Vuits Oime
Aus dem Nachlass von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten
[aus: Vertell mui watt 1998, Nr. 65]
Die Alten haben den immer freundlichen Vuits Oime gut gekannt. Wenn er des Morgens aus der Kirche kam – er war von kindlicher Frömmigkeit und ging täglich hinein – erwartete er mich schon mit seiner Schnupftabaksdose. „Här Läher, niemet se ois en Snuiweken, dann wiärt soi biätter mit de Blagen ferrig.“ Ich tat ihm den Gefallen, wenn sich auch meine Nase nicht daran gewöhnen wollte und zuweilen rebellisch antwortete. Vuits Oime wußte immer, wo jemand krank lag und den Arzt dagehabt hatte. Freundlich fragte er dort, ob von der Apotheke etwas zu besorgen sei. Dies und andere kleine Dienstleistungen, Besorgungen in Erwitte und Lippstadt, wohin er täglich ging, waren ihm eine Selbstverständlichkeit. In einem Deckelkorbe brachte er dann, sorgfältig verpackt, Medizinflaschen und Salbentöpfe, Pillen und Pulver mit und erhielt neben einem Dankeswort auch ein paar Pfennige oder ein Ei. Aber einmal hat er eine ganze Menge leerer Fläschelchen mitgenommen. An jedem stand der Name des Eigentümers. Diesmal ging es nicht zur Apotheke, er reiste nach Lourdes, , zur Gnadenquelle in Frankreich. Gar nicht müde wurde er später vom vielen Erzählen, wochenlang nicht. – Früher war Vuits Oime an der Eisenbahn in Lippstadt beschäftigt gewesen und hatte dann schon den „Häogen Härens“ kleine Gefälligkeiten erwiesen, was er beibehielt, als er „pensionoiert“ war. Er besorgte ihnen aus Westernkotten frische Eier, junge Hähnchen, Würste und Honig. Bei den hohen Herren mußte es sich wohl herumgesprochen haben, womit man ihm eine besondere Freude machen konnte. Und so schenkten sie ihm zum Namenstage, zum Geburtstag, zu Weihnachten eine hübsche Pfeife oder auch schon mal einen Spazierstock. Im Laufe der Jahre gab es viele solcher Gelegenheiten, zumal er manche hohen Herren zu betreuen hatte. Vielleicht hat er sich auch noch Pfeifen und Stöcke, die ihm besonders gut gefielen, hinzugekauft. Aber geraucht hat er nie, solange ich ihn gekannt habe, und immer trug er seinen alten „Dagstock“. Alle Pfeifen und Spazierstöcke verwahrte er in seiner Kammer. Die war sein Heiligtum, in das er niemand ließ, selbst seine nächsten Verwandten nicht. Ich darf wohl sagen, daß ich es besonders gut mit ihm konnte, und ich habe ihn daher öfters gebeten, mir doch mal seine Sammlung zu zeigen. Zu meiner beharrlichen Bitte sagte er endlich: „Ja, Här Lähr, wan’t moal säu pässet.“ Aber es paßte sich nie.
Eines Tages jedoch liefen alle Jungen des Dorfes mit wunderbaren, teils kostbaren Mutzpfeifen herum. Als ich fragte, wie sie dazu kämen, hörte ich, Vuits Oime wäre tot, der hätte viele Pfeifen gehabt. Die Verwandten hatten sie ihnen geschenkt. Was sollten sie auch mit den vielen Dingern machen? Es sollen etwa 200 gewesen sein. Manche Jungen hatten zwei bis drei mitbekommen. Wo die Spazierstöcke geblieben sind, weiß ich nicht Auch diese werden Liebhaber gefunden haben. Zahlreiche Pfeifen waren sogenannte Türkenpfeifen, feingeschnitzt, aus kostbarem Holz. Der Pfeifenkopf hatte die Form eines Turkoskopfes. Dem Turkos saßen schwarze Glasaugen im Gesichte, und er trug ein verwegenes Knebelbärtchen. Viele von diesen hatten einen Holzdeckel, der ein Turkoskäppi mit langem Mützenschirm war. Wenn man bei ganz geschlossenem Deckel in die Mutzpfeife blies – was man für gewöhnlich nicht tut – kam dem Turkos ein langer Dampfstrahl aus der Nase.
Was Vuits Oime in dreißig bis vierzig Jahren gesammelt, liebevoll gehebt und aufbewahrt hatte, kam in einer Stunde unter die Kinder und wurde in wenigen Wochen beiseite geworfen, weil niemand mehr ein Interesse daran zeigte, die Kinder nicht und auch nicht die Erwachsenen. Mutzpfeifen waren damals aus der Mode gekommen.