2004: Maron, Wolfgang: Kraft aus Dampf — ein neues Zeitalter beginnt im Hellwegraum

Die ,,Feuermaschine“ in Westernkotten leistete zweieinhalb PS

Erstabdruck: Heimatkalender des Kreises Soest 2004, S. 74-77

[Herr Dr. Maron, der Kreisheimatpfleger Dodt und der Kreis Soest haben ihr Okay für den Abdruck auf der HP der Heimatfreunde Bad Westernkotten gegeben. WM]

Keine andere Erfindung ist so sehr zum Symbol für Kraft und Energie geworden wie die Dampfmaschine. Ihre Entwicklung war eine wesentliche technische Voraussetzung für den Beginn der Industrialisierung. Schon von den Zeitgenossen wurde dies so empfunden: Rauchende Schornsteine und dampfende Eisenbahnlokomotiven zieren im 19. Jahrhundert beispielsweise viele Städtedarstellungen und sollen die Modernität der Orte unterstreichen.

Die Dampfmaschine hat eine lange Geschichte. Was früher gelegentlich als genialer Geistesblitz von James Watt galt, dessen Erfindung im Jahr 1769 gewissermaßen ein neues Zeitalter einleitete, erweist sich bei genauerem Hinsehen als mehr als hundertjähriger Entwicklungsprozess.

Schon im 17. Jahrhundert gab es Experimente, doch erst der englische Schmied Thomas Newcomen

baute Anfang des 18. Jahrhunderts erste funktionierende Maschinen. Sie wurden zumeist

für die Entwässerung von Bergwerken eingesetzt und blieben nicht nur in England bis

zum Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. James Watt verbesserte dann allerdings die ältere Technik entscheidend — die technischen Einzelheiten können hier nicht dargestellt werden —, erhielt 1769 sein erstes Patent und gründete 1774 mit dem Unternehmer Mathew Boulton

ein eigenes Unternehmen, so dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Siegeszug der Dampfmaschine begann.

Ihr Einsatz umfasste drei verschiedene Bereiche. Die ältesten, relativ einfachen Maschinen

wurden überwiegend zum Antrieb von Pumpen in Bergwerken genutzt.

Erst nach ihrer technischen Verbesserung dienten sie in zunehmendem Maße auch als Antriebskraft für Arbeitsmaschinen, die so von den natürlichen Antriebskräften wie Wind und Wasser unabhängig wurden. Der dritte große Bereich war schließlich die Revolutionierung des Verkehrswesens.

Vor allem die ,,Dampfmaschine auf Rädern“, die Dampflokomotive, und mit ihr das expandierende Eisenbahnwesen führten zu bis dahin nicht gekannten Transportmöglichkeiten. Da die Eisenbahn den Transport von Kohle erleichterte, erlaubte sie zugleich, auch in abgelegenen Orten Dampfmaschinen aufzustellen, was zur weiteren Dynamisierung der Entwicklung beitrug.

Im Westen Deutschlands begann das Dampfmaschinenzeitalter 30. August 1799, als auf der staatlichen Saline Königsborn bei Unna erstmals eine Dampfmaschine in Betrieb genommen wurde. Mit einer Kraft von 21 Pferdestärken (PS) diente diese von den Zeitgenossen so genannte ,,Feuermaschine“ der Soleforderung. Sie löste indessen noch keine weitergehende Modernisierungswelle aus. Zu unsicher waren die politischen Verhältnisse — man denke an die Umwälzungen durch die Säkularisation und an die zahlreichen Kriege im Zeitalter Napoleons —, zu schmal war die wirtschaftliche Basis für derartige Innovationen, zu rückständig die Wirtschaft in dieser Zeit.

Wie schleppend die Entwicklung sich fortsetzte, zeigen einige Zahlen. 1837, als die Dampfkraft sich in England längst als allgemeine Antriebsenergie durchgesetzt hatte, liefen im gesamten Königreich Preußen nur 423 Maschinen mit einer Gesamtleistung von 7513 PS. Die Zahl nahm in den folgenden Jahren kontinuierlich zu, konzentrierte sich aber im Wesentlichen in der Rheinprovinz. 1843 gab es in der Provinz Westfalen 71 Maschinen mit 1371 PS. 56 Dampfmaschinen standen im Regierungsbezirk Arnsberg, davon allein 43 in Zechen und Hüttenwerken des sich entwickelnden Ruhrgebietes, gegenüber nur 13 in anderen Wirtschaftszweigen.

Das Gebiet des heutigen Kreises Soest gehörte in wirtschaftlicher Hinsicht mit wenigen Ausnahmen ebenfalls zu den rückständigen Gebieten und war überwiegend durch Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägt. Das einzige nennenswerte vorindustrielle Gewerbegebiet befand sich im frühen 19. Jahrhundert im Westertal in den Gemeinden Warstein, Belecke und Suttrop. Hier hatten sich auf der Basis der natürlichen Standortfaktoren Eisenerzvorkommen, Wasserkraft und Waldreichtum (für die Gewinnung der Holzkohle) ein frühes Zentrum der Eisenindustrie entwickelt, zu dem mehrere Hüttenwerke, Walzwerke und Drahtfabriken zählten. Seit Anfang der vierziger Jahre kam eine Hütte in Wickede dazu, die ebenfalls die Wasserkraft — in diesem Fall der Ruhr — als Antrieb für Blasebälge, Eisenhammer und Drahtwalzen nutzte. Alle diese Werke stellten sich erst nach der Jahrhundertmitte auf die Dampfkraft um, um gegen die wachsende Konkurrenz der Montanindustrie des Ruhrgebietes konkurrenzfähig bleiben zu können.

Dennoch wurden in unserem Raum bis zur Jahrhundertmitte mehrere Dampfmaschinen in Betrieb genommen. Vorreiter waren — wie in Unna-Königsborn — die hier vorhandenen Salinen.

Die Motive für die technische Modernisierung waren jeweils ähnlich. Die traditionelle Antriebskraft der Pumpen und Schöpfwerke waren Wasserräder. Deren Leistung schwankte indessen je nach Jahreszeit und Wasserstand sehr, sowohl was das Heraufholen der Sole aus der Tiefe angeht wie das Hochpumpen auf die Gradierwerke. Neben Wasserrädern wurden auch Windkraft und Göpelwerke zu Verbesserung der Verhältnisse getestet. Letztendlich versprach aber nur die Dampfmaschine eine witterungsunabhängige Forderung und zugleich eine Leistungssteigerung gegenüber den traditionellen Verfahren.

Den Anfang machten die Eigentümer der Saline Westernkotten. Die von ihnen im Jahr 1836 — wohl im Zusammenhang mit dem Neubau eines Gradierwerks im Jahr zuvor — in Betrieb genommene Dampfmaschine leistete nach einer Statistik aus dem Jahr 1849 zweieinhalb PS. – 1842 stellte auch das Kollegium der Salzbeerbten der Saline in Sassendorf einen Genehmigungsantrag. Ihre Dampfmaschine stammte aus der Gutehoffnungshütte, hatte eine Leistung von fünf PS und sollte Pumpen antreiben. Standort war zwischen dem Sassendorfer Bach und dem Gradierfall IV. In Werl dauerte es noch bis zum Ende der fünfziger Jahre, ehe auch hier eine Dampfmaschine zur Soleförderung eingesetzt wurde.

Die Aufstellung und Benutzung von Dampfmaschinen waren einem längeren Genehmigungsverfahren unterworfen, dass mit einem Antrag der Besitzer beim örtlichen Magistrat begann und im Erfolgsfall zur Genehmigung durch die Bezirksregierung führte. Diese ließ zuvor die Dampfmaschinen von einem Bauinspektor auf die Einhaltung der vorgegebenen Sicherheitsvorschriften überprüfen. Während dies im Fall der Salinen Westernkotten und Sassendorf anscheinend ohne Probleme geschehen ist, kam es im Fall der ersten Dampfmaschine in Lippstadt zu einer mehrjährigen Auseinandersetzung zwischen Eigentümer, Magistrat und Bezirksregierung. Am 11. Juni 1849 hatte der Kaufmann und Brennereibesitzer Carl Gallenkamp beim Lippstädter Magistrat ebenfalls um ,,die geneigte Erlaubnisertheilung“ ersucht, in seiner schon lange bestehenden Branntweinbrennerei an der Langen Straße eine Dampfmaschine von vier bis sechs PS in Betrieb nehmen zu dürfen. Nachdem die nötigen Unterlagen eingereicht waren, der Antrag öffentlich bekannt gemacht worden war — außer in der Presse auch durch einen Ausruf des Stadtdieners — folgte im Februar zunächst die Erlaubnis zum Aufbau der Maschine.

Gallenkamp ließ sie bei dieser Gelegenheit offenbar probeweise laufen und handelte sich vom Magistrat eine Geldstrafe wegen des unberechtigten Betriebs ein. Da vom Bauinspektor Buchholz einige technische Mängel festgestellt wurden, ruhte das ganze Verfahren schließlich bis 1851, ehe die technische Abnahme erfolgen konnte. Der Eigentümer hatte seine Pläne zwischenzeitlich geändert und die Anlage für eine dampfgetriebene Mehl- und Graupenmühle umrüsten lassen. Erneut musste eine Betriebsgenehmigung beantragt werden, und nach der technischen Abnahme wurde sie schließlich 1852 erteilt. Der Dampfmühle war aber keine lange Lebensdauer beschieden, denn nur ein gutes Jahr später verkaufte Gallenkamp die Dampfmaschine an einen Branntweinbrenner in Herzebrock. Welche Gründe im Einzelnen zu seinem Scheitern geführt haben, muss offenbleiben. Das Beispiel macht aber deutlich, dass eine technische Innovation allein noch keinen wirtschaftlichen Erfolg garantiert.

Repräsentieren die Dampfmaschinen zum Betrieb der Pumpen an den Salinen die älteste Einsatzart, so gehört das Gallenkampsche Unternehmen, bei der die Dampfkraft für den Antrieb von Arbeitsmaschinen genutzt werden sollte, zum zweiten Bereich. Der dritte Einsatzbereich fiel für unseren Raum zeitlich mit dem langen Verfahren um die Gallenkampsche Dampfmaschine zusammen. Mit dem Bau der Westfälischen Eisenbahn, die 1850 zwischen Hamm und Paderborn fertiggestellt war, begann hier die Modernisierung des Verkehrswesens. Die Eisenbahn bildete für den gesamten Hellwegraum die vielleicht wichtigste Maßnahme zur Wirtschaftsförderung im 19. Jahrhundert.

Die an der Bahnlinie gelegenen Orte, allen voran die Kreisstädte Soest und Lippstadt, besaßen mit dem Eisenbahnanschluss seit der Jahrhundertmitte einen wichtigen Standortvorteil. In beiden Orten siedelten sich 1860 größere Metallwerke an, die von ihren verkehrsungünstig gelegenen Standorten im nördlichen Sauerland an die Eisenbahn abwanderten. Sowohl die Firma Gabriel und Bergenthal, die von Warstein nach Soest kam, wie auch das Werk der Gebrüder Linhoff aus Belecke, das am Lippstädter Bahnhof entstand und ab 1873 als Zweigwerk der Aktiengesellschaft „Westfälische Union“ mit Sitz in Hamm betrieben wurde, waren Puddel- und Walzwerke und besaßen von Beginn an mehrere Dampfmaschinen und zahlreiche Dampfkessel, deren Schornsteine von nun an fest zum Stadtbild gehörten.

Der Siegeszug der Dampfmaschine hatte damit auch für unseren Raum begonnen und erfasste immer mehr Wirtschaftsbereiche. Die Dynamik der Entwicklung soll abschließend noch einmal mit einigen Zahlen veranschaulicht werden. Im Jahr 1861 wurden im Altkreis Lippstadt fünf Dampfmaschinen mit zusammen 133 Pferdestarken gezählt. Im Altkreis Soest gab es zwanzig Jahre später 48 stationäre Maschinen mit 620 PS. Zusätzlich waren 15 mobile Dampfmaschinen mit zusammen 65 PS im Einsatz.

Besonders für größere Unternehmen blieb die Dampfkraft für viele Jahrzehnte unverzichtbar. Während im Handwerk seit Ende des 19. Jahrhunderts die kleineren Gasmotoren Verwendung fanden, bildete erst die Verbreitung des elektrischen Stroms im 20. Jahrhundert den Beginn einer neuen technologischen Epoche.

Aus dem Wirtschaftsleben sind die Dampfmaschinen seit langem wieder verschwunden und werden allenfalls noch in Museen betrieben. – Dennoch gibt es einen Bereich, in dem sie bei Jung und Alt noch zahlreiche Anhänger besitzen: Es sind die nach wie vor beliebten Spielzeugmodelle, an denen in spielerischer Weise ein Kapitel Technik- und Wirtschaftsgeschichte lebendig wird.