Kurseelsorge in Bad Westernkotten
Von Walter Schütte
[aus der Festschrift zum 100jährigen Bestehen der kath. Pfarrgemeinde Bad Westernkotten, Bad Westernkotten 2002]
„Auf dieses herrliche Land ist mein Los gefallen“, so freut sich der Psalmist! So können auch die Einwohner von Westernkotten sprechen. Unsere Heimat ist gesegnet; klimatisch begünstigt, liegt sie in einer Landschaft von fruchtbarem Ackerboden, der mit vielen Flüsschen und Bächen durchflossen wird. Eine besondere Gabe: kostbare Sole quillt an manchen Stellen des Ortes aus dem Boden. Salzsole, für viele Menschen und Lebewesen lebensnotwendig, wurde in der Frühzeit kostbar wie Gold gehandelt. Salz brauchen wir Menschen nicht nur zum Würzen der Speise. Ein Bad in der Sole lindert viele Beschwerden des Leibes und der Seele und gibt dem ganzen Menschen wieder Wohlbefinden. Die Entwicklung des Solbades ist vielfach beschrieben worden. Die Kurseelsorge ist erst ein Kind der „Neuzeit“ und geht mit den negativen Lebensbedingungen des Menschen einher. In Zeiten, in denen der Mensch noch ganz in seiner Familie geborgen war, wo Glaube und Leben eine Einheit bildeten, dachte niemand an Kurseelsorge.
Die Anfänge der Kurseelsorge reichen zurück bis in das Jahr 1950 mit dem Bau des Mütterheims. Die Leiterin des Mütterheims sprach nicht von Kurseelsorge, als gläubige Frau sprach sie nicht viel über den Glauben, sondern teilte ihre tiefste Lebensüberzeugung mit, indem sie mit den Leidenden und kurenden Müttern mitempfand und sie mit zu den Gottesdiensten der Gemeinde nahm. Fußwallfahrten machte sie gern mit den Müttern nach Bökenförde. Sie sorgte sich, dass die Kur ein Erfolg wurde für Leib und Seele. Mit dem Ausbau und der Erweiterung der Kurmittelanwendungen kamen immer mehr Kurgäste, die anfangs in Privathäusern untergebracht waren. Immer mehr Familien stellten Schlafräume und Frühstückstische zur Verfügung. Auch in den sechziger Jahren dachte niemand an eine spezielle Kurseelsorge; denn für die meisten Christen war es eine Selbstverständlichkeit, den Sonntag zu heiligen und den Gottesdienst mitzufeiern an dem Ort und in der Gemeinde, in der sie weilten.
Das änderte sich erst in den siebziger Jahren, in denen der Kurbetrieb auch an den Sonntagen nicht mehr ruhte. Pfr. Gersmann lud die Kurgäste immer besonders ein, und die Pfarrnachrichten erhielten den Titel „Kirche und Kur.“ Er pflegte auch einen engen Kontakt zu den Kurdirektoren und legte ihnen die Sorge für das ganzheitliche Heil der kurenden Menschen ans Herz. Eine Gelegenheit, die Kurgäste anzusprechen, nutzte Pfr. Gersmann mit seinen Lichtbildvorträgen. Er erzählte von seinen Reisen und dem Leben der Pfarrgemeinde, erläuterte Sitten und Gebräuche und sprachen besonders gern über den Lobetag.
In seiner Zeit war die Entfremdung der Menschen von der Kirche noch nicht groß, so dass sie ohne Hemmungen ihn nach den Gottesdiensten ansprachen und persönliche Gesprächstermine mit ihm vereinbarten. In seiner Zeit wurde auch die Senioren- und Kurgastmesse eingerichtet.
1985 kam Diakon Hofmacher in die Gemeinde, um zusammen mit Pfr. Gersmann die bisherigen Formen der Kurseelsorge weiter zu pflegen und neue Angebote zu erproben.
Dazu gehören die Gesprächsangebote im „Haus des Gastes“ zu festen Zeiten. Diakon Hofmacher übernahm ebenfalls Diavorträge.
Im Jahr 1988 wurden unter dem Titel „Fünf nach Fünf“ (von 17:05 Uhr – 17:20 Uhr) an den Freitagen Kurzmeditationen gehalten. Da Diakon Hofmacher musisch sehr begabt war, fand er immer die passende Musik dazu, die er selbst und oft in Begleitung seiner Kinder aufführte.
Mit diesen Atempausen sollten die Besucher auf einen besinnlichen Abend eingestimmt werden.
Diakon Hofmacher blieb in der Gemeinde bis 1995.
Pfarrer Heinz Müller übernimmt bewährte Formen der Kurseelsorge und führt sie fort. Seit März 1996 wird auf seine Anregung hin das Informationsblatt „Auch das ist Kur“ in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirchengemeinde herausgegeben und an die Kliniken verteilt sowie in den Informationsständen ausgelegt. Die Schrift erscheint monatlich und lädt die Kurgäste ein zu Einzelgesprächen, Bibel- und Gesprächsnachmittagen, Kirchenführungen, Orgelkonzerten, Diavorträgen, zu den Gottesdiensten der Gemeinde und gibt darüber hinaus Meditations- und Gebetshilfen.
1997 wird Pfr. Walter Schütte, neben seiner Aufgabe als Aushilfe in der Pfarrgemeinde St. Nicolai, Lippstadt und dem Dekanat Lippstadt, vom Erzbischof mit der Kurseelsorge betraut. Er führt die begonnene Tradition weiter. Die Gesprächs- und Bibelabende werden zunächst im „Haus des Gastes“ abgehalten. Da die Gesundheitsreform die Zahl der Kurgäste mehr und mehr vermindert, wird aus Kostengründen das Haus des Gastes geschlossen und später verkauft.Vorübergehend werden die Abende in das Johanneshaus verlegt. Um mit der Kurseelsorge vor Ort präsent zu sein, gestattet die Kurverwaltung, die Abhaltung der Gesprächskreise im Werkraum dies Thermalbades durchzuführen. Sie werden auf den Mittwochnachmittag verlegt.
Nach Vermietung dieses Raumes werden sie in den Büchereiraum der Kurhalle verlegt. Ein fester Stamm von Teilnehmern ermöglicht den hinzukommenden Kurgästen ein schnelleres Einfinden in den Kreis und das Gespräch.
Durch die Gesundheitsreform ist der Kurbetrieb stark in Mitleidenschaft gezogen. Kuren in der früheren Form werden immer weniger bewilligt. Die Zahl der Kurgäste geht stark zurück. Die Mühlenwegklinik musste schließen. Die beiden anderen Kurkliniken erhalten den Status von Kliniken. Da die Verweildauer der Patienten im Akutkrankenhaus immer kürzer wird, werden die Kranken sehr bald in eine Reha-Klinik überführt. Der rechtliche Status wird vom Kurgast zum Patienten geändert.
Die Versicherungsträger legen großen Wert auf die Anschlussheilbehandlung der Patienten. Sie drängen darauf, die Patienten im möglichst kurzer Zeit wieder in das Erwerbsleben zu integrieren. Den Patienten in einer Anschlussheilbehandlung bleibt wegen der Vielzahl der Anwendungen und Termine kaum Zeit für sich selbst; Zeit, um Ruhe zu finden, um Krisen zu bewältigen. Zeit, um neuen Lebenssinn zu finden. Zeit, um sich mit dem Leben zu versöhnen.
Zur gleichen Zeit entdecken Psychologen die Religion.
Heilsamer Glaube
Lange Zeit wurde der Heilfaktor für die seelische und körperliche Gesundheit unterschätzt und übersehen. Fast widerstrebend und skeptisch nehmen sie zur Kenntnis, wie sich in einer wachsenden Zahl von Untersuchungen eine enge und positive Wechselwirkung zwischen Gläubigkeit/Religiosität und gesundheitlichem Status herausschält: Wer an einen gütigen Gott oder eine andere positive transzendente Kraft oder auch „nur“ an einen tieferen Sinn des Lebens glaubt,
- – bewältigt Lebenskrisen, Stress und psychosoziale Konflikte leichter: Glauben begünstigt effektive „Coping“-Strategien,
- – ist deshalb weniger anfällig für stressbedingte und psychosomatische Krankheiten: Glauben wirkt präventiv,
- – bringt, falls er dennoch einmal erkrankt, mehr Vertrauen auf den Heilungsprozess auf und fördert ihn so: Glauben begünstigt die Genesung,
- – konsumiert weniger Alkohol, Zigaretten und andere Drogen als Nicht-Gläubige und ist entsprechend weniger durch Sucht oder andere negative Folgen dieses Konsums gefährdet: Glauben beeinflusst den Lebensstil im Sinne von gesünderen Gewohnheiten
- – kann das Sterben leichter akzeptieren und erlebt die letzte Lebensphase weniger angstvoll und verzweifelt.
Die Zwischenbilanz der neueren Forschung über Religiosität und Gesundheit lässt sich so zusammen fassen: Die wohltuende Wirkung des Glaubens beruht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Kombination von sozialer Unterstützung, Lebenssinn, dem Gefühl, mit einer höheren Macht verbunden zu sein und stressreduzierende Gebets- und Meditationspraktiken. Ist die Psychologie damit an einem Wendepunkt angekommen?
Die Kurseelsorger auf Diözesanebene bedenken zur Zeit die neue Situation und fragen sich, wie sie mit dem möglichen Personal an Kurseelsorgern, die in der Regel die Kurseelsorge als zusätzlichen Aufgabenbereich übertragen bekommen haben, dieser neuen Herausforderung gerecht werden können.