In einer künstlerischen Darstellung von Walther Tecklenborg
Von Wolfgang Marcus
In: Jahrbuch 2021, S.118-122
Dieses Heiligenhäuschen mit den umstehenden Linden malte der Mönch Walter Tecklenborg 1924. Eine Abbildung des von ihm angelegten Aquarells findet sich im oben genannten Jahrbuch.
Von Maria Brüggemeier-Walf bekam ich im Jahr 2018 ein Bild, das aus dem Nachlass ihres Vaters Heinz Brüggemeier, Alter Postweg, stammt. Wie es dorthin kam, ist unklar. Heinz Brüggemeier war aber lange Zeit im Kirchenvorstand, von 1979 bis 1991 sogar stellvertretender Vorsitzender. Von daher hatte er eine intensive Bindung zur Kirchengemeinde, aus deren Zusammenhang das Bild anscheinend stammt.
Entstehung, Künstler
Unten rechts ist das Bild signiert. Dort ist zu lesen: Westernkotten, 17.6.1924. P. Walther Tecklenborg, O.F.M. Das Bild stammt also von dem Franziskaner-Pater (OFM = Ordo Fratres Minores = Orden der Minderbrüder/Franziskaner) Walther Tecklenborg. Diese Daten vermitteln etwas Dokumentarisches und der akzentuierte Namenszug zeugt von einem veritablen Selbstbewusstsein des Künstler-Paters Tecklenborg.
Wer war dieser Pater Tecklenborg und wie kam er nach Westernkotten?
In den 1920er Jahren kamen immer wieder Franziskaner-Patres aus dem Kloster in Rietberg, um an der Lobetagsprozession teilzunehmen und die Westernkötter durch gute Predigten mit der Botschaft des Lobetages von der unendlichen Liebe Gottes zu bereichern. Als der Westernkötter Pfarrer Ronnewinkel 1923/24 ernsthaft erkrankte (er starb bereits am 21.1.1925), übernahmen sie sogar fast komplett die Seelsorge.
Zu diesen Franziskanern gehörte auch Walther Tecklenborg. Da er das Gemälde am 17.6.1924, also kurz vor dem Lobetag am ersten Sonntag im Juli, gefertigt hat, ist anzunehmen, dass er sich zwei Wochen vor dem Lobetag den Prozessionsweg und die Stationen angeschaut hat und dabei die Josefslinde als markantes Motiv erkannt hat.
Pater Tecklenborg (1876-1965) gehörte dem Franziskaner-Konvent in Rietberg von 1918 an bis zu seinem Tod an. Die Nordwand dort im ehemaligen Refektorium schmückt eine 1930 entstandene Abendmahlsdarstellung von ihm. [https://heimatverein-rietberg.de/geschichte/franziskanerkloster; Zugriff: 12.8.2019] Darüber hinaus hat er mehrere kunstgeschichtliche Bücher geschrieben.
Wahrscheinlich stammte Walther Tecklenborg aus der angesehenen Wiedenbrücker Familie Tecklenborg, die spätestens dort seit 1630 nachzuweisen ist. [Vgl.: Universitäts- und Landesbibliothek Münster (Hg.), Zum 300 jährigen Geschäftsjubiläum der Familie Tecklenborg in Wiedenbrück, Wiedenbrück 1930]
Bildinhalt – Vergleich mit der heutigen Situation
Das Bild zeigt eindeutig das Heiligenhäuschen am Wirtschaftsweg „Zur Josefslinde“ südlich der Ortslage von Bad Westernkotten aus dem Jahre 1699. In der Mitte das Heiligenhäuschen, zu dem drei Stufen hinaufführen. Heute findet man in der Örtlichkeit nur eine Stufe. Wahrscheinlich lag die Straße Zur Josefslinde 1924 noch tiefer, damals war dieser Feldweg noch nicht asphaltiert.
Die Inschrift in der Mitte des Unterbaus des Heiligenhäuschens ist nur angedeutet, ebenfalls der Blumenschmuck in der Nische. Wahrscheinlich war die Inschrift auch 1924 – wie heute – nicht mehr vollständig zu entziffern.
Links und rechts stehen mächtige alte Linden, die mit ihren Wurzeln Heiligenhäuschen und Treppenaufgang fest umschließen. Heute befindet sich nur eine alte Linde rechts. Durchaus denkbar, dass die Linde links später abgestorben oder umgestürzt ist. Die Linden wurden nach dem Überstehen der Pest, die 1635 in Westernkotten wütete, in allen vier Himmelsrichtungen um den Ort gepflanzt und dienten als „Station“ bei der alljährlichen Dankprozession zum „Lobetag“. Später kamen Gedenkstätten für besonders verehrte Heilige, hier ein Heiligenhäuschen zu Ehren des Heiligen Josef, hinzu.
Links im mittleren Bereich ist etwas Wald – auch heute noch im Bereich des ehemaligen Pestfriedhofs vorhanden – angedeutet, rechts schlängelt sich der auch heute noch erhaltene Weg langsam Richtung Haarstrang.
Pater Tecklenborg hat sich also sehr stark an der Realität orientiert; dies spricht dafür, dass er das Bild komplett in der Örtlichkeit gemalt hat.
Ein schöner Vergleich ergibt sich bei Betrachtung des Bildes, dass Hermann Spitzer, der einige Jahre in Bad Westernkotten lebte, im Jahr 1996 geschaffen hat. Hier steht nur noch eine Linde, die durch Blitz und Feuer weithin ausgehöhlt ist und durch ein „Gesicht im Stamm“ künstlerisch „gestaltet“ wurde. [vgl. die Abbildung]
Maltechnik, Stil
Meine ehemaligen Kunst-Kolleginnen und Kollegen Petra Herms und Gerald Klemm kommen zu folgender Einschätzung:
Pater Tecklenborg hat das Bild draußen, also direkt vor dem Heiligenhäuschen, gemalt. Wahrscheinlich hat er gesessen, denn die Bildgestaltung geschieht auf Augenhöhe mit dem mittleren Teil des Heiligenhäuschens. Die schnell hingeworfene (24 x 32 cm) Skizze wurde auf grünem Zeichenkarton gemalt.
Der Pater hat sich die dunkelgrüne Farbe des Untergrundes zu Nutze gemacht und hat darauf – und zwar im Zentrum des Blattformates – mit Zeichenkohle von leichter Hand die Umrisse der eindrucksvollen, alten Bäume und des Heiligenhäuschens skizziert, um dann schließlich mit dem Pinsel (vermutlich mit Gouachefarbe, oder vielleicht mit Temperafarben) Helligkeiten und Dunkelheiten und ein paar erste Tupfer Grün einzutragen.
So entsteht aus der Vorzeichnung eine bewegte und lebendige malerische Version des von zwei knorrigen, alten Linden bewachten Heiligenhäuschens, die aber skizzenhaft / unfertig bleibt und durch welche die Linien der Vorzeichnung noch hindurchschimmern. Es kommt dem Künstler nicht auf absolute Exaktheit an, sondern es geht um den visuellen Eindruck, den Gesamteindruck. Es geht um Idylle, um Unmittelbarkeit in Gottes guter Schöpfung.
Es erinnert sehr an die Arbeitsweise der Impressionisten (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts), die ihre Bilder auf genau diese Weise anlegen. Die Pinselstriche sind eher grob, kurz und gebogen, denn sie vollziehen das aus vielen kleinen Blattformen bestehende, bewegte, in verschiedenen Grüntönen schillernde Blattwerk nach. Für einen impressionistischen Maler wäre es ebenfalls kein Problem, wenn das namensgebende Hauptmotiv des Bildes zum Teil von anderen Bildgegenständen (Bäume, Blattwerk, Baumwurzeln) verdeckt wäre.
Aussage
Ich denke, es ging um das Festhalten eines besonderen Ortes, eines Andachtsortes, der inmitten dieser alten Bäume, eben durch das hohe Alter der zwei Baumveteranen etwas von der Ewigkeit und Gottes Güte spürbar machen soll, mit der ein andächtig Betender an dieser Stelle oder auch beim Betrachten des davon entstandenen Andachtsbildes in Berührung kommen kann.
Die knorrigen Linden sind fest verwurzelt in der westfälischen Landschaft. Die lockeren Pinselstriche vermitteln eine gewisse Beschwingtheit und die Schönheit und Üppigkeit der Natur, die als Gottes Schöpfung betrachtet wird. Die Treppe ist Lebensweg zum Heiligen, das mit dem in Blau gestalteten Kranz über der Nische und den Blumen besonders akzentuiert wird.
Würdigung
Das kleine Kunstwerk ist fast 100 Jahre alt. Es sagt viel über die Frömmigkeit des Künstlers und seine Verwurzelung im Glauben aus. Und es lädt auch den heutigen Betrachter ein, nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Herzen zu sehen und so – trotz allen Leids, wie etwa durch die Pest hervorgerufen – die tiefe Geborgenheit in Gottes guter Schöpfung zu erfahren. – Die kleine Malerei sollte einen angemessenen Platz in Bad Westernkotten finden.
Anmerkung: Ein spannendes Buch über Pater Tecklenborg ist im Jahr 2024 erschienen.Hier die Seite in dem Buch, Bad Westernkotten betreffend: