Bd. 14 einer Reihe in der Tageszeitung „Der Patriot“
Verfasser: Franz Predeek
[Geboren am 17. März 1881 in Meinerzhagen bei Altena als Sohn eines Amtsrichters. Besuch der Volksschule und der Realgymnasien in Bocholt und Münster. Von 1901 bis 1903 Studium der Fächer Deutsch, Kunstgeschichte und Erdkunde an der Akademie Münster. 1903/1904 einjähriges Studium der Romanistik in Paris und Grenoble. Bis 1907 Fortsetzung des Studiums in Münster. 1908 Staatsexamen für den höheren Schuldienst. Einjährige Militärzeit. 1909 Eintritt in den Schuldienst. 1911 wurde er Leutnant der Reserve und nahm als Reserveoffizier am Ersten Weltkrieg teil. Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz. Er war Lehrer an den Gymnasien in Münster, Coesfeld und Krefeld, an Oberrealschulen in Herne und Münster, am Realgymnasium in Hagen, am Gymnasium in Arnsberg, ab 1932 am Realgymnasium Paderborn und zuletzt am Ostendorf-Gymnasium und der Marienschule in Lippstadt, wo er von 1943 bis 1964 lebte. Eine stattliche Anzahl von Reisen führte ihn in zahlreiche Länder: nach Italien, in die Schweiz, in die Niederlande, nach Frankreich und Österreich. (Rost 1990) Er verfasste rund 2.000 Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, besonders für Organe der Sauerländischen Heimatbewegung. Aus seiner Feder stammen Gedichte, Novellen, Kriegserzählungen, Kunstkritiken, Charakterstudien, Musikbesprechungen, Baubetrachtungen – vor allem aber eine Reihe Heimat- und Wanderbücher über das Sauerland. Er starb 1964 in Lippstadt. Zitiert nach: lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de ]
Erscheinungsdatum: 25.5.1957
Kaum hat die kleine, wackere Lok der Westfälischen Landes-Eisenbahn den Wanderer an der Haltestelle Westernkotten abgesetzt, trollt sie auch schon hurtig weiter, Erwitte und Anröchte zu und dem blau schleierzarten Zuge des Haarstranges den sie in der kühnen Uelder Schleife wie im Kinderspiele stets frohgemut überwindet. Der Wanderer aber marschiert an der Hand seines treuen Eichmannes ostwärts den beiden Gradierwerken zu, die sich nördlich des Dorfes Westernkotten mit ihrer grauweiß schimmernden Masse wuchtig in den Grund ducken.
Rings breitet sich ein Gürtel von grünem Saatland und taufrischen Wiesenstreifen, durch den, wie mit dem Pinsel gemalt, ein goldgelber Rapsacker sich leuchtend hin durchzieht. Eine leichte Bodenschwelle verdeckt dem nordwärts spähenden Blicke die reizvolle Silhouette der Lippstädter Kirchtürme; eine zweite hebt in südlicher Richtung den Turm des Erwitter Domes hoch heraus aus den Wogen des grünen Meeres.
Breit und wuchtig dehnt sich der Weringhof. Er erinnert mit der Weringhauser Mühle als einziger Herkomme an die untergegangene Ortschaft Weringhausen und ist seit weit über hundert Jahren im Besitze der Familie Mönnig. Die über 400 Morgen Liegenschaften umfassen außer den Ländereien auch einen Bauernwald, durch dessen moosigen Grund sich eine kleine Beke zwängt, um sich weiter nördlich mit der größeren Gieseler zu vereinen. Rinder- und Schweineherden bevölkern die Kämpe, und ein munteres Gösselvölkchen sonnt sich behaglich im grünen Klee und träumt von der Geseker Gösselkirmes.
Aus Schwarzdorn aufgerichtet
Als weithin sichtbares Wahrzeichen der alten Salzgewinnungsstätte ragen noch heute zwei in Betrieb befindliche Gradierwerke je 12 Meter hoch auf, von denen das eine 120 Meter, das andere 90 Meter lang ist. Ein noch höheres Gradierwerk wurde abgebrochen.
Westernkotten bildet mit seinen über 700 Jahre bekannten Salzquellen und Salzwerken ein wichtiges Glied der sog. Salz-Straße, die sich von Bad Unna-Königsborn über Werl, Bad Sassendorf, Westernkotten, Salzkotten bis Salzuflen hinzieht.
Das hochprozentige kochsalzhaltige Wasser der Quellen wird auf die aus Schwarzdorn aufgerichteten Gradierwerke gepumpt, um alsdann in tickendem Getröpfel die riesige Dornhecke zu durchrieseln und am Fuße derselben als filtrierte Sole weiter verwendet zu werden. Ein feiner salzhaltiger Sprühregen weht aus dem Dorngewirre, der von den Kurgästen gern ein geatmet wird.
Ursprünglich würde ein von Frauen mit bloßen Füßen getretenes Rad in Bewegung gesetzt, das einerseits wieder eine schwere Kette mit den mit Sole gefüllten Eimern bewegte. Für diese schwere Arbeit erhielten die Frauen als Tageslohn ein ganzes „Kassmännchen““ (25 Pfennige).
KASTANIEN STATT BASTIONEN
Kein Wunder, dass die Westernkottener Salzquellen früher ein begehrenswertes Streitgut zwischen den Erzbischöfen von Köln und den Bischöfen von Paderborn, den rechtmäßigen Besitzern, waren, um das, vor allem in der Soester Fehde (1444 bis 1449), oft heiß gestritten wurde. Um sich gegen diese Streitigkeiten und Bedrohungen zu schützen, befestigten die Bewohner ihre Ortschaft. Teile dieser ehemaligen Befestigungsanlagen sind noch heute deutlich zu ei kennen, so beispielsweise an dem idyllischen Westumgange des Dorfes, wo auf den früheren Bastionen und Rondells statt Tod und Verderben bringender Geschützbestückung mächtige Kastanien und Linden (Schrop-Linde) stolz zum Himmel emporragen.
Vom Tollen Christian zerstört
Bei der prächtigen Schrop-Linde betritt der Wanderer, nördlich des vorgeschobenen Ortsteiles Schäferkamp den südlichen Eingang des Dorfes. In der Nähe träumt der altertümliche Zehnthof von der einträglichen alten Zeit. Westernkotten, ursprünglich Cothen (Hütte, Salzsiederhütte), wird urkundlich bereits im 13. Jahr hundert erwähnt. Das heutige Gemeindewesen entstand aus einer an den Salzquellen gelegenen Siedlung, in der sich die Bewohner der in der Soester Fehde verwüsteten Ortschaften Höckelheim, Meßtuschenheim, Aspen, Weringhausen, Swick (Swike, Suke) und Ussen zusammenfanden.
Im Jahre 1622 wurde Westernkotten vom Herzog Christian von Braunschweig, dem „Tollen Christian“, zerstört. Auf die wiederholten Zerstörungen und Neusiedlungen weist eine weitläufige lateinische Inschrift an der Nordseite des Turmes der St.- Johannes-Kirche hin. Von der untergegangenen Ortschaft Weringhausen ist heute noch der bereits oben erwähnte Einzelhof Weringhof (Weringhauser Hof) nebst der Weringmühle vorhanden.
Im Baubilde des Dorfes war auch in Westernkotten ehedem das Fachwerkhaus in Schwarzweiß vorherrschend, wie es sich in dem wohl ältesten Hause dieser Art, in dem südlich der Johannes-Kirche liegen den breiträumigen Hause Bredenoll, als gut erhaltenes Musterbeispiel zeigt. Die lateinische Beschriftung über der Toreinfahrt vermeldet von der Geschichte des Hofes:
„Anno 1714 x 17 Julii x Deo Padri et Filio et Spiritui Sancto Sit Gloria sempiterna x Ipso juvante Laurentius Bredenoll et Maria Anna Catharina Groll Hane Structuram cura (ve) runt“.
In der „Wolfsangel “ einem sackartigen Straßenzuge östlich der Kirche, weist ein mit dem Hause Bredenoll gleichaltriges Bauernhaus einen reizvollen erkerartigen Vorbau in Fachwerk mit bemalter Toreinfahrt auf:
„In Deo confidens omnia x Johannes Löper x Anna Theodora Brexell x Anno 1715, den 4. Oktober“
Das Giebelfeld über diesem Vorbau muss später errichtet sein, wie die Jahreszahl 1753 vermuten lässt. Als im Laufe des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus auch auf dem flachen Lande allenthalben der heimische Fachwerkbau mehr und mehr durch das vielleicht feuerfestere, aber auch weniger heimatlich anmutende Backsteinhaus ersetzt wurde, verlor auch Westernkotten sein einheitlich bodenständiges und zweifellos schönes Baubild. Neuerdings scheint sich der Ort wie der in einem Umbruch zu befinden, der unter reichlicher Verwendung des in der Nähe (Erwitte, Geseke) hergestellten Zementes Beton in das Straßenbild fügt.
Uralte Bauernhäuser „schmücken“ sich mit neuen Fronten und Schaufenstern. Hilflos stehen nun hier und da die restlichen alten Fachwerkbauten in Grüppchen zusammen, als trauerten sie bekümmert vergangenen Zeiten nach. Man vermisst — um es offen zu sagen — manchmal die übergeordnete, leitende Hand, die, wenn es nun einmal gilt, Altes zu stürzen und Neues zu schaffen, die Gewähr bietet für ein gutes neues Gesamtbild des Ortes. Diesen Eindruck können auch einige gute Neubauten noch nicht verwischen.
Feierlicher Lobetag
Jahrhunderte zurück reicht in Westernkotten die Lobetags-Prozession. Als im 17. Jahrhundert die Pest ausbrach und das Dorf so verheerend heimgesucht hatte, dass nach ihrem Erlöschen nur noch wenige Einwohner lebten, gelobten sie diese Prozession. Dem Gelübde der Ahnen getreu, begeht Westernkotten auch heute noch alljährlich im Sommer den Lobetag.
Seit dem Beginne unseres Jahrhunderts (1902) hat Westernkotten eine eigene Pfarrei. Die im Herzen des Weichbildes, abseits des pulsierenden Verkehrs gelegene Pfarrkirche ist dem Evangelisten Johannes geweiht. Sie stammt in wesentlichen Bauteilen aus dem 19. Jahrhundert, während der Turm mit seinen rundbogigen Schallöchern und seiner hochgezogenen achtseitigen Pyramidenspitze ein Bauwerk des 17. Jahrhunderts (1699) ist.
VON USSEN TRANSFERIERT?
Nach den Angaben eines verdienstvollen und fachkundigen Westernkottener Heimatforschers ist die ursprüngliche Kirche auf Anordnung des Bischofs Erich von Braun-schweig-Grubenhagen, der als Bischof von Osnabrück von 1503— 1532 zugleich Bischof von Paderborn war, von Ussen nach Westernkotten „transferiert“ worden. Er baut wurde sie dann von denen von Hörde zu Boirk, das Baujahr selbst ist nicht bekannt. Vor der Errichtung des jetzigen Turmes aus dem Jahre 1699 hatte die Kirche nur einen Dachreiter.
Kunsthistorisch bemerkenswert ist das frühbarocke, rundbogige Westportal mit Halbpfeilereinfassung und Figurennische des Evangelisten Johannes. In den Jahren 1882/83 wurden Chor, Apside und die beiderseitigen abgeschrägten Turmgelasse angebaut; das niedrig gehaltene nördliche Seitenschiff wurde 1930/31 angefügt und mit zwei mächtigen Steinstreben abgestützt, während das Langschiff zum idyllischen Pastorengarten hin durch drei Stein streben aufgefangen wird.
Gleich beim Eintritt durch das Turmportal offenbart sich der augenscheinlich berechnete wohltuende Gegensatz zwischen den schlicht und einfach, aber überaus edel gehaltenen spätromanischen Bauformen des Langschiffes, in welchem nur die Strukturelemente wie Dienste, Rund- und Gurtbögen farbig betont sind, und dem prunkvoll ausgestatteten Chorraum, den ein vorgelagertes Chorjoch mit breitem, bemaltem Triumphbogen und zwei Seitenaltären vom Langschiff abtrennt. Die Malerei am Triumphbogen stellt den triumphalen Einzug der Seligen und Heiligen dar. Harmonisch abgestimmte Glasfenster, das Abendmahl, die Kreuzigung und Mariä Heimsuchung darstellend, verleihen dem Chorraume, in dem ein vergoldeter neogotischer Hochaltar von 1884 den ehemaligen Barockaltar ersetzt, ein warmes- mystisch verklärtes Licht. Der linken Basis des Triumphbogens ist der Muttergottes-Altar, der rechten der Johannes-Altar vorgesetzt, beide mit zierlichem und ornamentalem Holzschnittwerk Wiedenbrücker Meister versehen, eine Stiftung aus dem Jahre 1898. Am Muttergottes-Altar fesselt der ungemein liebliche Gesichtsausdruck Mariens.
Das farbig sehr dezent gehaltene Langschiff ist dreijochig und innerhalb der Joche jeweils durch ein Kreuzgewölbe abgedeckt. An den vier freistehenden Pfeilern die Figuren der hl. Elisabeth, des hl. Joseph, des hl. Aloisius und des hl. Antonius.
Das Kanzelgehäuse zeigt in holzgeschnitzten Flachreliefs die vier Evangelisten mit ihren Insignien. Johannes mit Taube, Lucas mit Stier, Matthäus mit Engel und Marcus mit Löwe. An der Stirnseite des Seitenschiffes eine Pieta aus getriebenem Metall und darüber ein sehr leuchtkräftiges Rundfenster mit dem Bildnis des hl. Isidor. Im Erdgeschoß des Turmes interessiert den Altertumsforscher ein steinernes Weihwasserbecken von 1737 ebendort befindet sich auch die Taufkapelle. Auf dem Kirchplatze hält ein Kriegerehrenmal das Gedenken an die Gefallenen der Kriege von 1870/71 und 1914/18 wach.
Das Heilbad
Die Bewohner Westernkottens sind, soweit sie nicht ein Gewerbe betreiben, teils in der Landwirtschaft tätig, teils in der Kalkindustrie der Nachbarschaft oder in der Metallindustrie der Kreisstadt beschäftigt. Aber auch der Kur- und Badebetrieb sichert einer nicht geringen Anzahl von Menschen den Lebensunterhalt. Die Bad Westernkötter Sole ist wegen ihrer vorzüglichen Heilwirkung weit bekannt. Gradierwerke und Kurbäder benötigen fachlich geschulte Kräfte; das Fremdenbeherbergungsgewerbe Bad Westernkottens — es genießt ausgezeichneten Ruf in Westfalen und darüber hinaus — wartet auf mit Wohnung und Verpflegung der Kurgäste.
Den pulsierenden Mittelpunkt des Kurlebens bildet das von gut gepflegten gärtnerischen Anlagen umgebene, in vornehmen Bauformen gehaltene und im Innern gediegene und zweckmäßig ausgestattete Kurhaus und Kurhotel. Es erinnert in seinem Baugepräge an die traditionelle Art der ostwestfälischen Bäderstädte Driburg und Salzuflen.
So werden die Gaben der gütigen Mutter Natur in Westernkotten bestens verwertet, zum Segen der Bewohner und der hier Erholung und Genesung suchenden Fremden.
Fotos mit Bildunterschriften:
- Aus verklungenen Tagen: Der alte Zehnthof
- Der herrliche Kurgarten spendet alljährlich den vielen Kurgästen und weiteren Besuchern beschauliche Erholung.
- und 4. Rings von Gärten und Bäumen umgeben, bildet die St.-Johannes-Kirche des Ortes Mittelpunkt (Bild oben). Von besonderem Reiz ist auch das schöne Barock-Portal (Bild links), das hier im Schein sommerlicher Lichtreflexe liegt.
- Weithin sichtbar, ragen die Gradierwerke des weit bekannten Heilbades empor. Das hier aufgenommene Gradierwerk misst 120 Meter.
- Am Sudausgang des Ortes: Die prächtige Schrop-Linde
- Auf alten Befestigungsanlagen erwuchs diese herrliche Kastanie.
- Das Haus Bredenoll, eines der ältesten Fachwerkhäuser