Von Wolfgang Marcus
[aus: Vertell mui watt Januar 2003, Nr. 201-202
Bereits 1993 habe ich einen kleinen Aufsatz verfasst über Staatsexamens- und Diplomarbeiten zu Bad Westernkotten, die der Verein der Heimatfreunde gesammelt hat [vgl.: Aus Kuotten düt und dat, auf Hochdeutsch und auf Platt, Beilage zum Mitteilungsblatt, Nr. 60, November 1993]. Nun bekam ich von Herrn Hubert Stutenkemper aus Emsdetten, der jüngst mit seinem Rotarierclub in Bad Westernkotten weilte und für den ich eine Ortsführung arrangieren konnte, eine Kopie seiner Arbeit, die er 1958 zur Erlangung der Lehrbefähigung ablegte. Sie beschäftigt sich mit der Salzgewinnung und dem (damals noch jungen) Heilbad Westernkotten. Je ein Exemplar der Arbeit kann im Stadtarchiv Erwitte und beim Verfasser eingesehen werden.
Im folgenden möchte ich einige Passagen aus dem 43 Seiten umfassenden Werk zitieren, und zwar das Kapitel „Die Bedeutung des Fremdenverkehrs für die Wirtschaft des Ortes“ [S.37ff.]:
„Wurde das wirtschaftliche Leben Westernkottens jahrhundertelang durch die Salzgewinnung und den Salzhandel bestimmt, so gewann mit der Intensivierung des Badebetriebes der Fremdenverkehr mehr und mehr an Bedeutung für die örtliche Wirtschaft. Im Jahre 1958 haben über 2800 Gäste stationär oder ambulant Kuren in Bad Westernkotten durchgeführt. Das entspricht einschließlich der Fremdenverkehrsleistungen einem Gesamtumsatz von 1,3 Mio. DM, der zum größten Teil der heimischen Wirtschaft zugute kommt. Da am Ort keine Industriebetriebe vorhanden sind, fällt der zunehmende Kur- und Badebetrieb finanziell immer stärker ins Gewicht. Der Fremdenverkehr kommt in erster Linie den Gaststätten, den Hotelbetrieben und den Fremdenheimen zugute, die stetig zunehmen. Überall im Orte werden aber auch von der übrigen Einwohnerschaft in den letzten Jahren Fremdenzimmer eingerichtet. Im letzten Wohnungsanzeiger für das Jahr 1959 werden bereits 254 Betten aufgeführt. Darüber hinaus könne, so heißt es dort, die Kurverwaltung noch 30 weitere Privatquartiere mit je 2 bis 3 Betten den Kurgästen zur Verfügung stellen.
Alle von der Kurverwaltung angebotenen Unterkünfte wurden hinsichtlich ihres hygienisch einwandfreien Zustandes und ihrer Einrichtung genauestens überprüft und nur für gut befundene den Kurgästen angeboten. Die im Wohnungsanzeiger genannten Betriebe haben fast ausschließlich fließendes Wasser und Zentralheizung. Etwa 10 Garagen stehen zur Verfügung. Ungefähr 200 bis 250 Kurgäste werden täglich im Kurhaus verpflegt; diejenigen, die in größerer Entfernung vom Kurhaus untergebracht sind, wohnen durchweg in Häusern mit voller Pension. Bemerkenswert ist, dass von den ansässigen Arbeitnehmern, die in einer Gesamtzahl von über 400 in den benachbarten Industriebetrieben in Lippstadt (Metallverarbeitung, Maschinenbau, Textilindustrie) und Erwitte (Zementindustrie) arbeiten, viele in ihrem Eigenheim Fremdenzimmer einrichteten und dadurch ihren Lebensstandard verbesserten. Nach dem Wohnungsanzeiger 1959 verteilen sich die Betten wie folgt:
Gaststätten: Kurhaus/Inh. Jos. Pollmeyer, 50, Kurhaus/Prov. Mütterheim 60, Gaststätte und Pension Josef Besting 20, Gaststätte Dietz/Inhaber Paul Röwekamp 10.
Privatpensionen: Lüning 9, Jesse 6, Kittmann 4, Winter 5, Kath. Schwesternhaus 3, Kleeschulte 4, Markoni 10, Schütte 8.
Privatvermieter: Willi Kemper 16, Otto Mlozian 8, Paul Speckmeier 5, Ferdinand Nonte 5, Heinrich Vollmer 5, Karl Joachimsmeyer 5, Karl Joachimsmeyer 4, Sophie Jesse 5, Willi Stillecke 4, Christian Jakobs 4, Sophie Merschmann 4.
Ich bin der Meinung, dass das Bad Westernkotten indirekt den Siedlungsbau im Gelände „Auf der Brede“ (15 Neubauten) und „Am Fredegras“ (45 Neubauten) stark vorangetrieben hat. Viele Hausbesitzer haben Zimmer an Kurgäste vermietet, um die monatlichen Zins- und Tilgungsleistungen besser aufbringen zu können.
Es ist klar, dass sowohl die Handwerksbetriebe als auch die Einzelhandelsgeschäfte sich mit zunehmendem Fremdenverkehr eines wachsenden Umsatzes erfreuen. Auch die örtliche Landwirtschaft kann ihre Produkte zum Teil am Orte wirtschaftlich verwerten. Manche Kurgäste werden aus den Erträgnissen der Landwirtschaft verpflegt. Die „kleine Landwirtschaft“ erlebt dagegen – auch an anderen Orten wohl zu beobachten – einen beachtlichen Rückgang. Etwa 60 % der Haushaltungen hat nur noch einen Garten und Nutzvieh. Vor allem hat man die Schaf- und Ziegenhaltung fast gänzlich aufgegeben. Der Viehaustrieb wird in einem Badeort problematisch, und es ist leichter, ein Zimmer für Kurgäste einzurichten, als Nutzvieh zu halten.
Für eine Anzahl von Einwohnern wirkte sich die neue Entwicklung Westernkottens besonders günstig aus. Da ist ein Gartenbaubetrieb, der für die Instandsetzung und Pflege des Kurgartens bis 1958 eingesetzt wurde und darüber hinaus durch den wachsenden Fremdenverkehr einen guten Auftrieb erfuhr. Heute kann der Betrieb 10 Fremdenverkehrsbetten zur Verfügung stellen. – Der Besitzer von „Haus Ingrid“ war Fabrikarbeiter und besaß einen kleinen Kotten mit einigen Morgen Land und zwei Kühen. Der Provinzialverband kaufte das Haus mit den dazugehörigen Ländereien auf. An anderer Stelle wurde ein großes Haus mit vielen Fremdenzimmern (16 Betten) wieder aufgebaut. Das Bad verpflichtete sich, jährlich die entsprechende Anzahl von Kurgästen dem Hause zuzuweisen. Die wirtschaftliche Existenz dieses Mannes wandelte sich vollkommen. Heute ist er Transportfahrer und besitzt schon einen eigenen Lastzug. – Der Inhaber des Gasthauses Dietz hat nach der Renovierung seines Hauses und der Einrichtung von Fremdenzimmern seine Landwirtschaft vollkommen aufgegeben.“