1986: Der „Fall” der ersten Dampfmaschine in Lippstadt

Dampfmaschinengenehmigung um 1850

Von Wolfgang Maron (Lippstadt)

Erstabdruck: Lippstädter Heimatblätter 1986, S. 151ff.

Vorbemerkungen: Dieser Aufsatz beschäftigt sich vor allem mit Lippstadt. Bezogen auf Bad Westernkotten ist die Erwähnung wichtig, dass die erste Dampfmaschine im Kreis Soest in Westernkotten stand. Hier der entsprechende Textauszug aus dem Beitrag von Dr. Maron. Die Hervorhebung stammt von mir. [WM]

Die Entwicklung und Verbreitung von Dampfmaschinen gehörte zu den wichtigsten technischen Voraussetzungen für die Industrialisierung. Zwar geht man heute nicht mehr so weit, die Erfindung der Dampfmaschine als Beginn des Industriezeitalters anzusetzen, da die Nutzung der Dampfkraft wie alle technischen Neuerungen nur ein Aspekt des umfassenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesses war, in dessen Verlauf seit dem 19. Jahrhundert die Grundlagen der modernen Industriegesellschaft entstanden. Gerade für die Anfangszeit der Industrialisierung bleibt der Einsatz von Dampfmaschinen jedoch ein wichtiger Gradmesser für den wirtschaftlichen Entwicklungsstand einer Region oder eines Ortes.

I.

Nur langsam begannen die deutschen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den wirtschaftlichen Rückstand gegenüber dem „Mutterland der Industrie” England aufzuholen. Während sich in England nach den grundlegenden Erfindungen von Thomas Newcomen und James Watt die Dampfkraft bereits im Verlauf des 18. Jahrhunderts als allgemeine Betriebsenergie durchgesetzt hatte, liefen etwa im gesamten Königreich Preußen im Jahre 1837 erst 423 Maschinen mit zusammen 7.513 PS. Erst in den vierziger Jahren kam es hier zu einer leichten Beschleunigung, als die Zahl der Maschinen bis 1.849 auf 1.964 zunahm, während ihre Leistung im gleichen Zeitraum auf 67.148 PS anstieg.! Obwohl die Leistung damit fast doppelt so schnell wuchs wie der Maschinenbestand, blieb die durchschnittliche Stärke der einzelnen Maschinen nach heutigen Vorstellungen gering: mit rund 34 PS entsprach sie in etwa der Kraft eines Kleinwagens.

Dabei gab es zwischen den einzelnen Wirtschafszweigen allerdings erhebliche Unterschiede. So wiesen — jeweils bezogen auf Preußen 1849 — die Maschinen in der Schifffahrt durchschnittlich 103,5 PS, bei der Eisenbahn 48,2 PS und im Bergbau immerhin noch 41,25 PS auf. Dagegen besaßen die Maschinen in Maschinen- und Metallfabriken im Durchschnitt nur 23,4 PS, in Textilfabriken 13,5 PS, in Mühlen 10,9 PS und in allen übrigen Wirtschaftszweigen sogar nur 9,2 PS.

Auch regional zeigten sich starke Differenzen. Geht man von den Angaben des Jahres 1843 aus, so liefen 36,3 Prozent aller preußischen Dampfmaschinen mit 45,5 Prozent der Leistung in der Rheinprovinz. Auf die Provinz Westfalen entfiel dagegen nur ein Maschinenanteil von 6,5 Prozent (71 Maschinen) mit einem Leistungsanteil von 5 Prozent (1.371 PS). Innerhalb Westfalens besaß der Regierungsbezirk Arnsberg, zu dem Lippstadt seit 1816 gehörte, mit allein 56 Maschinen einen deutlichen Vorsprung. Davon gehörten jedoch 43 Maschinen zu den Bereichen Bergbau und Hüttenwesen, während nur 13 Dampfmaschinen im gesamten Regierungsbezirk in anderen Wirtschaftszweigen vorhanden waren.

II.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die zögernde Verbreitung der neuen Antriebskraft am Kreis Lippstadt zunächst weitgehend vorbeiging.

Die erste Dampfmaschine wurde hier im Jahre 1836 in Westernkotten aufgestellt. Sie leistete 2,5 PS und diente zum Betrieb der dortigen Saline. [1]

In allen übrigen Orten des Kreises gab es dagegen bis zum Ende der vierziger Jahre noch keine Versuche, die Dampfkraft wirtschaftlich zu nutzen. Auch die Kreisstadt selbst machte darin keine Ausnahme.

Lippstadt war mit seinen 4 845 Einwohnern im Jahre 1849 gegenüber dem Beginn des Jahrhunderts zwar gewachsen, doch trug die Wirtschaftsstruktur der Stadt weiterhin die traditionellen Züge und war in erster Linie von der Landwirtschaft geprägt. 4 Nach 1815 nahm infolge der Schiffbarmachung der Lippe und nach dem Bau der ersten Chausseen die Bedeutung Lippstadts als Handelsort zu. Grundlegende Impulse für die gewerbliche…“


[1] Vgl. Staatsarchiv Münster, Regierung Arnsberg I GA Nr. 21; Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preußischen Staat für das Jahr 1849, Band 6a, Berlin 1855, S.716