1522: Räderung von Heinrich Pingsten am Nasenstein [Rademacher Nr.451, Schmerlecke S. 55]
  11. 1523: Bei einer Gegenüberstellung am Nasenstein gesteht Rixa (von Geseke) einen schweren Meineid und wird anschließend in Geseke bei lebendigem Leibe begraben [Heitkemper S. 51/52, Schmerlecke S. 55 nennt das Jahr 1532]
  12. 1528: Tonis Pend aus Warstein, ein verlaufener Mönch aus dem Kloster Marienmünster im Stift Paderborn, hatte zu Lippstadt aus der Marienkirche alle Monstranzen gestohlen und war damit nach Soest gegangen. Er wurde am Nasenstein gerädert. [Rademacher Nr. 547; Schmerlecke ordnet das Ereignis dem Jahr 1532 zu; Heitkemper Horn S. 52; Heitkemper Heimatblätter]
  13. 1534: „Unstreitig ging die Besitzung der auswärtigen Gogerichte mit der Zeit in die Hände der Stadt Soest über. Sie bestanden zwar fort… sie wurden aber zu bloßen Gerichtstagen, welche vom städtischen Rate abgehalten wurden. Einen sprechenden Beweis liefert eine Stelle aus dem im Jahre 1534 geschriebenen Daniel von Soest, an welcher sich der Verfasser über einen der damaligen Bürgermeister lustig macht, weil er  bei Abhaltung eines Tages am Nasenstein (einen dag holden tom Nasensteine) vom Pferde in den tiefen Grund gefallen war und sich als schlechter Reiter bewährt hatte.“[Lentze S. 51, der Text findet sich in Schmerlecke S. 55]
  14. 1540: Mehr als anderhalb hundert, alle wohlgerüstet, viel kürassiert und geharnischt, zogen an den Nasenstein. [Rademacher Nr. 833; nähere Umstände unklar]
  15. 1545: Truppen, die sich in der Börde verpflegen wollen, „erbrachen die Schlagbäume zum Nasenstein und plünderten die Warte.“ [Rademacher Nr. 942]
  16. 1547: Donnerstag morgens um 9 Uhr …rückten die Völker fort, taten einen Einfall in die Börde, brannten vorerst den Nasenstein ab, hernach fielen ins Dorf Lohne und steckten bei Sastrop  [=Sassendorf] an der Rosenau des Koßmanns Haus an, und zu Opmünden des Thomas Menters Haus.[Rademacher Nr. 987; in Nr. 1001 wird der Schaden aufgelistet; hier heißt es u.a., „dass der Nasenstein mit der Behausung abgebrannt“]
  17. 1559: Aus diesem Jahr finden sich Akten betreffend die Verhandlungen der Stadt Soest mit dem Gografen Johann Droste zu Erwitte wegen eines beim Nasenstein auf der Köln-Soester Grenze gefundenen Leichnams [Akten der Stadt Soest, Bestand A; Nr. 1308]
  18. 1579: Den 18. August ist Dierik Frericks wegen Diebstahl am Nasenstein mit dem Strange zum Tode gebracht und weil er ein Hausdieb, ist er vorher auf dem Markt gesetzet. [Rademacher Nr. 2675; Schmerlecke nennt einen anderen Namen, nämlich Diedrich Goricks]
  19. 1582: Den 14. Martij wurde ein Bettler, so Straßen beraubet, geköpft und am Nasenstein aufs Rad gesetzt.[Rademacher Nr. 2765; Schmerlecke S. 55]
  20. 1582: Dem Nasensteiner Wartmann wird pro Monat ein Gehalt von 2 Mark und 4 Schilling ausgezahlt, am 27. April für heimliche Botengänge 3 Mark 6 Pfennige. Am 17. Martij zahlt die Stadt Soest „vor Klammern, bend, Negel usw. vor einen, so am Nasenstein ufs rhat gelegt“ 10 Schilling, „vor das rhatt geben 1 Mark 2 Schilling.“[Vogeler 1900, S. 53, 89 usw.]
  21. 1583: Den 31. Juli sind 2 Kerle am Nasenstein enthauptet, davon einer, Friedrich Kalthoff genannt, eine krumme Frau zu Elffsen vor sich auf eine Bühne getrieben, mit ihr Unzucht getrieben, als sie gerufen, ihr das Maul mit Stroh zugehalten, hernach ihr die Mütze abgezogen, darin hofieret [=hinein gemacht] und ihr wieder aufgesetzt, zuletzt sie durchgehend bepisset. [Rademacher Nr. 2812; Schmerlecke S. 55]
  22. 1583: Mittler Zeit, den 12. September, schrieb das Churcölnische Volk an den Rath [der Stadt Soest], zeigte an, sie können in ihrem jetzigen reißigen Zug die Börde nicht unberüht lassen und müssen darin wenigstens ein Nachtlager nehmen, mit Bitte, solches nicht zum Frevel oder zum Argen zu deuten.Es hatte kaum der Trompeter die abschlägige Antwort zurück gebracht, so kam der Quartierjäger Hilbrand Gogreve selbstdritt zu Pferde mit ungefähr 60 Schützen vor der Clusen beneben der Landwehr herauf an den Nasenstein, forderte vom Wartmann den Baum zu öffnen und die Schlüssel ihm zu extradieren; als er dazu zwanglich forcirt wurde, kamen nach etlichen Stunden 40 Schützen zurück, welche die Bäume hin und wieder auswurfen und die Zapfen abhieben, damit das folgende Volk ungehindert einrücken könnte. Gegen Abend fiel Eitel Henrich, Bastard Herzog Henrichs zu Braunschweig, mit seinem Volke zu Lohne, Sastrop, Neuengeseke in die Häuser. Die Bauern mußten schaffen, was man haben wollte. Geschah es nicht sofort, so wurden sie geschlagen und so lange geknebelt, bis sie gern Willen machten. [Vogeler 1894; Rademacher Nr. 2829; Auseinandersetzungen im Rahmen der Truchsessischen Wirren]
  23. 1584: Am 17. Juni kam der Fürst Philipp Ludwig, Pfalzgraf bei Rhein in Bayern, mit seiner Gemahlin und 180 Personen nach Soest. Nach vielen Geschenken und einer durchzechten Nacht „geleiteten sie denselben bis an den Nasenstein, die vor Soest-Grenze.“ [Vogeler 1894, S. 46]
  24. 1590 mußte der Galgen „hinter Lohne beim Nasenstein“ erneuert werden. Dabei leistete der Soester Meister Tonnis Hagedorn so schlechte Arbeit, dass der Galgen gleich wieder zusammenstürzte und einen Arbeiter schwer verletzte. Meister Hagedorn wurde dafür und den damit einher gehenden Imageverlust vom Magistrat der Stadt Soest ins Loch gesetzt und nach geraumer Zeit des Einsperrens aus dem Dienst entlassen. [Westf. Landeszeitung Rote Erde 1943, Folge 205]
  25. 1594: Wegen 12 Diebstählen und einer ganzen Reihe sonstiger Übeltaten wurden Kaspar von Horn und Hans von Bockem am 26. April „ahm Nasenstein mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht und das Liff [=Leib] up ein Rad gelacht und ein Galge up dat Raedt gesadt.“ [Heitkemper S. 52; Schmerlecke nennt das Jahr 1590]
  26. 1595: Am 29. Januar wurde Agathe Kresis, eine Kindermörderin, an den Rädern mit dem Schwert gerichtet. [Schmerlecke S. 55] Am 30. Juli wurde Johann Gehse wegen Diebstahls am Nasenstein mit dem Strang zum Tode gebracht. [Rademacher Nr. 3238; Schmerlecke S. 55 nennt ihn „Gohse“]
  27. 1604: Am 22. August wird Theis Micke, ein Schmied und Dieb aus Warstein, am Nasenstein stranguliert. [Rademacher Nr. 3484; Schmerlecke S. 55]
  28. 1605: Am 7. April wird Christopher Henne als Wartmann zum Nasenstein berufen. Er muß folgendes beeiden: Daß ich nar dieser Zeit der von Soist Warte, Landwehr, Grawen und andere Feste [=Befestigungen] trewlich will hoeden und wahren, und tho allen tyden davor sein, dat neyn Schade darahn geschehen soll, und die Bäume tytlich [=zeitig] und alle Nacht zuschließen und numandes Frembdes bei Nacht dadurch tho laten, und werth sake [=geschähe es], dat my wat anquäme, heimlich bei mich tho holden.  Dat my Gott so helpe und sein heilige Evangelium.“ [Vogeler 1895, S. 10]
  29. 1613: Johann Wortmann aus dem Stift Osnabrück wird am 18. Januar wegen etwa 100 Diebstahlsdelikte mit dem Strick zum Tode gebracht. [Heitkemper S. 52/53; Schmerlecke S. 55]

3.5.   Der Nasenstein in einem Jagdschnadprotokoll von 1681

Am 24.10.1681 veranstaltete die Stadt Soest eine Jagdschnade entlang der östlichen Grenze der Soester Börde:“ Von Bettinghausen aus wich man schon zu weit von der alten Gografschaftsgrenze nach Osten ab „uf der Stadt Soest Landwehr zwischen Schulze-Berglars und Merschoffs Kämpen die Landwehr hinauf bis an den Hüser Baum, so dieser Stadt zugehörig und Namens derselben von dem Hüsenbecker zu Schallern geschlossen wird,“ heißt es in dem entsprechenden Protokoll. Und „weiter auf und neben der Landwehr diesseits her…zwischen der Schaller und Merklingser Jürmecke [Jülmecke] hin bis an den Hörnischen Kirchweg“, und von da zur Übernachtung nach Lohne. [nach Grusemann S. 167]

„Am 25. Oktober 1681, des Morgens früh, zogen die Herren von Lohne wieder aus gerade nach dem Nasensetin und der Warte allda, nach Soest gehörig; die Jagd aber ging durch Schallern mit Pfeifen und Schalmeien wieder an den Ort, der Hüser Landwehr, wo am gestrigen Abend aufgehöret worden, nemblich an dem Kirchweg, der von Schallern nach dem Kirchdorf Horn gehet, und  also auf derselben Landwehr, zwischen der Jürmeken hin, auf die gedachte Warte am Nasenstein zu, und daselbsten durch den Schlagbaum, welchen die von Soest schließen und durch ihren daselbst wohnenden Wartmann verwahren lassen, und den grünen Platz, hinter dem allda befindlichen großen Kieselstein her, wobei die Soest- und Kölnischen Gefangenen pflegen ausgeliefert zu werden, an der Landwehr und längs derselben alle Zeit an der Kölnischen Seiten hinauf, den St. Johannis Weg aus und den Severinghäuser [Seringhäuser] Schlagbaum vorbei, welcher nach Soest gehörig, den Schlüssel aber dazu den Hausleuten zu ged[achten= obigen] Severinghausen unter dieser Kondition, daß sie den Baum dergestalt verwahren, daß dieser Stadt und den ihrigen dadurch kein Schade geschehe…[nach Vogeler 1892].

4. Wo ist der Nasenstein geblieben?

4.1. Widersprüchliche Angabe

Zur Frage des Verbleibs des alten Nasensteins fand ich zunächst einmal widersprüchliche Angaben. Bei Heitkemper [1962, S. 50] ist zu lesen: „Der Gerichtsstein machte sich mit der Zeit für den landwirtschaftlichen Betrieb immer störender bemerkbar. Deshalb wurde um 1880 neben ihm eine tiefe Kuhle ausgehoben; starke Bauernfäuste kippten ihn kopfwärts in die Tiefe und ebneten dann den Mutterboden wieder sorgsam ein.“ Nach dem Ersten Weltkrieg habe man den Stein wieder ausgraben wollen, um daraus ein Ehrenmal für die Gefallenen zu errichten, allerdings sei der Stein in der Tiefe des Grundes wohl weiter abgesunken und nicht mehr gefunden worden.

Eine andere Version liefert das Schmerlecker Heimatbuch [S.54]: „Vor der Gaststätte Renje, heute „Zur Windmühle“ genannt, liegt eingepflastert ein großer Findling, von dem hartnäckig behauptet wird, es sei der berühmte Nasenstein, der vormals auf der Lohner Warte gelegen hat. Wie und bei welcher Gelegenheit er nach Schmerlecke gekommen ist, weiß heute niemand mehr im Dorf. Die letzte Besitzerin der Gaststätte Schäfers, Frau Maria Steimann geb. Schäfer, weiß aber noch aus Erzählungen von ihrem Vater, dass dieser Stein der Nasenstein von der Lohner Warte sei. Der Großvater von Frau Krautwald-Schiebeck habe immer davon gesprochen, dass der Stein zur Lohner Warte zurückmüsse.“

4.2. Auf der Suche

Der oben genannte Stein lag bei meinen Recherchen Anfang 1999 allerdings nicht mehr vor der Gaststätte. In einem Telefonat [am 6.3.99] sagte mir Herr Hans Renje, heutiger Besitzer der Gaststätte, dass der Stein beim Rückbau der B 1 im Jahre 1997 an die Familie Steimann-Sperlbaum gegeben worden sei, wie es ausdrücklich im Kaufvertrag festgelegt worden war. Von Josef Steimann-Sperlbaum erfuhr ich dann [in einem Telefonat am 6.3.99], dass er den Stein seinerzeit mit dem Frontlader geholt habe und der Stein nun auf seinem Anwesen lagere. Er gehöre seiner Mutter Maria Steimann.

Am 30.3.1999 habe ich mit Freunden den Findling auf dem Hof Steimann besichtigt. Wir waren uns einig: Form und Größe deuten ganz klar darauf hin, dass dies der Nasenstein sein könnte. Frau Maria Steimann überreichte mir dann noch weitere Unterlagen, die endgültige Aufklärung gaben.

Ein Aktenvermerk des Erwitter Amtsbürgermeisters vom 7.9.1943 führt aus: „Der Nasenstein an der Lohner Warte hat zuletzt auf dem Grundstück des Gärtners Schiebeck gestanden, der berichtete, daß er die Stelle noch genau kenne, daß der Stein aber zu seiner Jugendzeit entfernt und in Schmerlecke an der Abzweigung der Landstraße nach Horn als Prellstein aufgestellt worden sei. Es wäre zweckmäßig, den Stein deshalb an seiner alten Stelle wieder anbringen zu lassen.“

Und im bereits oben zitierten Aktenvermerk vom 1.4.1948 heißt es nach Aussagen von Herrn Schiebeck: „Der Stein, der an dieser alten Soester Richtstätte gestanden hatte, sei vor 50 oder 60 Jahren von seinem Vater an den Vorbesitzer der Gastwirtschaft Schäfer verkauft worden und stehe heute noch als Prellstein an der Abzweigung der Kreisstraße nach Horn-Wiggeringhausen auf der Reichsstraße 1 am Hausgrundstück des Gastwirts Franz Schäfer. Mit einer Wiederanbringung dieses alten Steines (rot-grauer Findling) an seiner alten Stelle ist Schiebeck einverstanden.“