Von Georg Pollkläsener, Riege über Paderborn
Aus: Rheinisch-Westfälischer Imkerverband (Hrsg.), 1849-1949, Festschrift zur Ausstellung 100 Jahre Bienenzucht, Lippstadt, Laumanns, 1949
Westfalens ausgedehnte Heideflächen in der Senne und im Münsterlande ermöglichten von jeher eine umfangreiche Bienenzucht. Da die Erträge der Landwirtschaft auf dem mageren Sandboden meist gering waren, mussten die Bewohner nach Nebenbeschäftigung suchen. Jahrzehnte brachte die Spinnerei erhebliche Einnahmen. Als vor etwa 100 Jahren die Maschinenspinnerei die Heimarbeit verdrängte, hielt Frau Sorge ihren Einzug in manches Heidehaus. Als einziger Nebenerwerb blieb die Imkerei. Fast zu jedem Gehöft gehörte ein Bienenstand. Wenn Buchweizen und Heide ihre Blütenkelche öffneten, dann rollten zur Nachtzeit die Wagen der Wanderimker in die Heidegebiete.
Ungeahnte Hilfe erwuchs den darbenden Heidebauern durch die Anwendung künstlicher Düngemittel, die mit den Forschungen Liebigs zur Anwendung kamen. Die Erträge der Äcker stiegen zusehends. Die jetzt einsetzende starke Kultivierung brachte neue Ackerflächen. Die Not wich allmählich, zumal bei dem wirtschaftlichen Aufschwung viele Bewohner aus der Senne, dem Münsterlande und dem Sauerlande in der Industrie lohnende Beschäftigung fanden.
In dieser Zeit setzte ein merklicher Rückgang in der Bienenzucht ein. Um die Jahrhundertwende standen die meisten Bienenhütten auf den Bauernhöfen verwaist.
Nicht nur allein in den Heidegebieten blühte vor 100 Jahren die Imkerei, auch auf den schweren Böden war die Bienenzucht lohnend. Raps, Hederich und Ackersenf, stellenweise auch Esparsette sicherten eine frühzeitige Entwicklung der Völker und in den meisten Jahren auch eine gute Honigernte. Im Spätsommer wanderten viele Imker aus der Börde in die Heide.
Wenn vor 100 Jahren zahlenmäßig mehr Bienenvölker vorhanden waren als in späterer Zeit, so blieben die Erträge weit hinter den heutigen zurück. Das hatte seine Ursache darin, dass, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Betriebsweisen zu primitiv und die Erkenntnisse zu gering waren.
Um hier Abhilfe zu schaffen, riefen Rentmeister Erdmann aus Westernkotten und Lehrer Feldhege aus Benninghausen am 5. Juli 1849 westfälische Imker in Westernkotten bei Lippstadt zusammen. Hier gründeten sie auf dem Boden der Roten Erde den Verein für Bienenzucht und Seidenbau. Vor der Gründungsversammlung brachte die Zeitung „Der Patriot“ am 1. August 1849 diese Veröffentlichung:
„Die wahren Demokraten
Wer im verflossenen Jahre und auch noch im gegenwärtigen die Bemühungen zahlreicher volksfreundlich gesinnter Männer beachtet hat, der musste, wenn sein Herz ebenfalls für das Wohl der ärmeren Volksklasse nicht ohne Mitgefühl war, mit Wonne in die Gegenwart blicken. Schien es doch, als wenn nun endlich mit wahrem Bruder-Sinn der Höhere des Niedrigeren Schutzherr werden wollte, als ob Jeder, der Kraft und Mittel besäße, sie anwenden wollte zum Heil des Nächsten. — Wem sollte bei solchen Erscheinungen nicht das Herz in freudiger Bewegung höherschlagen?
Allein viele Menschen blieben bei solchen Bestrebungen dennoch „theilnamslos; sie waren misstrauisch; sie glaubten; es wäre nicht ehrlich gemeint. Mancher sagte, diese Leute suchten nicht das Wohl des Volkes, sondern das eigene, und nannten sie — mit welchem Recht, wird der Leser wissen — Wühler. — Gottlob! sagt Mancher, die Zeit hat sich ein wenig geändert!
Nun hat sich in Westernkotten im Kreise Lippstadt am 22. Juli d. J. ein neuer demokratischer Club aufgethan. Der geneigte Leser wolle mir erlauben, ihm von demselben zu erzählen; nachher mag er ihn ein wenig genauer ansehen und — wenn er ihm gefällt — sich bei dem unterzeichneten Vorsteher zur Aufnahme melden, oder — was noch lieber gesehen wird — in seinem Orte einen besondern Club gründen und ihn als Teil zum Ganzen gesellen.
Am 5. Juli d. J. traten in Westernkotten 7 Volksfreunde zusammen, deren Namen hier genannt zu werden verdienen. Es waren die Herren Secretair Frempleaur zu Erwitte, Lehrer Stork und Oekonom Eickelbusch zu Bokumförde[1], Franz Hense, Franz Köhne, Fritz Erdmann und Rentmeister Erdmann zu Westernkotten. Diese Volksfreunde wünschten, dem armen Manne zur Vermehrung seiner Einnahme behülflich zu sein. Sie wollten ihn aber keinen anderen Weg führen, als den, der im 1. Buche Moses, Kap. 3, Vers 19‚von dem Urheber aller Dinge mit den Worten vorgezeichnet ist: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen.“ — Sie wollten ihm Mittel an die Hand geben, sein Brod auf diesem Wege zu vervielfältigen, und erkannten mit Recht als ein solches „die Bienenzucht“. Sie wollten im Verein für Verbreitung und Verbesserung der Bienenzucht wirken.
Die Mittel, die der Verein zur Verwirklichung seines Vorhabens anwenden. wollte, sollten sein:
- Zusammenkünfte, in welchen über die besten und neuesten einschlägigen Schriften über die sonstigen erheblichsten hierauf bezüglichen Gegenstände mündlich Erörterungen geführt werden sollten.
- Das Durchlesen der besten Bienenbücher.
- Die Gründung eines Bienenblattes.
- Einführung der Dzierzon’schen Methode der Bienenzucht.
- Eine jährliche gemeinschaftliche Besichtigung eines nach Dzierzonscher Methode angelegten Bienenstandes.
- Errichtung von Filialvereinen für einzelne oder mehrere Gemeinden.
Zur Constituirung des Vereins waren alle Bienenzüchter und Bienenfreunde des Kreises Lippstadt und des Amtes Oestinghausen eingeladen.
Der Unterzeichnete trug den zahlreich Versammelten den Wunsch vor, die Seidenzucht mit in die Wirksamkeit des Vereins zu ziehen; was genehmigt wurde, nachdem der Unterzeichnete dargethan hatte, dass die Seidenzucht noch mehr, als die Bienenzucht, dazu geeignet wäre, die Börse des armen Mannes zu füllen. Die vorgelegte, fertige, in Benninghausen gezogene, schöne Seide erregte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, und meine diesjährige Seiden-Production, gegen 3 Scheffel Kokons, erschien als eine erhebliche. Man pflichtete bei, dass für Anpflanzung von Maulbeerbäumen gesorgt werden müsste, damit nach 12 – 15 Jahren unsere Tagelöhner sowohl, wie manche in der Nähe von Berlin, jährlich ihre baaren 40—60 Thaler für verkaufte Kokons in der Provinzial-Seidenhaspelanstalt einstreichen könnten. Zufolge dieser Erwägungen constituirte sich der Verein unter dem Namen
„Verein für Bienenzucht und Seidenbau.“
Aus Obigem geht hervor, dass das bei der Bildung des Vereins vorgelegte und angenommene Statut sich nur auf den Bienenverein bezieht, dasselbe mithin nach dem angenommenen Namen des Vereins abgeändert werden muss. Sobald dies geschehen und dasselbe in der auf den 19. September d. J. in Benninghausen anberaumten Generalversammlung die Genehmigung des Vereins erhalten, soll dasselbe veröffentlicht werden.
Namens des Vereins ergeht nun mein Aufruf an alle wahren Volksfreunde, dem Vereine beizutreten. Wer gern für das Volkswohl thätig sein will, trete bei und suche in seinem Orte durch Bildung eines Filialvereins zur Ausbreitung des Vereins beizutragen.
Der jährliche Vereinsbeitrag für jedes Mitglied ist auf 5 Sgr. gestellt, also so niedrig, dass ihn Jeder zahlen kann, und erhält das Mitglied dafür noch das Monatsblatt für Bienenzucht und Seidenbau.
Benninghausen, den 27. Juli 1849.
Der Vorsteher des Vereins für Bienenzucht und Seidenbau
Feldhege
Es bildeten sich recht bald Zweigvereine in Westfalen und auch im Rheinland, so dass die zweite Generalversammlung in Benninghausen die Änderung des Namens in „Westfälisch-Rheinischer Verein für Bienenzucht und Seidenbau“ beschloss. Die Vereinszeitung erschien zunächst monatlich, nach einiger Zeit alle zwei Monate. Schon nach einem Jahr zählte der neue Verein 500 Mitglieder. – Im Herbst 1850 musste Lehrer Feldhege den Vorsitz wegen Arbeitsüberlastung niederlegen…[2]
[1] Einige Namen sind im Original nicht ganz richtig ausgeschrieben. Auch ist die Rechtschreibung seit der damaligen Zeit in kleineren Teilen verändert worden. W. Marcus
[2] Der Aufsatz endet hier nicht, nimmt aber bis Seite 30 die für den hiesigen Raum nicht so wichtige Geschichte in den Blick. Anschließend folgt ein kleiner Aufsatz von Hans Bünker zu Lippstadt, danach sind zahlreiche Geschäftsanzeigen von Imkerfirmen usw. zu finden. Auch einige Fotos in den Beitrag sind informativ; die auf den hiesigen Raum bezogenen Personen werden in dieser Textwiedergabe abgedruckt.