Der Landwirtschaftliche Ortsverein in der NS-Zeit (bisher unveröffentlichtes Manuskript, erstellt 2006/07)
von Wolfgang Marcus
Einen gewaltigen Einschnitt brachte das Jahr 1933 durch eine zwangsweise Umorganisation aller landwirtschaftlichen Organisationen und Institutionen durch den Reichsnährstand. Zunächst ist aber in den Protokollen des Ortsvereins Westernkotten nur indirekt etwas vom Machtwechsel am 30.1.1933 zu spüren. So findet die erste Versammlung danach am 15.2.1933 statt. Hier wird ohne nähere Begründung festgestellt, dass der bisherige erste Vorsitzende Josef Besting sein Amt niedergelegt hat und die Versammlungen bis zur Neuwahl im nächsten Jahr vom stellv. Vorsitzenden Anton Otto geleitet werden. Sodann geht es um die Aufstellung von eigenen Kandidaten für die Gemeinderatswahl. Man einigt sich darauf, die Kandidaten zu übernehmen, die auf einer eigenständigen „Bauernversammlung“ – also keine offizielle Versammlung des Ortsvereins – nominiert wurden, und zwar Bernhard Heithoff, Josef Pieper, Anton 0tto, Josef Schulte, Josef Gudermann und Franz Erdmann. Kurios das Abstimmungsergebnis, wie es das Protokoll wiedergibt: „Der Antrag wurde mit 32 gegen 4 Stimmen angenommen. Bei der Gegenprobe stimmen 27 für den Antrag bei 9 Stimmenthaltungen.“ Alsdann legt auch Wilhelm Hollenbeck sein Amt als Kassierer nieder, zum Nachfolger wird einstimmig Bernhard Heithoff gewählt. Hierin scheinen sich der Machtwechsel in Berlin und die Auswirkungen vor Ort ebenfalls niederzuschlagen.
Es schließt sich ein Lichtbildervortrag von Diplom-Landwirt Schüttert über Kaltblutzucht und die Vorbereitung von Pferden für den Verkauf an.
Am 11.3.1933 geht es um die Bestellung von Düngekalk vom Weißkalkwerk Brilon und von Bindegarn. Dieses wird ab Mai bei Gebrüder Köneke und Josef Niggenaber zu je 45,5 Pfennig das Kilo gekauft. Es folgt ein Hinweis, dass Baron von Papen, dem die meisten Ländereien in der Gemarkung Westernkotten gehörten, eine Abordnung der Bauern empfangen will, um über Pachtverringerung zu diskutieren. Dieses Thema steht in den folgenden Sitzungen noch häufiger auf der Tagesordung.
Am 30.3. 1933 hält Zuchtinspektor Böingh aus Münster einen Lichtbildervortrag über Fütterung und die Entwicklung der schwarzbunten und rotbunten Zucht. Überhaupt spielte die Fortbildung in diesen Jahren im Ortsverein eine große Rolle.
Am 14.5.1933 werden vor allem Informationen über regionale Ausstellungen und Tierschauen gegeben, so am 19. Juli eine Kreistierschau in Erwitte und am 8. Juni eine Bezirkstierschau in Paderborn.
Im Protokoll vom 3. Juli 1933 ist dann erstmals von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der neuen Regierung die Rede: laut Landrat Dr. Malzbender und Gemeindevorsteher Josef Pieper sollen 50 Arbeitslose Steine aus der Pöppelsche brechen und damit die Wirtschaftswege Holzweg, Berger Weg (heute Sauerländer Weg) und den Weg von Erdmann zur Kreisstraße nach Erwitte (heute Schäferkämper Weg) ausbauen, die Bauern sollen dafür kostenlos die Steine anfahren, da sie ja ein Interesse an gut ausgebauten Wegen hätten. Das stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung unter den Landwirten, zumal in der Ernte jede Hand gebraucht wird.
Weiter Themen dieser Versammlung sind dann noch die Landhilfe (Erntehelfer), der „ständische Aufbau der Bauernschaft“ sowie Einheitswert, Haftpflichtangelegenheiten und Kohlebezug.
Mitte des Jahres ist dann aber die Umwandlung der gesamten landwirtschaftlichen Organisation weithin abgeschlossen.
Protokollant Heinrich Eickmann, gleichzeitig auch einer der ersten Heimatgeschichtsforscher in Westernkotten, schreibt dazu im Protokollbuch III: „Alsbald nach der Machtübernahme der Regierung Hitler ist das gesamte landwirtschaftliche Organisationswesen auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden. Die Landwirtschaftlichen Orts-, Kreis und Hauptvereine, der Westfälische Bauernverein, der Reichslandbund und der Westdeutsche Bauernbund sind aufgelöst. Die gesamte Landwirtschaft ist nunmehr im Reichsnährstand einheitlich zusammengefasst. Nach unten hin ist der Reichsnährstand in die Landes-, Kreis- und Ortsbauernstände gegliedert. An der Spitze der einzelnen Gliederungen steht der Bauernführer. Diesem sind drei Unterführer zur Seite gestellt. Der erste bearbeitet das wirtschaftspolitische Gebiet, der zweite das technische und der dritte das genossenschaftliche Gebiet.
Im Ortsbauernstand Westernkotten ist Bauernführer Josef Pieper
Abt.. 1: Bernhard Heithoff
Abt. 2: Anton Otto
Abt. 3: Josef Deimel.
Außerdem ist Herr Eickmann zum Schriftführer bestimmt.
Kreisbauernführer ist
Hense-Sengeling, Norddorf
Stellv. Henkelmann, Klieve
Abt. I: Koch Schulte, Bökenförde
Abt. II: Henke, Ellingerhof bei Rüthen
Abt. III: Schulte-Frielinghaus, Benninghausen.“
Rein äußerlich ist in den folgenden Protokollen wieder festzustellen, dass Protokollant Eickmann die alten deutschen Namen für die Monate verwendet wie Hartung für Januar, Brachet für Juni, Heuert für Juli, Ernting für August, Gilbhard für Oktober, Nebelung für November und Christmond für Dezember.
Ein wichtiger Eingriff in die Grundrechte der Bauern war das sog. Reichserbhofgesetz vom 29.9.1933. In dessen Präambel heißt es: „Die Reichsregierung will unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten. Bauernhöfe sollen vor Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang geschützt werden, damit sie dauernd als Erbe der Sippe in der Hand freier Bauern verbleiben.“[1]
Folgende Bestimmungen aus dem Gesetz sind besonders wichtig:
- – sämtliche Höfe von 7,5 ha bis 125 ha fallen unter dieses Sondergesetz, in Westfalen allein mehr als 37 000.
- – Nur deren Eigentümer dürfen sich „Bauern“ nennen, Kötter und Heuerlinge sowie Großgrundbesitzer waren fortan „Landwirte“.
- – „Erbhöfe“ durften weder verkauft noch zwangsversteigert werden.
- – Eine Vererbung darf nur ungeteilt erfolgen.
- – Die Erbfolge war genau geregelt und bevorzugte die männlichen Erben, schwierig etwa, wenn „nur“ Töchter geboren waren..
- – Ein Erbhof durfte nicht mit Hypotheken belastet werden, schwierig, wenn man zum Beispiel teure Maschinen auf Kredit anschaffen wollte. Andererseits stellten aufgrund dieser Passage manche Bauern Abfindungen an Kinder usw. ein.
- – Alles lief darauf hinaus, die Kontinuität eines Hofes – im Sinne der Blut-und-Boden“-Ideologie – über Generationen in der Hand einer „Sippe“ zu sichern. Vor 1933 gehörte der Erbhof dem Bauern, jetzt gehörte der „Erbhofbauer“ zum Hof, als „Treuhänder seiner Sippe“. Wer nicht ehrbar war oder den Verpflichtungen (des Staates) nicht nachkam, konnte „abgemeiert“ werden, ein Rechtszustand, der Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der „Bauernbefreiung“ abgeschafft worden war, als die Grundherren befugt waren, ihren Untertanen Nutzungsrechte für Hof und Acker zu entziehen.
In Westernkotten wurden 33 Höfe zur Eintragung in die Erbhofrolle vorgesehen (in Klammern die Hofstättennamen):
Anton Schulte (Domhof)
Anton Schulte (Berendwilm)
Franz Göbel (Göbel)
Josef Pieper (Rüsing)
Josef Spiekermann (Dröge)
Franz Westerfeld (Albur)
Wilhelm Hollenbeck (Balshof)
Josef Göbel (Kucham)
Franz Erdmann (Plaßbur)
Bernhard Heithoff (Frickemeier)
Josef Hoppe (Wieneke)
Adolf Schröer (Schäperhahne)
Anton Kemper (Bonemeyer)
Heinrich Mönnig (Weringhof)
Heinr. Eickmann (Stratmann)
Franz Hoppe (Nucke)
Witwe Theodor Gerling (Kaltnershof)
Lorenz Meyer (Bombardier)
Josef Westerfeld (Löper)
Leo Jesse (Jessenhof)
Engelbert Spiekermann (Jöster)
Josef Pilk (Kolle)
Franz Schütte (Valentin)
Witwe Adolf Büker (Vahlhaus)
Witwe Franz Rieke (Büker)
Josef Buxhoidt (Brülle)
Franz Mintert (Suern)
Witwe Franz Hollenbeck (Coers)
Josef Schrop (Lindenhof)
Josef Besting (Besting)
Johannes Schäfer (Wulwes)
Witwe Bernhardine Gudermann (Humbold)
Josef Deimel (Steinhögger).[2]
In der Versammlung am 15.10.1933 wird auf die neu zu erwerbende Mitgliedschaft im Reichsnährstand hingewiesen. Versäumte Anmeldungen können mit bis zu 1000 RM Strafe geahndet werden. Ab dm 1. November erscheint die NS-Zeitung „Westfälischer Bauernstand“, die Pacheinigungsämter werden aufgelöst und dem Landesbauernstand unterstellt, „die Volksschulen und etwaige Ländliche Fortbildgungsschulen in der Gemeinde unterstehen dem Ortsbauernführer; alles Maßnahmen im Rahmen der sog. Gleichschaltung.
In der Zusammenkunft am 26.11.1933 geht es erneut um die zu hohen Land- und Gartenpächte des Herrn von Papen, die „zum Teil 200 % der Friedenspacht betragen“, wobei aber mit dem Vertreter des Barons, Rentmeister Otto Eickenscheidt, weiterhin keine Einigung erzielt werden kann. Nun will man ggf. die Pachtzahlungen einfach aussetzen. Sodann stimmt Gastredner Dr. Wartenhorst aus Lippstadt die Versammlungsteilnehmer kräftig auf die neue Ideologie ein. Interessant vor allem auch die vorgenommenen Verdrehungen der Geschichte. Dazu das Protokoll: „Das dolle Durcheinander und Gegeneinanderarbeiten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Syndikus und Arbeitersekretären. Deutschland, das Land der Bauern, wurde zum Industrieland. Daher seit 1882 ständiger Rückgang der Landwirtschaft. Durch die steigende Ausfuhr zogen wir uns den Neid anderer Staaten besonders Englands zu. Die Folge davon war der Weltkrieg. Im Kriege bauten andere Staaten, besonders auch Japan, ihre eigene Industrie auf, so dass nach dem Kriege die Ausfuhr fast völlig stockte, und nur mehr auf dem Rücken der Landwirtschaft notdürftig aufrecht erhalten wurde. Die Folge war eine Verelendung der Massen, die in der Industrie keine Beschäftigung mehr fanden. Darum, und auch um ein allmähliches Aussterben Deutschlands zu verhindern, will Adolf Hitler Deutschland wieder zum Agrarstaat machen. In den 4 Monaten der Regierung Hitler ist der ständige Aufbau der Landwirtschaft beendet, ist der Vollstreckungsschutz, das Entschuldungsgesetz und das Reichserbhofgesetz in Kraft getreten. Ferner sind die Festpreise für Getreide geschaffen. Darum muss jeder Bauer bei der Volksabstimmung mit ja und bei der Reichstagswahl für die NSDAP stimmen. – Der Bauernführer sprach dem Redner seinen und der Versammlung Dank aus.“
Die Versammlung klingt dann ganz profan aus: Wegen der großen Mäuseplage werden in einer Sammelbestellung Giftweizen und 5 „Legeflinten“ geordert.
Am 28.11.1933 werden alle Bauern zur Großkundgebung am 2.12. nach Hamm mit Reichsernährungsminister Darré eingeladen. Die Steine für den Verbindungsweg von Erdmann zur Straße nach Erwitte sollen in Kürze angefahren werden, für den Holzweg nach Weihnachten.
„Zweck Aufstellung der Erbhöferolle kommt das Anerbengericht nach hier“, heißt es im Protokoll vom 16. Christmond 1933. Vorher findet noch eine Informationsveranstaltung statt, und zwar am 27. Hartung 1934.
Im Januar 1934 wird dann noch über die Verpflichtung, alle nicht an Direktverbraucher verkauften Eier an eine zentrale Eiersammelstelle Lippstadt abzugeben, informiert. Pro Ei gibt es 0,2 Pfennig. Für Jungen aus der Stadt soll ein Landjahr eingerichtet werden; tagsüber sollen die Jungen in der Landwirtschaft arbeiten und in einem Lager untergebracht werden.
Am 15. Hornung 1934 fand die Versammlung des Bauernstandes wieder als Pflichtveranstaltung statt. Landwirtschaftsrat Ostendorf aus Lippstadt referierte über das Programm der Reichsregierung und den Bauernstand: „Der Redner sprach zunächst über die nordischen Völker, die als Siedlervölker immer schöpferische Aufbauarbeit geleistet haben, und als Pioniere der Kultur tätig waren. Im Gegensatz dazu schilderte er dann die Nomadenvölker wie Hunnen, Kirgisen, Mauren, Juden, die anfangs Hirtenvölker, später Raubvölker wurden. Gegen die letztgenannten Rassen wollen wir uns schützen, indem wir unsere Rasse und unser Blut rein erhalten. Da dieses aber nur in Verbindung mit dem Boden geschehen kann, sehen wir das Bemühen der Reichsregierung Deutschland wieder zum Agrarstaat zu machen. Zu diesem Zwecke ist auch das Reichserbhofrecht geschaffen. Dahin gehören auch eine großzügige Siedlungspolitik, die den nachgeborenen Bauernsöhnen den Erwerb einer eigenen Scholle ermöglichen soll. Der Redner sprach dann noch über den Anbau von Raps und Lein…“. Am 11.4.1934 werden Abzeichen für den Reichsnährstand verteilt; SA-Männer sollen sich im Ort erholen, es wird um Quartiere nachgesucht. Flachs sollte angebaut werden, aber kein Bauer hat Interesse.
Anfang Mai 1934 verfügt dann das Pachteinigungsamt in Lippstadt, dass an von Papen nur die Pacht in Höhe der Jahre 1912-13 gezahlt werden muss; Rentmeister Eickenscheidt hatte nur einen Nachlass um 10 Prozent zubilligen wollen. Die festgesetzte Pacht muss bis 25. Mai nebst Zinsen an die Renteikasse gezahlt werden. Hiergegen legt der Rentmeister allerdings Berufung vor dem Landgericht Paderborn ein. – 1000 Zentner Thomasmehl werden vom Kornhaus Erwitte bestellt. – Das Anfahren von Steinen für den Wirtschaftswegebau ist nun rechtlich geregelt. Eine Vergabe erfolgt in den nächsten Tagen. Für ein Kubikmeter Steine werden 0,80 RM gezahlt. – Für die „Mäusevertilgung“ sollen laut dem Protokoll vom 23.9.1934, durch das FAD Lipperode 30 Mann zum Zutreten der Mäuselöcher zur Verfügung gestellt werden. Dazu kommen von der Apotheke Erwitte bezogene Delizia-Giftkörner zum Einsatz. – Von der diesjährigen Getreideernte sollen 30 % des Roggens und 25 % des Weizens abgeliefert werden. Der Festpreis für Esskartoffeln beträgt 2,55 RM zuzüglich 14 Pfennig Zuschlag für die Kreiskartoffelstelle. – Für das Erntedankfest wird ein Festausschuss gebildet. „22 Uhr schloss der Ortsbauernführer mit einem dreifachen „Sieg Heil“ auf den Führer die Versammlung.“
Hier brechen dann die Protokolleinträge für die NS-Zeit ab. Es bleibt unklar, ob keine Versammlungen des Ortsbauernstandes mehr stattgefunden haben oder nur keine Protokolle mehr geschrieben wurden. Vermutlich ist ersteres der Fall, denn was sollte noch diskutiert werden in einem Führerstaat, in dem alles auf die Vorbereitung der Kriegswirtschaft hinauslief. Und während des Krieges war an Versammlungen sowieso kaum zu denken.
[1] Diese und die folgenden Angaben nach: Strotdrees, Gisbert, Reichserbhofgesetz zwang Bauern in die Grundherrschaft des Regimes; in: ders. Höfe, Bauern, Hungerjahre. Aus der Geschichte der westfälischen Landwirtschaft 1890-1950, Münster 1991, S.138-140
[2] Heimatbuch von 1987, S.219; interessant wäre es hier noch, die Namen mit den Gründungsmitgliedern von 1906 zu vergleichen und unter anderem festzustellen, welche Höfe 1906 sich an der Gründung nicht beteiligt haben bzw. welche Höfe nicht zu sog. Erbhöfen ernannt wurden.