[aus: Vertell mui watt 2007, Nr. 318]
Jägerlatein? – Hasenjagd in Westernkotten
Dass Menschen vor allen Dingen nach gelungener Tat zu Übertreibungen, Erfindungsreichtum und Ausschmückungen beim Erzählen neigen, ist allgemein bekannt. Angeblich sollen das Angler und Jäger ganz besonders gut können.
Dass aber auf den ersten Blick unglaubliche Geschichten durchaus passiert sein können, dafür kann die folgende Erzählung des Lippstädter Heimatdichters Franz Kesting, gekonnt in Gedichtform präsentiert, ein Beispiel sein. Zugetragen hat sich das Ganze im Jahre 1928 im Erwitter Bruch, dem bis heute noch durch Kopfweiden und Feuchtwiesen geprägten Landschaftsraum zwischen Erwitte und Bad Westernkotten. Abgedruckt wurde das Gedicht unter dem Titel „Zwischen Lipp‘ und Kelchesrand – Schwebt eine unsichtbare Hand“ am 6. Januar 1928 im „Patriot“, mir freundlicher Weise durch Herrn Adolf Linnemann, Spielplatzstraße, zur Verfügung gestellt.
Wolfgang Marcus
„Zwischen Lipp‘ und Kelchesrand
Schwebt eine unsichtbare Hand“
(Eine wahre Hasengeschichte)
Im Dorfe Westernkotten war es,
am dritten Tag des neuen Jahres,
des neuen Jahres achtundzwanzig,
als noch der Pole saß in Danzig.
Die Sonne schien auf Feld und Hag,
es war ein schöner Wintertag.
Ein Tag, so recht zum Kesseljagen,
da hört man siebzig Hasen klagen:
„O wei, o wei, jetzt muss ich sterben,
und wollt just mein Geschlecht vererben!“
Auch mir kam so ein Klutenfritze,
sturmgeschwind vorbei zu flitzen,
da löst sich meine Doppelflinte,
und Rammelmeiern traf es hinten,
allein, noch mit der letzten Macht
hat er sich hoppelnd fortgemacht.
Und zwar ins nächste Jagdgebiet,
wo Bäume man und Hecken sieht.
Da kam von Erwitte ein Mann
und sah sich die Geschichte an.
Er musst von Westernkotten sein,
denn er schlug diese Richtung ein.
Er konnte es nicht mitanseh’n,
dass so ein Tier sollt‘ untergehn.
Und wer es weiß, es nie vergisst,
dass Hasenfleisch genießbar ist,
so folgte er mit hoher Nase
der Hasenspur im halben Grase. –
„Tati-tata!“ ‚s ward abgeblasen,
und ich gedachte meines Hasen.
Und mit dem „Roland von der Haar“,
der wirklich fährtensicher war,
ging’s hoppel, hoppel, querfeldein
im mittaglichen Sonnenschein.
Und siehe da, der Wandersmann,
zog wieder friedlich seine Bahn,
nachdem er vorher längre Zeit
geglänzet durch Abwesenheit.
Ich bat, er möge mir doch sagen,
wohin die Flucht den Has‘ getragen.
„O Herr, der lief wohl weit genug!
Ich sah ihn hinten noch im Bruch.“-
„Hm, hm, das ist ja wenig schön!“ –
„Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn.“ –
„Ja, Roland, sieh, gar mancher Krummer
macht noch im Tode Müh und Kummer.,
allein wir wollen dennoch heut
vollzieh’n, was Weidmannspflicht gebeut.“
Und Roland ging getreu der Pflicht,
doch weit zu laufen braucht er nicht.
In einem „Poll“ im nächsten Kampe
lag schon der arme Meister Lampe.
Und als der Hund ihn apportiert,
war er im Leichentuch verschnürt,
es zog der gute Wandersmann
zuvor ein Leichenhemdchen an.
Man sieht, auch noch zur heut’gen Zeit
gibt’s Leute mit Barmherzigkeit,
die aus der Schrift gelernet haben:
„Du sollst die Toten fromm begraben,
wie einstens es Tobias machte,
als er sie still nach Hause brachte.“ –
Ich hielt den Hasen hoch und rief,
jedoch der Wandrer lief und lief,
jedweden Dank lehnt er kurz ab,
und setzt sich schneller noch in Trab.
Das Leichenhemd war ziemlich feucht,
ob es mit Tränen eingeweicht?
Ob noch vielleicht der arme Krüppel
im Tod verloren einige Drüppel?
Ich wusst‘ es nicht und auch der Hund
tat niesend sein Erstaunen kund.
Und abends dann beim Schüsseltreiben
musst man das Protokoll noch schreiben,
für mich allein ins Buch man trug:
„Fünf Hasen und ein Leichentuch!“