Von WOLFGANG MARCUS (Bad Westernkotten)
Erstabdruck: Heimatblätter Lippstadt 1988, S. 79-80
1. ZUM LEBEN UND WERK VON KARL WEIERSTRASS
Karl Theodor Weierstraß wurde am 31. 10.1815 in Ostenfelde, heute Kreis Warendorf, geboren. Bedingt durch die Versetzungen seines Vaters Wilhelm — dieser war seit etwa 1826 bei der preußischen Steuerverwaltung beschäftigt — besuchte er verschiedene Elementarschulen, bis er 1829 an das Gymnasium Theodorianum in Paderborn kam. Wegen seiner guten Leistungen konnte er eine Klasse überspringen und erreichte bereits 1834 das Abitur als „Primus omnium („‚erster von allen”).
Nach Jura- und Mathematikstudium legte er 1840 das Staatsexamen als Lehrer in Münster ab. Nach einem Jahr als Lehramtsanwärter dort war er von 1842 bis 1848 Lehrer am Progymnasium in Deutsch-Krone (Walcz; Westpreußen), von 1848—55 am Gymnasium in Braunsberg (Braniewo; Ostpreußen). Schon seit etwa 1836 hatte er sich intensiv mit elliptischen Funktionen, später vor allem den Arbeiten des norwegischen Mathematikers Niels Hendrik Abel (1802—1829) befasst und seine Aufmerksamkeit wesentlich der Integralrechnung zugewendet, Als er 1854 einen Artikel über seine Forschungen „Zur Theorie der Abelschen Funktionen” veröffentlichte, fand dieser begeisterte Aufnahme unter seinen Fachkollegen. Er erhielt umgehend den Doktortitel der Universität Königsberg.
Durch Vermittlung von Alexander von Humboldt kam er schon 1856 als Professor an das Gewerbeinstitut Berlin, dem Unterbau der späteren Berliner Technischen Hochschule, kurz darauf an die Berliner Universität, deren Rektor er 1873/74 war. Bis zum Ende seiner Vorlesungstätigkeit an der Uni im Jahre 1890 und selbst darüber hinaus bis zu seinem Tode am 19. 2. 1897 hat er sich entscheidende Verdienste um die analytische Mathematik erworben.
Hans Wussing und Wolfgang Arnold beenden ihre Abhandlung über Weierstraß mit folgenden Sätzen: „Heute gilt uns Weierstraß als einer der bedeutendsten Mathematiker des vergangenen Jahrhunderts. Dabei würdigen wir seine Arbeiten über elliptische und Abelsche Funktionen, aber weit bedeutungsvoller ist uns heute das Gerüst, das er errichtete, um zu Ergebnissen über. Diese Funktionen zu kommen, sein strenger, exakter Aufbau der Analysis und seine Entdeckungen in der Theorie der reellen und komplexen Funktionen.“ (S. 415; siehe Literaturangaben).
2. WEIERSTRASS UND WESTERNKOTTEN
Die Verbindungen Karl Weierstraß’ nach Westernkotten rühren daher, dass sein Vater Wilhelm Weierstraß zum Jahresanfang 1840 Salzfaktor, d. h. Rendant der Salzsteuerkasse, in Westernkotten wurde und dies bis 1858 blieb. Er wohnte mit seiner (zweiten) Gattin bis zu deren Tod am 29. Juni 1858 — gestorben in Westernkotten, beerdigt in Erwitte — und wohl nur noch kurze Zeit darüber hinaus in der Königlichen Salzfactorei (Provinzial-Steuerdirektorat Münster), heute Aspenstraße 8 (links neben dem Gasthof Kemper), und zog anschließend nach Berlin.
Karl Weierstraß hat hier immer während seiner Gymnasialferien in seiner Deutsch-Kroner und dann Braunsberger Zeit geweilt. Besonders bedeutsam ist, dass er seine 1854 veröffentlichte, berühmte Abhandlung „Zur Theorie der Abelschen Funktionen”, die seinen Aufstieg begründete, von der „Saline Westernkotten in Westfalen, 11. September 1853“ datierte. Hintergrund für diesen genialen Entwurf war, dass er während dieses Sommerferienaufenthaltes bei seinen Eltern die — ihm bis dahin vorenthaltene — vollständige Beurteilung seiner Staatsexamensarbeit erfuhr, die sein Selbstwertgefühl entscheidend stärkte.
Auch einige der Geschwister von Karl Weierstraß wohnten bei ihren Eltern in Westernkotten, seine Schwester Pauline verstarb hier 1843. — In der Heimatgemeinde Weierstraß’‘, Ostenfelde, wurde seine Geburtsstätte mit einer Gedenktafel ausgestattet. Wäre es nicht sinnvoll, auch in Bad Westernkotten einmal mit einem „Weierstraßweg“ oder einem „Karl-Weierstraß-Platz“ an den großen Gelehrten zu erinnern?
Literatur:
- Hans Wussing: Wolfgang Arnold, Biographien bedeutender Mathematiker, Aulis-Verlag Köln 1985, S, 400—416,
- Flaskamp, Dr., Karl Weierstraß, ein deutsches Gelehrtenleben im Umriss; in der Tageszeitung „Die Glocke“ vom 20. Juli 1957,