2003: Fronterlebnisse des Westernkötters Josef Neite (gef. 1918)

Mitgeteilt von Maria Peters (Bad Westernkotten) [in: Heimatblätter 83 (2003), S. 169-174]

„Nach einem viertägigen Aufenthalt in Hirschberg, wo ich eingezogen war, hatten wir am 10. (August) abends 21 Uhr Feldgottesdienst auf dem Kasernenhofe. Danach ging es mit Gesang und brausender Musik zum Bahnhof. Wohin es nun ging, wusste keiner – ob nach Ost oder West. Doch bald fanden wir an der Fahrt heraus, dass es nach Frankreich ging. Denen hatten wir es ja auch zuerst zugeschworen.

Die Verpflegung auf der ganzen Fahrt war eine sehr gute. Etwas anders wurde es schon, als wir am 13. abends in Lothringen ausgeladen wurden. Nach zweistündigem Suchen fand man endlich um 12 Uhr das angewiesene Quartier. Am anderen Morgen hatten wir sofort Marschübung. Am zweiten Tag dasselbe, mussten aber auf Befehl des Kommandierenden die Übung sofort unterbrechen und auf dem nächsten Wege zum Quartier marschieren, wo wir dann 12 Uhr mittags ankamen und um 1 Uhr schon wieder fertig zum Abmarsch, standen, warten, voran. Nach fast einem 40 km langem Marsch kamen wir unterwegs vom Gewitter durchnässt in St. Barbara 11 Uhr an. Meine Inspektion nahm Quartier in einem alten Kuhstall im Gerstenstroh, wo wir am anderen Morgen noch die Spuren der vorhandenen Fliegen im Gesicht hatten. Dann einen kurzen Marsch nach Rumelange, da unsere Füße auch sonst versagt hätten.

Hier hatten wir einen dreitägigen Aufenthalt, wo wir den Wein und den Schinken des Quartierswirtes uns schmecken ließen, natürlich für unser Geld. Je weiter wir nun vorankamen, desto mäßiger wurde es an Bier und Tabak. Doch einmal sollten wir noch das Glück haben, uns an Bier laben zu können, in dem schönen Dörfchen Waldwisse. Leider mussten wir es nach eintägigem Aufenthalt wieder verlassen und marschierten dann nach Luxemburg. Hier hatten wir schon am anderen Tage das Vergnügen, auf feindliche Flieger schießen zu können, aber leider ohne Erfolg. Den ganzen Tag hörte man schon das Donnern der schweren Geschütze, die auf Longwy gerichtet waren. Den Abend lagen wir auf unserem Stroh und sangen die herrlichsten Lieder, nicht ahnend, was uns am anderen Tage blühen sollte. Des Nachts um 1.30 Uhr wurden wir alarmiert und marschierten um 2.30 Uhr ab, der Grenze zu. Es wurde ein sehr schwüler Tag und schon in den frühen Morgenstunden rann einem der Schweiß von der Stirn. Unaufhaltsam ohne Halt ging es weiter bis wir um 10.30 Aumetz erreichten, das letzte deutsche Dorf.

Hier machten wir auf freiem Felde Halt, um unser Mittagessen zu verzehren. Aber welch ein Blick bot sich unseren Augen nun dar. Regt. an Regt. Standen schon aufgestapelt da, und wir wussten sofort, dass dieses nichts Gutes zu bedeuten hatte. In Hast und Eile mussten wir essen. Ich hatte kaum meine Portion empfangen, es schon hieß, fertig machen. Es blieb mir nichts übrig, das Essen auszuschütten und dann sofort ans Gepäck. Der Oberstleutnant hielt dann eine kurze ergreifende Ansprache, dass wir in wenigen Stunden dem Feinde gegenüberstehen würden, und am Schluss mit einem brausenden Hurra ging es dann vorwärts. Nach einem 1/4-stündigen Marsche überschritten wir die französische Grenze, ohne auch nur einen Schluck Wasser und einen Bissen Brot bei sich zu haben. Nun ging es quer durch Kornfelder hindurch. Unsere Artillerie fuhr schon auf und in wenigen Minuten flogen die Granaten schon über unsere Köpfe hinweg in das erste feindliche Dorf Villers direkt hinter dem voraus liegenden Walde.

Nach kurzer Zeit stiegen schon Rauchwolken und Flammen zum Himmel empor, denn unsere Artillerie hatte gut gezielt. An einem Bahndamm, direkt vorm Walde machten wir halt. Uns kamen nun die Mohrrüben aus einem kleinen Gärtchen gut zu passe, denn Hunger hatten wir wie die Wölfe und Durst noch mehr. Aber nicht lange, dann ging es weiter durch den Wald hindurch, da bot sich unseren Augen aber schon ein anderes Bild. Telegraphenstangen abgebrochen, zerbrochene feindliche Fahrräder lagen rechts und links vom Wege, Etwas weiter war schon das erste Feldlazarett von uns errichtet und die ersten Verwundeten kamen uns schon entgegen, ein grausiger Anblick, denn Reg.19 war schon im heftigsten Feuer. Wir gingen nun auch ausgeschwärmt bis zu dem jenseitigen Waldrand, wo aber keine Spur von Rothosen zu sehen war, nur die mächtigen Rauchwolken aus dem brennenden Dorfe stiegen zum Himmel und etwa 50 tote Franzosen lagen im Rübenfeld. Die ersten feindlichen Granaten schlugen auf einer Mauer entzwei. In Windeseile hatten sich die Rothosen zurückgezogen und wir marschierten nichts Böses ahnend, rechts am Dorf vorbei.

Doch die feindliche Artillerie hatte uns zu gut bemerkt und wie ein Regen sausten die ersten Schrapnells über unsere Köpfe, unaufhaltsam, ohne aufzuhören, ein Zeichen, dass sie gut im Ziele saßen.    Wie ein Wurm schmiegte man sich am Boden und kroch auf allen vieren vorwärts. Doch das war uns bald zu dumm und hoch aufgerichtet ging es quer durchs Haferfeld, der Kommandeur an der Spitze mit umgehängtem Gewehr und Revolver in der Hand. Mancher von unseren lieben Kameraden musste dabei sein Leben lassen, ich selbst hätte nicht gedacht, dass einer lebend durch den Regen gekommen wäre. Wir kamen dann in einen Wiesengrund, wo uns die feindliche Artillerie nun verloren hatte. Hier wurde nun gesammelt, da alles auseinandergesprengt war. Dann ging es geschlossen weiter, quer durch die Felder bis wir vor eine Anhöhe kamen.

Hier sollten wir die zweite Taufe empfangen, denn wie der Blitz aus dem Himmel schlugen die Granaten ein. Eine Battr. die neben uns auffuhr, war in wenigen Minuten dem Erdboden gleich gemacht. Wir wussten, dass nicht mehr zu retten war, laufen konnten wir nicht mehr, denn Müdigkeit, Hunger und Durst hemmten unseren Lauf. Wie gesät lagen die lieben Kameraden am Boden. Auch unser Hauptmann, in der einen Hand den Degen und in der anderen Hand den Revolver, wurde von einem Volltreffer getroffen und in Stücke gerissen. Ich selbst bekam einen leichten Streifschuss an die linke Kopfseite, kroch in einen Graben, verband mich, und weiter ging es durch den eisernen Regen, bis der Himmel Feierabend machte. So waren wir glücklich 12 km im Artilleriefeuer gewesen. Ein gesunder Schlaf in einer alten Scheune brachte einem die nötige Ruhe wieder, und Hunger und Durst waren bald vergessen. Am anderen Morgen wurde ich mit noch acht Mann abkommandiert, einen Gefangenentransport nach Aumetz zu bringen.

Das Batl. hatte Ruhetag, denn es war ja auch Sonntag. Unterwegs vom Hunger gezwungen, eroberten wir uns ein paar Hühner, die uns die Franzosen unterwegs zurecht machen mussten. Den Durst löschten wir mit Wein, denn der war in den drei eroberten Dörfern in Hülle und Fülle zu haben. Bis an die Knöchel tief schwamm man in den Kellern in Rotwein. Auch die gefangenen Franzosen wurden damit getränkt, da kein Wasser zu haben war. In Aumetz angekommen, gaben wir unseren Transport ab und ließen uns nun die Hühner kochen und uns Suppe und Fleisch gut schmecken. Die Nacht über blieben wir da und logierten auf einem Heuboden. Am Montag den 24. machten wir uns nun auf den Weg wieder zum Batl. Während des Tages war dasselbe wieder im schweren Gefecht. Diese Gefechte zusammen wurde die Schlacht von Longwy genannt, da sie sich in der Nähe von Longwy abspielten. Wenige Tage später wurde die Festung gestürmt. Am Mittag den 25, kamen wir wieder beim Batl. an und marschierten dann auf Befehl des Kommandierenden nach Audunie …? fast wieder ganz rechts rückwärts, dicht an die deutsche Grenze. Hier sollten wir zur Verfügung des Ober-Generalkommandos des Kronprinzen sein. Dieses sollte aber nur eine kleine Aufmunterung sein, wie wir das ja bereits schon kannten, jedenfalls war da dicke Luft.

Auf dem Marsche dorthin konnte man schon richtig die Spuren des Krieges erkennen. Felder und Gräben lagen voll von feindlichen zerschlagenen Waffen und Ausrüstungsstücke, zerbrochene Wagen und erschossene Pferde, davon ich einmal 16 auf einem Fleck gezählt habe. Auch vereinzelte Leichen unserer treuen Kameraden und auch feindliche bedeckten noch den Boden und warteten auf die Bettung unter den grünen Rasen. Der Eifer der ersten Gefechtstage hatte das Beerdigen nicht erlaubt. Die Märsche der ersten Tage waren sehr anstrengend, wegen der schrecklichen Hitze und dem schlechten Geruch, der die ganze Gegend verpestete. In dem vorhin genannten Dörfchen hatten wir nun glücklich zwei Tage Ruhe, die Rothosen hatten es jedenfalls vorgezogen, sich schon frühzeitig aus dem Staub zu machen. Logieren taten wir selbstverständlich wie immer auf Heuböden.

Von hier marschierten wir am 28. in aller Frühe ab, als linke Seitendeckung der aufmarschierenden Division, wo wir nach einem 2-stündigen Marsche an der Straße, wo die Division anmarschiert kam, halten. Hier empfingen wir die erste Post, nach fast vier langen Wochen. Während die Division vorbeimarschierte, machte ich und mehrere meiner Kameraden, uns auf die Suche in dem dicht vor uns liegendem Dorfe. Nach längerem Suchen fanden wir endlich auf einen Boden mehrere Schinken und Seiten Speck. Das konnte uns so richtig passen und wir machten uns schleunigst zur Comp. zurück, wo wir mit Freuden empfangen wurden. Alles wurde brüderlich geteilt. Glücklicherweise empfingen wir auch Brod, und die Mahlzeit konnte beginnen. Nachdem alles vorbeimarschiert war, auch Graf Haeseler, rückten wir auch ab und bezogen nach einem sehr langem Marsche Quartier in Marville.

Am anderen Morgen den 29., ging es sofort zum Schanzen, direkt vorm Dorf in der glühendsten Hitze, wobei fast im ganzen Dorfe kein Wasser zu haben war, und mussten uns so unseren Durst mit Pflaumen stillen, Am 30. hatte unsere Comp. Ruhetag. Am 31. morgens hatten wir den ersten Feldgottesdienst auf freiem Felde. Danach ging es wieder zum Schanzen. Jedermann musste seine Feldflasche und Kochgeschirr voll Wasser mitnehmen, da oben auf dem Berge nichts zu haben war., Bis wir angelangt waren, war unser Wasser wegen der glühenden Hitze schon fast am Kochen, und dabei musste man noch schanzen und Wege durch den Wald schlagen, wobei einem bei jeder Bewegung der Schweiß von der Stirn floss. Am Montag den 31. sollten wir nun wieder auf die Probe gestellt werden. Unsere Comp. zog auf Vorposten, die andere 3. Comp. in Reserve, Um 9 Uhr morgens wurden wir von drei feindlichen Batt, angegriffen.

Zuerst beschoss sich die Artillerie gegenseitig. Ich war mit auf Ob…? Posten gezogen und hatten nun, da wir ungefähr 300 m vor unserer Artillerie lagen, unter den zu kurz einschlagenden Granaten und Schrapnells zu leiden. Doch wir wussten uns zu helfen und schmiegten uns mit 9 Mann dicht hinter eine dicke Buche, wo wir einigermaßen Schutz hatten, Unsere ausgestellten Feldwachen und Posten hielten sich tapfer bis mittags 1 Uhr, wo sich dann die Comp. wegen der großen Übermacht zurückzog – bis hinter unsere Artillerie. Die anderen Comp. waren in Stellung gegangen. Die Rothosen wagten es aber nicht, nun weiter vorzukommen. Unserer Artillerie, 2 Geschütze, leisteten hier Großartiges. Wir konnten mit bloßen Augen sehen, wie nun feindliche Kolonnen auf 3 800 m über die Höhe kamen und von dem Artilleriefeuer vollständig niedergemäht wurden. Als wir am Abend unsere Zelte aufbauen wollten, bekamen wir auf einmal Maschinengewehrfeuer und mussten uns nun weiter in den Wald zurückziehen.

Die nötigen Posten zur Sicherung wurden aufgestellt, da uns der Gegner auf 500 m in dem kleinen vor uns liegendem Wäldchen gegenüber lag. Doch unsere 21. … Mörser verstanden es in der Nacht, ihn mit ein paar Schuss herauszutreiben. Als wir am anderen Morgen unsere Vorpostenstellung wieder aufnahmen, sahen wir halbe Körperteile und Stücke in den Sträuchern hängen, so hatten die wenigen Schuss gewirkt. Leider mussten bei dem Gefecht wieder einige Kameraden ihr Leben lassen. Wir bezogen nun für 21 Tage eine andere Stellung etwas mehr rechts, direkt an der Schneise längs im Waldrand. Abwechselnd zogen die Comp. alle vier Tage ungefähr 3 km vor auf Vorposten, wo sie andauernd dem feindlichen Artilleriefeuer ausgesetzt waren, Doch es schadete nicht viel, die Geschosse gingen fast alle über uns weg zu weit in den Wald rein. Fast kein Baum und Strauch war mehr ganz im Walde.

Um 4 nachmittags hatte unsere Comp. die Ehre, gefallene Franzosen zu beerdigen, die am 1. Sept. von den vorhin erwähnten 2 Geschützen gefallen waren. Auf einer Stelle haben wir 218 Mann beerdigt, jedes Mal 40 – 60 in ein Grab. Ich hätte lieber jede andere Arbeit machen wollen, wie dieses, denn es war was Entsetzliches, da die schon 4 Tage in der Sonne gelegen hatten. Wer nicht ganz festen Fußes war, der durfte sich gar nicht in die Nähe wagen.

Jetzt kam eine 14-tägige Regenzeit ununterbrochen. Da wir fast nur unter Laubhütten schliefen, braucht man sich gar nicht zu wundern, wenn man am anderen Morgen am Schwimmen war. Öfter sind wir des Nachts um 2 – 3 Uhr aufgestanden, Telegrafenstangen abgeschlagen und dann Feuer gemacht, um sich das nötigste wieder trocknen zu können. Dazu kam auch noch der Mangel an Brod und Tabak. Oft empfingen wir nur 1/3 oder 1/4 Brod und das musste für 24 Stunden reichen. Auch gab es Tage, wo man überhaupt keinen Bissen zu sehen bekam.

Das Essen mussten wir hier aus der Feldküche ½ Stunde weit holen und wenn man nicht früh genug kam, hatten die ersten die 2te Portion schon weg und man hatte das Nachsehen. Tabak wurde bei den gefallenen Franzosen gesucht, da die immer welchen bei sich hatten. Das Rauchen ging dann abwechselnd, da nicht genügend Pfeifen da waren. Doch Mitte September kamen die ersten Liebespaketchen an und das Leben wurde nun etwas gemütlicher. Wegen des schlechten Wetters wurden wir nun am 21. abgelöst, da wir auch sonst bei lebendigem Leibe verfault wären. Wir kamen nun nach Xivry und sollten dort ein paar Tage Erholung haben, wo wir dann mit 20 Mann in einem gemütlichen Zimmer Quartier nahmen. Die meisten Einwohner des Dorfes waren geflüchtet. Essen kochten wir uns hier selber, da wir im Keller noch etliche Flaschen eingemachter Erbsen fanden und Kartoffeln. Auch an Wein fehlte es nicht und wir verlebten ein paar herrliche Tage. Einen Nachmittag gingen wir zur Plünderung eines Bienenstocks im nahen Wald. Doch das bekam uns nicht gut, denn die Dinger waren noch frecher wie die Franzosen.

Aber mit angebrannten Strohwischen wagten wir es nun doch und zogen schwer beladen mit unserer Beute und mit Beulen im Gesicht nach Hause. Wir konnten uns nun für einige Tage ein herrliches Butterbrot erlauben. Lange sollte unsere Erholung doch nicht dauern, denn am dritten Tage rückten wir schon wieder ab nach Montfaucon am linken Flügel des 6. Armeekorps in Reserve, da die im schweren Gefecht waren. Doch sie hielten sich tapfer und wir wurden nicht eingesetzt.

In diesem Dörfchen war kein Stein mehr auf den anderen geblieben, nur der Kirchturm war noch ganz. Zwei tagelang lagen wir da auf freiem Felde und konnten tagsüber die schönsten Sonnenbäder nehmen. Unsere Langeweile vertrieben wir mit Kochen, da Kartoffeln und Apfel, da genügend zu haben waren. Obwohl der Feind höchstens 2 km von uns entfernt lag, machte am zweiten Abend jede Comp. ein großes Biwakfeuer und rundherum im großen Kreis wurden die schönsten Vaterlands- und Heimatlieder gesungen. Zu bewundern war nur, dass uns die feindliche Artillerie dabei völlig in Ruhe ließ. Je wärmer es bei Tage war, desto kälter war es des Nachts unter unseren Zelten. Am 25. rückten wir wieder ab nach unserem alten Quartier, aber nur für 2 Tage wieder, denn am 27. Bezogen wir schon wieder neue Stellungen. Vorher hatten wir Gottesdienst in der Kirche zum zweiten Mal im Felde.

Unsere neue Stellung war ungefähr 800 m den Französischen gegenüber. Hier ging es immer zwei Tage Schützengraben und ein Tag Ruhe in Doncourt oder Drillancourt auf Heuböden. Der freie Tag wurde aber noch zum Arbeitsdienst benutzt, Wir mussten Kartoffeln buddeln, die für den Winter aufgespeichert wurden. Die Artillerie reinigte die Straßen und fuhr die Düngerhaufen fort, welche direkt vor jeder Tür fast aufgestapelt waren. Bemerkt sei noch, dass sämtliche Dörfer, soweit ich sie kennen gelernt habe, in einem Zustande waren, wie ich in Deutschland noch keines gesehen hab. Überall wurde sofort deutsche Ordnung geschaffen. So hatte jeder in der freien Zeit seine Arbeit. In dieser Stellung waren wir bis zum 24. Oktober, wo wir manche fröhliche auch traurige Stunde verlebt haben. Sofort am 2ten Tage hatten wir das Vergnügen, eine feindliche Reiterpatrouille abzuschießen, sonst belästigten uns die Rothosen nicht viel, desto mehr aber die Artillerie. Sobald man sich nur blicken ließ, hagelte ein Granatregen herüber, aber fast immer zwecklos, denn die meisten waren Blindgänger oder sonst mit Sand gefüllte und die schaden nicht.

Bei Tage konnten wir uns in dem Graben von der Sonne bescheinen lassen, und zogen öfter Rock, Stiefeln und Strümpfe aus. Das schlimmste kam des Nachts. Dichter Nebel lag immer am Boden und man konnte keine Hand vor Augen sehen. Fast jede Nacht kam man auf Horchposten, von des Abends bis morgens zum Hellwerden stand oder lag man auf einer Stelle vorm Drahtverhau. Das waren immer unendlich lange Stunden. Eine Mühle, die einige hundert m vor uns lag und mit einer französischen Feldwache besetzt war, wurde des Nachts von uns in Brand gesteckt, ohne dass jemand von uns dabei verletzt wurde, denn die Franzosen schlafen gerne. Essen gab es hier nur des morgens um 5 Uhr auch zugleich Kaffee, weil bei Tage keiner aus dem Graben konnte. Den Tag über musste man sich dann mit Brod ernähren, wenn man was hatte, und abends gab es dann wieder warmes Essen.

Am 13. nachts, als ich gemütlich im Unterstand schlief, wurde ich auf einmal um 11.30 Uhr durch ein schreckliches Granatfeuer, das wie auf einen Glockenschlag begann, geweckt. Etwas rechts von uns versuchten die Franzosen einen Ausbruch. Nach einigen Minuten begannen die Maschinengewehre zu knattern, Leuchtkugeln erhellten die ganze Gegend und unsere Artillerie gab nur Salven in die feindlichen Linien, Ich dachte Himmel und Erde wären zusammengefallen. Die Franzosen mussten aber bald unter schweren Verlusten das Feld räumen. Trotzdem versuchten sie es um 2 Uhr nochmals und brachen dann völlig zusammen. Um 4 Uhr morgens sollten drei Mann aus unserer Gruppe auf Patrouille, um zu sehen, ob das vor uns liegende Dorf Fousch (Vaux?) von Feinden besetzt sei. Um 4.30 Uhr machten 2 Ab ..? ein Mann und ich uns nun auf den Weg. Von einem Granatloch bis zum anderen, von einem Strauch hinter den anderen erreichten wir unbeachtet die erste Gartenmauer. Hier machten wir uns an einem Tor zu schaffen, das aber von innen verriegelt war, als uns auf einmal ein zaghaftes Halt – Wer da über die Mauer hinweg zugerufen wurde. Wir erkannten sofort den französischen Posten und in ein paar Sprüngen waren wir hinter einer Hecke verschwunden, Schon krachten mehrere Schüsse, aber wir achteten nicht darauf und mit einem Satz ging es durch den französischen Drahtverhau zurück nach unseren Gräben. Nicht ein Haar war uns gekrümmt worden, nur unsere Röcke zeigten mehrere Risse. Jedenfalls wussten wir nun, dass das Dorf besetzt war.

Auf derselben Stelle erlebten wir am 17. Das größte Schauspiel, die Schweinejagd, die ich sicher nicht weiter erwähnen brauche, da dieselbe ja dort im Patriot gestanden hat. So ging es von einem Tag zum anderen, die letzten Tage waren wir auf dem Bahnhof Consenvoye einquartiert. Unsere 42cm feißige Bertha, die hier schon aufgebaut waren, um Verdun den Gnadenstoß zu geben, wurden wieder zurückgenommen. Am 24. kamen wir nun, da wir Typhusverdächtig waren, nach Hancamont (?), ein abgelegenes Dörfchen 15 km hinter der Front. Hier führten wir ein Herrenleben, Ab den 7ten Tage wurden wir geimpft. Ab und zu exerzieren oder sonst Arbeitsdienst, Straßen reinigen oder alle paar Tage mal auf Wache.

Da eine kleine Kirche im Dorfe war und wir nun Zeit und Gelegenheit hatten, gingen wir am 27. 10. zum ersten Mal im Felde zur hl. Beichte und Kommunion. Mit Staunen habe ich den Andrang bewundert, die Mauern des kleinen Kirchleins wollten fast brechen. Mancher der früher keinen Gott gekannt hatte, ist hier sicher wieder zu ihm zurückgekehrt. Da wir sofort neben der Kirche im Quartier lagen, konnten wir es auch nicht unterlassen, jeden Abend ein kleines Dankgebetchen dort zu verrichten. Da unsere Krankheit nun ziemlich gewichen war, kamen wir am 10.11. nach Damvillers als Ortswache. Hier zogen wir jeden zweiten Tag auf Wache bis zum 11.12. und verlebten dort die herrlichsten Stunden. Die Wachen ließ man sich schon gern gefallen, denn es war eine sehr regnerische Zeit, wo es im Schützengraben sicher nichts Angenehmes war. Fast keine Rothosen bekam man sonst zu sehen, doch die feindliche Artillerie konnte es nicht unterlassen, uns ab und zu Grüße aus ihren Batterien 28cm in unser friedliches Dorf zu schicken. Wir verließen es dann sofort und gingen in den jenseitigen Wiesen spazieren bis das 21. von den Zuckerhüten (?) angekommen war, denn mehr feuerten sie niemals ab. Mit Gesang und Klang zogen wir dann wieder ein und freuten uns jedes Mal, dass es so gut gegangen hatte.

An den freien Tagen hatten wir Arbeitsdienst, Straßenreinigen, Rüben holen fürs Vieh oder Viehtreiben. Eine große Molkerei war hier am Platze mit 250 Stück Rindvieh. Am 7. abends hatten wir Beichte im Schulgebäude. Am anderen Morgen in der Kirche Gottesdienst und Kommunion. Da wir nun am 11. unsere neue Stellung besetzen sollten, ging es jede Nacht heraus zum Schanzen. Nach einem 2stündigen Marsche im strömenden Regen wurde bis zum anderen Morgen 5 Uhr gearbeitet. Obwohl man keine Hand vor Augen sehen konnte und auch Bekanntschaft mit angefüllten Granatlöchern voll Wasser, machten wir Schützengräben werfen. Durchnässt bis auf die Haut, kommen wir dann am anderen Morgen im Quartier an, von Dreck bespritzt bis an den Hals, da die Wege von den vielen Fahren vollständig aufgeweicht waren und man fast bis an die Knie im Schlamm watete.

Am 15. bezogen wir nun unsere neue Stellung und mussten unser schönes Quartier verlassen. Wir bekamen einen sehr schwierigen Abschnitt zu sichern. Ein Zug 80 Mann zog jedes Mal auf Feldwache, die anderen Züge blieben in Res. Die ausgestellten Posten hatten immer unter dem feindlichen Gewehrfeuer zu leiden. Uns war das Schießen verboten, um unsere Stellung nicht zu verraten. Die in Res, liegenden Züge hatten abwechselnd Arbeitsdienst, entweder die ganze Nacht vorne Schützengräben werfen und Abflussgräben oder bei Tage Deckungen bauen von dicken Baumstämmen. Schlafen taten wir des Nachts in Unterständen mit 15 oder 20 Mann zusammen. Dieselben waren 2.50 m tief in der Erde mit dicken Baumstämmen überdeckt mit 1/2 m Erdschicht. Unter diesen waren kleine Kanäle angebracht, damit das Wasser zusammenlaufen konnte, mit Knüppel und Reisig überdeckt und diente uns so als Lager.

Von dem vielen anhaltenden Regen kam das Wasser durch die Decke getröpfelt und man konnte des Nachts das reinste Brausebad nehmen. Wenn man dann am Morgen erwachte, musste man sich die Rippen erst wieder zurecht drücken, da die sich von dem weichen Lager etwas verschoben hatten, Von Dreck konnte man sich fast nicht mehr erkennen. Am 20. morgens schickten uns die feindlichen Batt. unaufhaltsame Grüße herüber, das war gewöhnlich ein Zeichen des Durchbruchs. Alles musste sich gefechtsbereit machen. Gegen Mittag hatten sich die Feldwachen und Posten unserer Comp. zurückgezogen, da die aus dem nahen Walde heftiges Feuer bekamen. Unsere anderen beiden Züge wurden nun sofort eingesetzt, um den Wald zu säubern. Die andere Comp. in Res.

Abends war der Wald frei und der dicht hinter demselben feindlichen Schützengraben war noch besetzt. Die Nacht über schliefen wir im Walde auf freier Erde, ohne Zelt und Mantel, da wir das Gepäck zurückgelassen hatten. Aber welch eine Nacht im vollsten Regen. Am anderen Morgen hieß es, um 8.30 Sturm auf den Graben, und um 9 Uhr war der Graben und einige Gefangene unser. Manch junges Leben hatte wieder sein Blut hergeben müssen.Bis zum Dunkelwerden mussten wir diese Stellung festhalten, ohne Essen und Trinken in den beiden Tagen bekommen zu haben. Am 22. sollte unsere Comp. nun 5 Tage Ruhe erhalten und rückten auch nachmittags zu unserem alten Quartier Damvillers. Am Abend saßen wir gemütlich im warmen Zimmer bei einem kleinen Weihnachtsbäumchen und sangen Weihnachtslieder.

Am 23. morgens 5 Uhr wurden wir durch Alarm geweckt und rückten sofort ohne Kaffee, nur mit einem Stück Brod im Brodbeutel ab, nach unseren Stellungen. Die Rothosen hatten nämlich auf derselben Stelle den Wald verstärkt besetzt. Unsere Comp. kam in Reserve, Die andere Comp. War schon im heftigsten Feuer und nachmittags wurden auch wir eingesetzt. Der III. Zug, wozu auch ich gehörte, kam zuerst. Ausgeschwärmt ging es durch den dichten Wald. Hände und Gesicht waren von den Dornen zerrissen. Wir kamen nun bis ungefähr 80m an den jenseitigen Waldrand, als uns auf einmal ein Regen von Geschossen entgegenkam. Wegen des dichten Waldes konnte man aber nichts sehen. Die Nase fast bis in den Dreck gesteckt lagen wir am Boden. Wir krochen nun noch einige Schritte vorwärts, mussten dann aber halt machen und konnten nicht mehr vor und zurück. Man hörte nur noch das schreckliche Summen der Geschosse. Links und rechts hörte man auch schon das Wimmern der Verwundeten.

Mein bester Freund neben mir war auch schwer verletzt. Wenige Minuten später, als ich gerade nach vorn stürmen wollte, bekam ich eins ins Gesicht. Als das Feuer später etwas nachließ, kroch ich ein paar Schritte zurück hinter eine dicke Buche. Mein Freund lag schwer verwundet neben mir, ich konnte ihn nicht helfen und musste ihn vorläufig seinem Schicksal überlassen. Nachher begab ich mich, da ich noch laufen konnte, zur ersten Versandstelle etwa 500m zurück. Hier bekam ich einen Notverband und wurde dann zur Sanitäts- Comp. Gefahren und verbunden. Nachts 12 Uhr wurde ich per Auto zum Feldlazarett 13 gebracht in eine Kirche. Hier hab ich Weihnachten gefeiert und blieb dort bis zum 30.12. morgens. Von hier kam ich zum Lazarett Montmedy bis zum 2. Jan. Am 3. Jan. nachmittags kam unser Transport Verwundeter 300 Mann in Freiburg an.“

Anmerkungen: Nach seiner Genesung im April 1915 wurde Josef Neite erneut auf östlichen und westlichen Kriegsschauplätzen eingesetzt, um am 23.3.1918 sein junges Leben für Kaiser und Vaterland zu opfern.

(Die Aufzeichnungen wurden freundlicherweise von dem Neffen Josef Neite zur Verfügung gestellt)