Wasserprobleme zwischen Bad Westernkotten, Bökenförde und Lippstadt: Weihe, Bökenförder Dorfgraben und Breiter Graben
Von Wolfgang MARCUS (Bad Westernkotten)
[Heimatblätter 1990, S.114ff]
I. Die Weihe
Wenn man in Bad Westernkotten über die Antoniusstraße ins Muckenbruch geht, erreicht man etwa 200 Meter vor der rot-weißen Schranke auf der Höhe eines Gemäuerrestes einen nach links abzweigenden, etwa einen Meter breiten Graben, der zur Gieseler, genauer zur so genannten Überflut an der Gieseler führt. Der Name Überflut weist auf ein Steinwehr in der Gieseler hin, das das Wasser der Gieseler staut und nur in der Mitte durch eine schmale Öffnung durchfließen lässt. (Herr Franz Dahlhoff, Bökenförder Warte, teilte mir in einem Gespräch am 31. 10. 89 mit, dass sein Vater dieses Stauwerk immer „Engelbert-Schemm“ genannt habe.)
Als Kind habe ich oft dort gespielt, wir haben Stichlinge gefangen oder mussten als Mutprobe über das schlüpfrige Steinwehr balancieren, ohne in das gestaute Wasser bzw. zur anderen Seite etwa 1 Meter in die Gieseler unterhalb des Staus zu fallen. Ich kann mich aber eigentlich nicht erinnern, das wir uns auch mal gefragt haben, warum das Stauwehr dort steht, das haben wir eigentlich selbstverständlich so hingenommen.
Nun, als Erwachsener sieht man die Dinge anders:
Etwa 5 Meter oberhalb des Stauwehres zweigt vom rechten Ufer der Gieseler ein etwa 1,5 Meter breiter Bachlauf ab, die Weihe. Sie fließt von hier in nordwestlicher Richtung und mündet nach 4,8 km in Lippstadt in die Südliche Umflut an der Unionstraße.
Auf etwa 450 Meter – vom Gieseler-Abzweig bis ca. 300 Meter südlich der Bökenförder Warte
– bildet die Weihe heute die Grenze zwischen den Städten Erwitte und Lippstadt bzw. den Gemarkungen von Bad Westernkotten und Bökenförde. In früherer Zeit verlief entlang der Weihe der südöstliche Teil der Lippstädter Landwehr.
Nun aber zurück zur Überflut an der Gieseler. Diese Überflut verdankt ganz eindeutig der eben geschilderten Weihe ihre Entstehung.
Möglicherweise bereits seit dem Ende der Eiszeit etwa vor 10 000 Jahren gab es östlich der Bökenförder Warte einen von Bökenförde herkommenden Wasserlauf, heute Bökenförder Dorfgraben genannt (siehe Kartenskizze). In einer Karte aus dem Jahre 1572 ist. er als Wedenae Flumen (=Weihe-Fluss) eingezeichnet. (vgl. Junk/Wenger S. 1029, in dem doppelbändigen Lippstadt-Buch von 1985). Zu dieser Zeit existierte noch keine Verbindung zur Gieseler.
Demgegenüber findet sich diese Verbindung auf einer Feldmarkkarte aus dem Jahre 1655 (ebd. S. 1031). Aus noch näher zu bestimmenden Gründen muss also in diesem Zeitraum ein etwa 750 Meter langer Verbindungsgraben zwischen der Gieseler und der ursprünglichen Weihe, dem Wedenae flumen, geschaffen worden sein. Die ursprüngliche Weihe, der Bökenförder Dorfgraben, mündet heute als Graben etwa 50 m südöstlich der Bökenförder Warte in die Weihe. Mehr dazu unter II.
Welche Gründe spielten nun eine Rolle beim Bau dieses Verbindungsgrabens und der damit zusammenhängenden sog. Überflut? Oder anders gefragt: Warum wurde die Gieseler angezapft? In der einschlägigen Literatur (vor allem Schröther, Rudolf, Die Lippe und die Umfluten in der Stadt Lippstadt, Heimatblätter 1974, S. 177-182) werden drei wesentliche Gründe genannt. Schröther schreibt: „So wurde der nutzbare Durchfluss für die an der Weihe liegende Bömicke Mühle vergrößert. Die Mühle lag an der jetzigen Unionstraße; der Stau wurde noch vom Drahtwerk der Westfälischen Union genutzt.
Außerdem wurden mit dem Wasser der Weihe die südlichen Festungsgräben gespeist; schließlich diente es zu Feuerlöschzwecken und zum Abtransport von Unrat. Zu diesem Zweck hatte man anfangs offene und später überdeckte Gräben in den Straßen der Stadt hergestellt, in die das Wasser eingeleitet und zur Lippe abgeleitet wurde. An der Unionstraße ist noch so eine Zuleitung erkennbar, die dort als eiserne Rinne über die südliche Umflut nicht gerade zur Verschönerung des Stadtbildes beiträgt. .
Junk / Wenger (aaO. S. 1032) führen als Hauptgrund die Speisung mit Wasser der wahrscheinlich 1623 angelegten südlichen Umflut an.
Die Einschätzung, dass es sich bei der jetzigen Weihe um eine künstliche Wasserverbindung handelt, wird auch von der Unteren Wasserbehörde geteilt: Im Verzeichnis der Wasserläufe zum Landeswassergesetz ist die Weihe als künstlich angelegter Wasserlauf. beschrieben.
Es stellt sich aber die Frage, warum die Gieseler gerade hier und nicht etwa 600 Meter flussaufwärts angezapft wurde, wo der Bökenförder Dorfgraben nur etwa 25 Meter nördlich der Gieseler verläuft. – Sicherlich liegt dies daran, dass die Lippstädter Landwehr und damit auch die Grenze des Territoriums der Stadt Lippstadt dort verliefen, wo jetzt die Gieseler zur Speisung der Weihe angezapft wird. Weiter östlich befand man sich bereits auf dem Territorium des Herzogtums Westfalen.
Gestützt wird diese These durch eine randliche Eintragung in die oben bereits genannte Feldmarkkarte von 1655. Dort heißt es bezüglich der künstlich angelegten Verbindung zwischen Gieseler und ursprünglicher Weihe: „Dies ist früher ein Landwehrgraben gewesen, welchen die Kötter durchgegraben haben, so daß ein Fluß daraus geworden ist: (vgl. Jung / Wenger aaO. S. 1032; hier auch weitere Ausführungen zu den genannten „Köttern“).
Wahrscheinlich schon wenig später hat es wegen dieser Anzapfung des Gieselerwassers Auseinandersetzungen gegeben. So waren unter anderem die Gräfte des Schlosses Overhagen sowie die Mühle dort auf das Gieselerwasser angewiesen. Am 9. Oktober 1678 einigten sich die Vertreter der Stadt Lippstadt mit W. von Schorlemer, dem Overhagener Schlossherren, bzgl. des Wasserabflusses durch die „Weidenaw“ darauf. dass „der Mund von gedachtem Abfluss mit eingelegten Schalen und Pfälen, auf jeden intereßirten Theils Kosten dergestalt zugesetzt werden sollte, dass in selbigen Schaalwerk eine offene von 4 Rheinischen Schuhen breit zu ungesperreten continuirlichen Abflusses ein Drittheil Waßers nebst dem Kötterbruch vorbey nach der Overhagischen Mühlen verbleiben, und unterhalten werde, damit das Wäßerlein, nicht allein bey seinen defluzu, und die allerseits intereßirten, bei ihrer drauf habende Fischgerechtigkeit, wie nicht weniger das Haus Overhagen bey dem zu dero Mühlen verglichenen Drittheils erhalten werde, sondern auch gleichfalls der Lippischen Lehn Mühle, die Börnicke Mühle genannt, und der Stadt Lippe ihre zwey verglichne Drittel Waßers vollkömmlich ungesperrt. und continuierlich zufließen möge.“ (zitiert nach Schröther, aaO)
Das heutige Stauwehr in der Gieseler, die „Überflut“, ist im Jahre 1893 gebaut worden. Aus einem Vertrag zwischen der Stadt Lippstadt und der Firma Gebrüder Timmermann vom 6. 9. 1893 geht der Preis von 4704,50 Mark hervor. Der abgebildete Querschnitt gibt Aufschluss über Maße und Ausführung (vgl. Stadtarchiv Lippstadt Gb 91).
1860 entstand an der Mündung der Weihe in die Südliche Umflut ein Eisen verarbeitendes Werk, das 1875 an die Westfälische Union überging. Auch dieses Werk konnte das Wasser gut gebrauchen, besonders zur Kesselspeisung (vgl. H. Ferdinands, Die Weihe, in: Heimatblätter 26. Jahrg., Nr. 8). Auch mit der Union hat es öfters Streitigkeiten über die abzapfbaren Wassermengen gegeben. Herr Franz Pütter aus Bad Westernkotten erinnert sich (in einem Gespräch am 9. 8. 88), dass noch bis kurz nach dem 2. Weltkrieg Streitigkeiten dieser Art zwischen der Union und dem Overhagener Schlossherren sowie dem Gut Weringhoff, das auf besagter Strecke ein Laufwasserkraftwerk unterhielt, vor Gericht ausgetragen wurden. Nach Auskunft von Herrn Josef Jacobi, Erwitter Warte (in einem Telefongespräch am 1. 11. 89), hat ihm der frühere Rentmeister des Schlosses Overhagen, Herr Kuhlmann, erzählt, dass er mehrmals in trockenen Jahren zur Überflut musste, wenn wieder einmal die Westfälische Union den Gieselerdurchfluss verbrettert hatte, um mehr Wasser für das Drahtwerk zu bekommen. Selbst „Algen und andere Wasserpflanzen“, die sich auf dem Durchflussstein ansiedelten und „den Wasserdurchfluss geringfügig verringerten, waren Stein des Anstoßes. (So in einer Eingabe des Rentmeisters Kuhlmann vom 16. 9. 1926, vgl. Stadtarchiv Lippstadt Gb 91)
Auch die Bad Westernkötter Bauern, die Weiden entlang der Gieseler hatten, wurden von diesen Wasserabzweigungen wirtschaftlich beeinträchtigt: Ihnen fehlte zum Tränken der Tiere oft das Wasser der Gieseler, in der manchmal nur ein paar tiefere Stellen mit Wasser gefüllt blieben.
So soll es auch zu handfesten Auseinandersetzungen an der Überflut gekommen sein.
Ferdinands (aaO) berichtet davon, dass die Union bei niedrigem Wasserstand einen invaliden Arbeiter – wohl als Wachposten – beim Wehr angestellt hatte.
Das Recht, das Wasser der Gieseler unterhalb der Abzweigung der Weihe zu stauen und ein Drittel zum Betrieb der Mühle in Overhagen und zwei Drittel zur Spülung von Kanälen in Lippstadt zu verwenden, besteht noch heute, wird aber von beiden Rechtsinhabern nicht mehr ausgeübt. Für die bauliche Unterhaltung des Steinwehres (Überflut) sind die Wasserrechtseigentümer zuständig, das ist in diesem Fall die Stadt Lippstadt (nach einem Brief des Kreises Soest – Untere Wasserbehörde – vom 4. 8. 89 an den Verfasser).
II. Der Bökenförder Dorfgraben
Wie schon erwähnt, ist der heutige Bökenförder Dorfgraben die ursprüngliche Weihe. Er beginnt am westlichen Rand Bökenfördes und verläuft etwa 1,8 km in nordwestlicher Richtung und mündet etwa 50 Meter unterhalb der Bökenförder Warte in die heutige Weihe. Sein teilweise recht gradliniger und dann wieder rechtwinkliger Verlauf zeigen deutlich, dass er Begradigungen und Anpassungen an neue Parzellengrenzen erfahren hat.
Im Aktenbestand des Stadtarchivs Lippstadt (F 411) ist dazu eine Akte zu finden, die den Titel trägt „Anlageheft zu dem Antrage vom 3.1. 1906 betreffend Benutzung von Tränken- und Rieselwasser der Gieseler durch den Landwirt Josef Jungemann genannt Vollmer zu Bökenförde“. Der Inhalt dieser Akte soll hier kurz vorgestellt werden:
Aus einem Schreiben der Union Lippstadt, .damals Phönix Aktiengesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb, Abt. Westf. Union, vom 11. 4. 1905 an den Magistrat der Stadt Lippstadt geht zunächst einmal hervor, dass „im vergangenen Jahr Einwohner von Bökenförde ein Wehr in die Weihe (I) eingebaut haben und an den heißen Tagen der Weihe das Wasser fast gänzlich entzogen zur Bewässerung der anliegenden Wiesen.“ Mit dem genannten Wehr kann nur das Steinwehr an der Gieseler, genannt Stöckers Schemm, gemeint sein. Als Bewässerungsgraben wurde weitgehend der Bökenförder Dorfgraben benutzt (vgl. Karte). Dadurch wurde der Union augenscheinlich so viel Wasser entzogen, dass sie – auch angesichts der Konkurrenz des „westlichen Industriebezirks“ nicht mehr wirtschaftlich produzieren könne und mit der (Teil-) Schließung des Werkes und der Entlassung von mindestens 150 gelernten Arbeitern droht.
In dem sich anschließenden Verfahren weist der Landwirt Josef Jungemann darauf hin, dass ihm die Stadt Lippstadt unterm 15. 6. 1899 gestattet habe, „einen Graben zu Tränkezwecken von der Gieseler zur Weihe (I) zu setzen“, er aber jetzt das Wasser auch zur Berieselung verwende. Er bittet darum, diese Anlage zu gestatten und erklärt sich bereit, jährlich 1 Mark Anerkennungsgebühr für das Tränkewasser und 9 M (zusammen mit den Landwirten Wieneke und Schulte) für das Bewässerungswasser zu zahlen.
Am 3. 1. 1906 kommt es dann zu einem Abkommen mit der Stadt Lippstadt, in dem sich Jungemann bei der Wasserentnahme zur Einhaltung diverser Vorschriften verpflichtet. So muss unter anderem das abgezweigte Berieselungswasser über Gräben wieder in die Weihe geleitet werden. Auch verpflichtet er sich zur Zahlung von 16 M Tränkegeld und 20 M Bewässerungsgeld.
Aber der Wasserfrieden hielt nicht lange an. Wohl nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt teilt J. Jungemann dem Magistrat der Stadt Lippstadt am 25. 11. 1907 mit, dass er sich nicht mehr an das Abkommen vom 3. 1. 1906 gebunden erachte, „da durch die Entnahme … keinerlei Rechte der Stadt Lippstadt beeinträchtigt werden.“
Und noch am 16. 6. 1911 schreibt die Westf. Union dem Magistrat: Am 31. Mai brachte die
Weihe kein Wasser. Wir hatten dadurch erhebliche Betriebsstörungen, und die städt. Kanalisation hatte keinen Zufluss . . . Der Wassermangel der Weihe erklärt sich dadurch, dass die Landwirte in Bökenförde das vor einigen Jahren gebaute Steinwehr zwecks Berieselung der Wiesen etc. geschlossen hatten. Nur geringe Mengen Wasser ließ dieses Wehr durch und diese flossen nicht der Weihe zu, sondern gingen durch den Einschnitt im Gieselerwehr (die Überflut) ab.“
Daraufhin forderte der Magistrat am 21. 11. 1911 Jungemann nochmals bei Vermeidung der Klage und bei Androhung der Aufhebung des mit ihm am 3. 1. 1906 getroffenen Abkommens auf, schriftlich das Versprechen abzugeben, sich in Zukunft genau an die Bewässerungsvorschriften halten zu wollen.“
Die Akte schließt mit kurzen Notizen, die bis 1914 reichen, dass sich der Betroffene daraufhin an das Abkommen gehalten bzw. überhaupt nicht mehr bewässert hat.
III. Der Breite Graben
100 Meter östlich der Bökenförder Warte zweigt von der Weihe ein auffällig breiter Graben ab, der gemeinhin „Breiter Graben“ genannt wird und bei der Erwitter Warte in die Gieseler mündet. Er hat eine Länge von 2 Kilometern und verläuft an der Südseite des so genannten Suckeweges, der seit der kommunalen Neuordnung 1975 das Gebiet der Stadt Lippstadt von der Gemarkung Bad Westernkotten (Stadt Erwitte) trennt. Auf 1,5 Kilometern von der Erwitter Warte nach Osten verläuft die Grenze zwischen dem Suckeweg und dem Wasserlauf, d. h. auf dieser Strecke liegt der Wasserlauf auf dem Erwitter Stadtgebiet. Der östliche Teil, bis etwa 280 Meter westlich des Feldweges „Am schwarzen Kreuz“, gehört zu Lippstadt. Dementsprechend sind die beiden Städte jeweils für die auf ihren Gebieten verlaufenden Wasserstrecken für die Unterhaltung zuständig.
Der Graben hat größtenteils ein leichtes Gefälle zur Gieseler hin, nur am Abzweig an der Weihe ist ein kleines Gefälle in die andere Richtung zu erkennen.
Der Querschnitt des Grabens weist bei einem V-Profil an einigen Stellen eine Tiefe von 3 bis 4 Metern und eine oberflächige Breite von 5 bis 6 Metern auf.
An einigen Stellen bleibt das Wasser nach Regengüssen wochenlang stehen, so dass sich sogar Sumpfpflanzen hier finden. Nicht selten erlebt man als Jogger oder frühmorgendlicher Spaziergänger Graureiher in diesen Grabenabschnitten.
Naturräumlich gesehen fließt der Graben an der Grenze der Gieseler-Talaue und der hier deutlich als Schanze bzw. sog. Flachdelle im Gelände ansteigenden Lippeterrasse. Der Auenboden ist in der Nacheiszeit entstanden, der Boden auf dem Höhenrücken ist zumeist Löß auf Grundmoränenschotter und Emschermergel (vgl. Karl Petermeier, Die Naturlandschaften des Kreises Lippstadt, Lippstadt 1968).
Der Graben ist – und das zeigen schon sein Profil und seine gradlinige Erstreckung – sicherlich von Menschenhand angelegt worden. Genauere Angaben über die Anlegung liegen mir nicht vor. Allerdings scheint nach den Urmesstischblättern von 1829 nur ein kleiner Graben vorhanden gewesen zu sein, während aus dem Messtischblatt nach der Königlich Preußischen Landesaufnahme von 1895 zu entnehmen ist, dass die heutige Verbindung von der Weihe bis zur Gieseler bereits vorhanden war. (vgl. Schreiben des STAWA Lippstadt an den Verfasser v. 2. 2. 90)
Meines Erachtens lassen sich folgende Aussagen zur Geschichte und Funktion des Grabens verantworten:
a) Zunächst einmal wird dieser Graben gebaut worden sein, um das Oberflächenwasser und einen Teil des Grundwassers, was von dem Höhenrücken in die Gieselerniederungsfläche strömte, abzufangen. Hierbei ist besonders an das Haus zum Rade zu denken, das sich auf dem Höhenrücken nahe der Erwitter Warte befand und in der Talaue Weideflächen besaß, an die noch heute der Flurname „Ratswiesen“ erinnert. Auch die Siedlung Swiek oder Sucke, die östlich der heutigen Kreisstraße nach Lippstadt am Rande der Talaue lag, wird bemüht gewesen sein, das hangabwärts fließende Wasser abzuleiten.
b) Im vorigen Jahrhundert kam ein weiterer Aspekt hinzu: der Breite Graben als Hochwasserschutzmaßnahme. Aus Gesprächen mit Franz Dahlhoff, dem jetzigen Besitzer der Bökenförder Warte, und seiner Mutter (am 31. bzw. 29.10.89) konnte ich dazu folgendes entnehmen: Immer wieder hat die Bökenförder Warte mit Hochwasser zu kämpfen gehabt: die Gieseler ist dann, an gefüllt mit riesigen Mengen an Pöppelschewasser, westlich von Bökenförde über die Ufer getreten und hat mit ihren braunen Wassermassen die ganze Gieseleraue bis hin zur Erwitter Warte überschwemmt. Einmal war das Wasser nachts bis in die Bökenförder Warte gedrungen; erst durch das Plätschern von Wasser ist der damalige Besitzer wach geworden und hat noch gerade ein Baby der Familie, das in seinem Kinderbett schlief, aus der steigenden Flut gerettet. Daraufhin sind die entsprechenden Behörden endlich eingeschritten und haben den Graben ausheben und verbreitern lassen, um das ankommende Hochwasser dadurch wieder in die Gieseler abzuleiten und somit auch Lippstadt zu entlasten. Deshalb heißt der Breite Graben in der Familie Dahlhoff auch immer „Flutgraben“
Auch der Besitzer der Erwitter Warte, Herr Josef Jacobi, konnte mir bestätigen (in einem Gespräch am 1. 11. 89), dass der Breite Graben zur Ableitung von Hochwasser dienen sollte. Er verwies auf die sog. Katharinenflut von 1890, bei der das Wasser beim Preister (B 55) über die Straße geflossen sei. An der Erwitter Warte befindet sich eine Hochwassermarke, die etwa 50 Zentimeter über dem Erdboden und mehrere Meter über dem heute üblichen Wasserstand der Gieseler angebracht ist.
Heute leistet das Wasserrückhaltebecken an der Pöppelsche den wichtigsten Hochwasserschutz für die Gieselertalaue, so dass seit der Überschwemmung von 1965 kein größeres Hochwasser in diesem Bereich zu verzeichnen war.
c) in seiner heutigen Funktion dient der Graben neben der Oberflächenwasserableitung auch der Vorflut mehrerer Dränungen landwirtschaftlicher Grundstücke im Lippstädter und Westernkötter Bereich. Nach Auskunft des STAWA erfüllt er die Funktion eines sog. Randgrabens und fängt in Abhängigkeit von seiner Einschnittstiefe das als Druckwasser den Niederungsflächen zufließende Grundwasser ab. Darüber hinaus dient er der Bewässerung einiger Viehtränken.