Ökumene in Bad Westernkotten
Von Maria Richter
[aus der Festschrift zum 100jährigen Bestehen der kath. Pfarrgemeinde 2002]
„Achtet auf alles, was euch verbindet:
Gottes Geist will, dass ihr eins seid
und dass der Friede euch zusammenhält.“
(Eph 4,3)
„Die zwei evangelischen Familien, die vor dem Krieg in Westernkotten wohnten, hatten es schwer. Es bemühte sich keiner, den Glauben des anderen kennen zu lernen – man blieb sich fremd.“ So erinnert sich eine ältere Westernkötterin.
Als vor 100 Jahren die Pfarrgemeinde Sankt Johannes/Evangelist gegründet wurde, kannte man das Wort Ökumene noch nicht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten in Westernkotten zwischen ca. 1200 katholischen Christen und einigen Juden die 20 bis 35 evangelischen Christen als kleine „ausgegrenzte“ Schar.
Durch den Flüchtlingsstrom nach dem 2. Weltkrieg – vor allem aus Ostdeutschland – wurde erstmalig die Zahl der evangelischen Christen größer. Pfarrer Becker notierte 1947 in die Pfarrchronik: „Westernkotten zählt zur Zeit 1665 Katholiken und 350 Protestanten – ehe die Flüchtlinge kamen waren es 32 Protestanten.“
Die Katholiken, die immer unter sich gewesen waren, wurden durch die neue Situation beunruhigt. Durch die stärkere Betonung der Unterschiede der katholischen und evangelischen Glaubenslehre versuchte man, sich noch mehr abzukapseln – in der Sorge, seinen Glauben zu bewahren. Es galt, was im Herder-Volkslexikon – herausgegeben 1952 – zu lesen ist: „An ökumenischen Tagungen dürfen Katholiken nur mit Erlaubnis des Hl. Stuhles und an lokalen Aussprachen nur mit bischöflicher Genehmigung teilnehmen. Teilnahme an gemischten Gottesdiensten ist verboten. Eine Zusammenarbeit im sozialen und ethischen Bereich ist erlaubt.“
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es dann jedoch zu einer anderen Entwicklung, für die der Begriff „ökumenische Bewegung“ geprägt wurde. Hervorragende Ereignisse waren hier die Konstituierung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahre 1948 und das II. Vatikanische Konzil 1962 – 1965, durch das sich die Katholische Kirche auch offiziell dem ökumenischen Anliegen verpflichtet hat. Im Dekret über den Ökumenismus wurde aufgerufen zur „Besinnung auf das allen Christen Gemeinsame, das Bemühen um Überwindung der noch bestehenden Unterschiede und das Bestreben, die sichtbare Einheit der Kirche wieder herzustellen.“
Wenn in diesen Jahren auch noch keine Gemeinsamkeit zwischen den evangelischen und katholischen Christen in Westernkotten herrschte, so half man sich doch, wenn es nötig war.
So haben die evangelischen Christen vom Dreifaltigkeitssonntag 1947 bis zum 8.8.1976 – da konnte das Paul-Gerhardt-Haus bezogen werden – in der katholischen Pfarrkirche Gottesdienst gefeiert. Und nach dem Abbruch der alten Kirche im August 1976 waren die Katholiken beim Werktagsgottesdienst bis zum 9. 10. 1976 Gast im Paul-Gerhardt-Haus.
Zum ersten ökumenischen Gottesdienst kamen die Frauen in Bad Westernkotten 1978 zum Weltgebetstag zusammen. Dieser Tag, der 1887 aus Amerika als Gebetstag der Frauen kam und 1927 „Weltgebetstag“ wurde, an dem seit 1947 auch Frauen in Deutschland teilnahmen, ist die älteste und größte ökumenische Bewegung weltweit.
Seit 1978 wird auch in unserem Ort in jedem Jahr am ersten Freitag im März der Weltgebetstag gefeiert. Jedes Jahr kommen die Texte für den Gottesdienst aus einem anderen Land der Welt. Über 170 Länder nehmen daran teil. – Das heißt, Frauen befassen sich schon vorher und dann während des Gottesdienstes so mit den Lebensbedingungen der Schwestern aus diesem Land, dass sie auch „informiert“ beten und handeln können. Die Kollekte geht zum Teil ebenfalls in dieses Land und fördert somit Entwicklungsprojekte in aller Welt.
Bei uns in Bad Westernkotten wird der Weltgebetstag – vorbereitet von Frauen beider Kirchen – jedes Jahr im Wechsel in der katholischen Kirche oder im evangelischen Gemeindehaus gefeiert. So wie beim Weltgebetstag die Initiative zum gemeinsamen Beten und Handeln von der Basis, in diesem Fall den Frauen ausging, ist das oft in der ökumenischen Bewegung zu erkennen.
Das bestätigten auch die evangelischen und katholischen Pfarrer unserer Gemeinde im Jahre 1979[1]. Pfarrer Schetschok: „Ökumenische Kontakte können von den Gemeindemitgliedern ausgehen und müssten auch davon getragen werden.“ Und der damalige Subsidiar Josef Hesse: „Gemeinsames Tun bringt uns auf den Weg zur Einheit.“ Und Pfarrer Gersmann: „Wiedervereinigung kommt nicht durch langes theologisches Reden, sondern durch ungeheucheltes im Alltag bekennendes Praktizieren des katholischen und evangelischen Glaubens.“
Heute, im Jahr 2000, gibt es in Bad Westernkotten 2736 Katholische und 827 Protestanten. Für viele ist es üblich geworden, am religiösen Leben der anderen Konfession teilzunehmen. An den Gottesdiensten, an der Taufe, an Erstkommunion und Konfirmation, Trauung und Beerdigung. Wenn eine konfessionsverschiedene Ehe geschlossen wird, kann es die gemeinsame Feier der kirchlichen Trauung geben.
Die Geistlichen der evangelischen und katholischen Gemeinden treffen sich auf Dekanatsebene in gewissen Abständen zum ökumenischen Pfarrkonvent. Vieles geschieht nun gemeinsam.
Am 6.9.1992 wurde das erste gemeinsame Pfarrfest gefeiert. „Es übertraf alle Erwartungen“, hieß es im Patriot. Dem folgte am 4.9.1994 das zweite und am 8.9.1996 das dritte ökumenische Pfarrfest. Darüber hieß es im Patriot aus dem Munde von Pastor Jäger: „Hätten unsere Amtsvorgänger dieses gemeinsame Fest nicht ins Leben gerufen, so hätten wir es getan.“ Und Pfarrer Müller wollte den Brückenschlag zwischen den Gemeinden stärken.-
Am 12. September 1996 wurde eine Gedenktafel am Alten Markt enthüllt. Sie erinnert an die Familie Ostheimer, die im Jahre 1938 als letzte jüdische Familie aus Westernkotten vor dem Nazi-Terror flüchtete – aber ihm nicht entkam. An dieser Gedenkfeier nahmen über 80 Menschen teil, u.a. Pastor Wolfgang Jäger, Pfarrer Heinz Müller und Schmuel Rubens von der jüdischen Kultusgemeinde Paderborn.
Am 12.1.2001 gestalteten erstmals auch evangelische Frauen das seit Jahren von der kfd und dem BDKJ durchgeführte Weltfriedensgebet mit. An einem Lichtermarsch gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit, zu dem die beiden Kirchen vor Ort und der Gesprächskreis junger Erwachsener aufgerufen hatte, beteiligten sich am Abend des 4. März 2001 über 300 junge und ältere Personen. In der Tageszeitung wurde im Bericht über diese mit Gebeten und Meditationen beeindruckende Veranstaltung eine über die große Teilnahme erstaunte Bürgerin zitiert: „Das ist ja wie beim Lobetag.“
Seit Jahren arbeiten Frauen beider Konfessionen gemeinsam im „Eine-Welt-Kreis“ und verkaufen fair gehandelte Produkte. Bei Ansprachen am Ehrenmal für die Toten der beiden Kriege wechseln sich die evangelischen und katholischen Pfarrer ab. Die ökumenische Kurseelsorge wurde 1996 neu angeregt und seitdem wird ein gemeinsames Informationsblatt herausgegeben. Weiter gibt es einzelne gemeinsame Veranstaltungen, zum Beispiel für die Weihnachtsgäste.
Die Grundschule hält ökumenische Einschulungs-, Weihnachts- und Jahresabschlussgottesdienste in der katholischen Kirche ab. Zusätzlich gibt es gemeinsame Gottesdienste für die ersten und zweiten Schuljahre. Im Jahr 2000 fand ein Weltgebetstag für die Kinder statt und zum Lobetag 2000 haben alle Kinder gemeinsam eine umfangreiche und schöne Ausstellung erstellt. Im katholischen Elisabeth-Kindergarten und im evangelischen „Regenbogen“ werden selbstverständlich auch Kinder der anderen Konfessionen aufgenommen.
Ein intensives Miteinander pflegen die Frauen der Katholischen Frauengemeinschaft kfd und die Frauen der Evangelischen Frauenhilfe, angeregt durch den Weltgebetstag. An den Veranstaltungen der kfd – Vorträge, Fahrten, Feste – nehmen auch evangelische Frauen als Gäste teil und sind Mitglieder in den verschiedenen Gruppen.
Die Frauen der Caritas-Konferenz richteten von 1985 bis 1997 die Weihnachtsfeiern in den Altenheimen mit den Frauen der Evangelischen Frauenhilfe gemeinsam aus. Bei der Gymnastikgruppe machen seit vielen Jahren auch evangelische Frauen mit. Auch zu den Advents- und Frühlingsfeiern und dem „Morgen der Begegnung“ kommen evangelische Teilnehmer.
Ebenso sind bei den Veranstaltungen der Katholische Arbeitnehmerbewegung KAB – Vorträge, Fahrten, Feste oder bei der Gymnastikgruppe – evangelische Christen dabei. Das Gleiche gilt für die Jugendgruppen: Bei den Pfadfindern der DPSG, bei der Landjugendgruppe KLJB und dem Tischtennisclub DJK sind selbstverständlich evangelische Jugendliche vertreten, da es in der kleineren evangelischen Gemeinde solche eigenen Jugendgruppen nicht gibt. Beim Kinder- und Gospelchor können alle, die daran Freude haben, mitsingen.
Als 1997 ein gemeinsames Wort des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland und der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland herausgegeben wurde, hat in Bad Westernkotten eine Gruppe katholischer und evangelischer Christen ein Papier unter dem Titel „Familienarbeit muss entlohnt werden“ von 1994 bis 1995 an 8 Abenden erarbeitet.
In dem Ende des Jahres 2000 erschienenen Buch „Es ist Zeit – an Gott zu denken“ schreibt Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: „Nach 450 Jahren Trennung ist ja unglaublich viel verändert worden – und zwar innerhalb von eigentlich wenigen Jahren …Ich habe nach dem Krieg doch noch erlebt, dass evangelische Kinder bei uns in der Schule als Minderheit verprügelt wurden, genauso, wie das mit katholischen anderswo passiert ist.“ Laut Kardinal Lehmann hat die Ökumene in den letzten 30 Jahren beachtliche Fortschritte in den dogmatischen Fragen (Sakramente, Amt, Kirche, Rechtfertigung) gemacht.
Wie viel sich im Miteinander der Menschen in unserer Gemeinde gewandelt hat, zeigt sich auch daran, dass evangelische Christen den „höchsten Feiertag“ in Bad Westernkotten, den Lobetag, mitbegehen.
Hoffnung und Mut macht das Wort des Vorsitzenden der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Manfred Kock: „Uns verbindet mehr als uns trennt.“
[1] Vgl. hierzu die damalige Pfarrgemeindezeitung „GiG“ – Gemeinde im Gespräch vom August 1979